Du weißt, dass du ein besonderes Kind hast, wenn...

... Folgendes Gespräch am Mittags Tisch geführt wird

Mama : ich habe Berge an Wäsche zu falten. Wer mir hilft darf nebenher Pippi Langstrumpf im Fernseher anschauen.

Die große : au ja, ich helfe!

Die mittlere überlegt kurz : OK.. Hm, dann helfe ich eben auch.

Junior : ich nicht helfen. Nur gucken.

Mama : neeeein, du darfst auch nur Fernsehen, wenn du hilfst zb Handtücher zu falten.

Die mittlere ganz entsetzt : Mama nein! Der M. Muss nicht helfen. Der ist doch behindert!!!

Mama fällt nichts mehr ein ;) 

...  dein Kind als eines seiner ersten Rollenspiele 'MRT spielen' für sich entdeckt 


Ein völlig irres Gespräch

Unser Sohn brauchte von Geburt an intensive medizinische Betreuung. Eine Diagnose hatten wir lange nicht. Mit den Jahren wurde sein Gesundheitszustand immer schlechter. Die Ärzte standen oft ratlos an seinem Bett und behandelten ihn symptomatisch.

Völlig unerwartet gab es irgendwann einen Treffer in der Genetik. Eine Auffälligkeit, die aber immernoch nicht eindeutig zu interpretieren war.

Unser Sohn war fünf Jahre alt, als der Weg in Richtung Diagnose ging. Die Oberärztin vereinbart, während Junior eh stationär in der Klinik war, einen Gesprächstermin mit mir und meinem Mann. Sie eröffnete uns die nun gesicherte Diagnose und dass es für diese Krankheit keine Heilung gibt. Sie verläuft in Schüben und irgendwann ist diese Krankheit nicht mehr mit dem Leben zu vereinbaren. Ich höre nur zu. Bin nicht fähig etwas dazu zu sagen. Sie sagt, wir müssen uns überlegen, was wir für M. wollen und dass wir uns Hilfe suchen müssen. Es wäre gut, wir würden Kontakt zum kinderhospiz aufnehmen. Nach 20 Minuten ist alles gesagt. Der Knüppel, der unausgesprochen schon lange über uns hing, hat nun mit voller Wucht zugeschlagen.

Palliativ? Mein Sohn palliativ? Für die Ärztin ist es ihr Beruf. Vielleicht sogar Routine solche Nachrichten zu überbringen. Wir fühlen uns völlig überfordert. Alleine gelassen. Wir sitzen im kleinen Krankenhaus Zimmer am Bett unseres kranken Sohnes und weinen.

Später, als es um die Entlassung geht, schlägt die Oberärztin ein gemeinsames Gespräch mit dem Team vom Kinder palliativ Homecare vor. Gemeinsam soll besprochen werden, wie M. Zuhause optimal versorgt werden kann. Ich erwarte unsere Oberärztin, die palliativ Ärztin und eine palliativ Pflegekraft. Sie sprechen mit mir. Erklären mir alles, suchen nach Möglichkeiten der Entlastung.

Falsch erwartet.

Als ich den Raum betrete, traue ich meinen Augen kaum. Das ambulante palliativ Team war angereist. Eine Ärztin zwei Pflegekräfte. Außerdem saßen an dem Tisch noch die Pflegedienstleitung und deren Vertretung. Eine Krankenschwester von Station. Unsere betreuenden Oberärztin und ein anderer Arzt. Ein Arzt, mit dem wir bisher nicht viele Begegnungen hatten. Wenn doch, hatte ich oft das Gefühl er mag uns nicht besonders. Er kennt M. gar nicht. Da alle Stühle besetzt sind, sichert sich eine weitere Krankenschwester noch einen Stehplatz. Eine Stationsärztin bringt sogar eine Stuhl mit und setzt sich dazu.

Warum sind so viele Leute hier?

Eingeschüchtert setze ich mich dazu. Hinterfragt nicht weiter. Ich spüre wie mein Herz gegen meine Rippen donnert. Ich habe Respekt vor diesem Gespräch. Was kommt auf mich zu?

Wir sind in einer kleineren Klinik. Solche Fälle wie mein Sohn sind hier kein Alltag. Diese Attraktion möchte sich wohl niemand entgehen lassen.

Die palliativ Ärztin ergreift das Wort. Sie fragt unsere Oberärztin wie es M. geht, was er braucht und wie sie den Verlauf einschätzt. Ich höre erstmal zu, schaue in die Runde. Die Pflegedienstleitung führt Protokoll. Warum muß das hier denn protokolliert werden? Der Fremde Arzt starrt den Tisch an und grummelt irgendetwas vor sich hin.

Ich werde gefragt, wie ich die Situation einschätze. Damit habe ich nicht gerechnet. Ich sammle mich kurz und versuche meine wirren Gedanken in Worte zu fassen. Der Grummler grummelt noch etwas lauter. Meine Worte scheinen ihm nicht zu gefallen. Sein Telefon klingelt. Er geht ran, telefoniert mit irgendjemandem, während ich versuche zu erklären, wie ich mir das Leben und Sterben meines Sohnes vorstelle. Die Pflegedienstleitung schreibt eifrig jedes meiner Worte mit. Die Krankenschwester schaut mich mitleidig an. Tränen laufen über meine Wangen. Ich fühle mich mit meiner Trauer, meiner Angst schutzlos ausgeliefert. Der Grummler legt auf. Ein weiteres Telefon klingelt. Die Ärztin geht ran. Auch sie telefoniert nun nebenher. Ich werde gefragt, wie weit wir medizinisch noch gehen wollen. Das weiß ich noch nicht, es ist alles so frisch. Grummler steht auf und geht. Ich suche nach Worten. Ich glaube, wir wollen keine Intensivstation mehr. Die Tür wird aufgerissen, Grummler kommt wieder rein. Setzt sich und starrt schlecht gelaunt den Tisch an. Die Pflegedienstleitung flüstert ihrer Kollegin etwas zu. Beide grinsen. Sprechen sie über mich? Über ihre Mittagspause?

Ich fühle einen Impuls in mir, alle raus zu schicken bis auf das Palliativteam. Ich traue mich nicht. Ich versuche weiter, das wohl schwierigste Gespräch meines Lebens zu führen. Grummler telefoniert schon wieder. Er ist genervt von den Anrufen und schmeißt das Telefon sauer auf den Tisch. Ich stotterte etwas davon, dass wir uns wünschen, dass unser Sohn nicht in der Klinik stirbt. Wieder ein Telefon. Dir Tür wird aufgerissen. Grummler rennt raus. Er telefoniert im Flur, die Tür steht offen. Ich könnte schreien. Kann sich irgendjemand vorstellen, wie ich mich gerade fühle??? Ich wünsche mir einen geschützten Rahmen für diese völlige Ausnahme Situation! Ich spreche weiter. Sage, dass noch ganz viel Leben in meinem Sohn steckt. Die Stehplatz Krankenschwester mischt sich ein. Sie erzählt von einer ihrer Begegnungen mit M. Ich schaue sie an - Warum ist sie hier? Sie kennt uns gar nicht. Die Station ist voll, bestimmt hat anderes zu tun. Grummler sitzt mittlerweile wieder an seinem Platz. Ein Kulli in seiner Hand schnappt auf und zu. Das klicken irritiert mich. Ich frage unsere Oberärztin, ob sie meine Einschätzung teilt. Sie nickt, da klingelt ihr Telefon - und sie geht ran und telefoniert! Jemand reißt die Tür auf und winkt Grummler her. Er wird in der Ambulanz gebraucht. Er steht auf, verlässt den Raum und knallt die Tür hinter sich zu. Die Damen von der Pflegedienstleitung unterhalten sich wieder über irgendwas, unsere Oberärztin telefoniert. Ich verliere nun völlig den Faden. Ich sage nichts mehr. Ich nicke ab und stimmte zu. Tränen laufen unaufhaltsam über mein Gesicht. Die Stehplatz Schwester sichert sich den frei gewordenen Stuhl. Wir sprechen hier über meinen fünf jährigen Sohn, der ab sofort palliativ behandelt werden soll, und es geht zu wie auf dem Jahrmarkt. Meine Trauer wird getreten, meine Gefühle missachtet.

Die palliativ Ärztin versucht zusammen zu fassen, was besprochen wurde. Ich nicke und bin einfach froh, diesen Raum nun verlassen zu können. Ich renne zum Zimmer meines Sohnes, setzte mich zu ihm, halte seine kleine Hand und weine.

Ich höre fröhliches geplauder und Verabredungen zum Mittagessen aus dem Besprechungsraum.

In mir wächst Verzweiflung.

Da kommt die palliativ Ärztin. Auch sie scheint irritiert von dem Verlauf der letzten Stunde. Sie schaut sich M. an und spricht mir Mut zu. Sie spricht leise, respektvoll. Sie wählt ihre Worte bedacht. Zur Verabschiedung sagt sie 'wir sprechen nochmal über alles, wenn sie zu Hause'. Sie lächelt mir aufmunternd zu.

Diese Begebenheit ist mittlerweile fast ein Jahr her. Immer wieder fange ich an, einen Text darüber zu verfassen. Immer wieder lösche ich alles. Zu tief sitzt die Enttäuschung, die Wut, die Ohnmacht. Die Verletzung.

Warum kann man während so einem Gespräch nicht wenigstens das Telefon ausschalten? Gibt es in diesem Klinik Alltag noch Empathie? Mitgefühl?

Ja, es ist ihr Beruf. Sie müssen nicht mit leiden, die Schwere nicht mit tragen. Aber sie können in dieser einen Stunde einen geschützten Rahmen schaffen. Sie könnten wenigstens so tun, als ob sie im Moment ganz bei mir sind. Sie könnten einen Moment schweigen. Meine Trauer zulassen. Meinen Ängsten Raum geben. Respektvoll mit dieser Situation umgehen.

Im Nachhinein würde ich diese Situation nicht noch einmal dulden.

Warum schreibe ich das hier? Ich schreibe an die selbst betroffenen. Ich weiß, dass einige von ihnen hier mitlesen. Die, die Ärzten gegenüber sitzen und sich völlig ausgeliefert fühlen. Ich möchte den Lesern Mut machen, auf ihre innere Stimme zu hören, ihr nachzugeben und auch den Ärzten ein stop Schild aufzuzeigen. Ich möchte auch den mitlesenden Fachleuten einmal aufzeigen, wie solche Situationen auf Betroffene wirken.

Solche Situationen gehören wohl zu unserem Leben mit unserem besonderen Kind. Solche Situationen prägen und formen.

Und wenn es eine winzig kleine Chance gibt, dass durch diesen sehr ehrlichen Eintrag ein einziges solches Gespräch sensibler verläuft, ist mein Ziel erreicht!

Einige Tage nach diesem grauenhaften Treffen suche ich das Gespräch mit unserer Ärztin. Ich gebe ihr Einblick in meine Gedanken und Gefühle. Äußere meinen Wunsch nach Diskretion und Respekt. Sie kann das gut verstehen. Nickt. Mehr passiert nicht. Es ist nicht mehr rückgängig zu machen.

Die Versorgung durch das palliativ team zuhause erfolgt sehr liebevoll und professionell. Wir sind dankbar für diese Möglichkeit. Entgegen aller Erwartungen erholt sich mein Sohn super, sein Zustand stabilisiert sich deutlich. Er ist voller guter Laune und Energie. Er füllt unser Haus, unsern Alltag mit Leben. 


Urlaub.

Gutes Frühstück. Meer  . Die Tage am Strand. Erbrochenes putzen. Sonne. Kaffee. Bettwäsche waschen. Spielen. Drachen steigen. Steine bemalen. Schmerzmittel Infusionen vorbereiten. Lange Spaziergänge. Laufen übers stoppelfeld. Pferde streicheln. Brombeeren vom Strauch Essen. Epileptischer Anfall. Reden. Zuhören. Nachdenken. Verarbeiten. Sortieren. Parenterale Nahrung anhängen. Fahrrad fahren. Buccolam. Sandburg bauen. Muscheln sammeln. Fischer Hafen erkunden. Sterile Pflaster Wechsel. Eiter. Schiff fahren. Sonne tanken. Wind spüren. Neue Ziele und Strategien überlegen. Souvenirs kaufen. Postkarten verschicken. Den Moment genießen. Juniors neues Wort feiern : 'Fischbrötchen'. Den schweren buggy die Düne herauf zerren. Übelkeit. Schmerzen. Schaukeln. Hasen streicheln. Gegen Wellen schwimmen. Erinnerungen schaffen. Surfern zuschauen. Peg versorgen. Mit der Ärztin telefonieren. Wieder erbrechen und Bettwäsche waschen. Exklusive Mama Tochter Zeit. Den netten Papa mit seinem blinden Sohn kennenlernen. Feste Medikamente Zeiten einhalten. Eis Essen. Immer einen freien (behinderten) Parkplatz. Sanddorn Torte Essen. Ziegen füttern. Hagebutten sammeln. Blumensträuße pflücken. Die Schönheit der Natur bestaunen. Danken. Gemeinsam singen. Fotografieren. Familienzeit. Hörspielen hören. Steril umstöpseln. Grenzen akzeptieren. Durch die Stadt bummeln. Schon wieder Wäsche mit Erbrochenem waschen. Frisbee spielen. Seifenblasen einfangen. Krebse fangen. Möwen beobachten. Auch nachts viel wach. Yachthafen. Fähre. Angestarrt werden. Gemeinsam beten. Loben. Staunen. Lachen. Bedürfnisse erkennen. Musik hören. Sonnenaufgang am Meer. Von Stein zu Stein springen. Schnecken bestaunen. Sonnenblumen. Eine Lieferung von der Apotheke in die Ferienwohnung. Mitfreuen. Keine Termine. Wunderschön. Demut. Dankbarkeit.


Besonders schöner Urlaub mit besonderem Kind 

wir wissen dass, wir auf dieser Erde nicht unendlich viel Zeit mit unserem sehr kranken Sohn haben. wir können und wollen Dinge, Ideen und Vorstellungen nicht immer weiter auf ein 'irgendwann' schieben. Wenn wir eine Idee haben, einen Gedanke der uns wichtig ist, dann machen wir das.

Dieses Mal ist die Idee in unserer großen Tochter geboren. Sie möchte ihrem Bruder die Schönheit des Meeres zeigen, mit ihm zusammen Muscheln sammeln und am Strand Sandburgen bauen.

Sehr dankbar sind wir, dass wir zügig eine schöne Ferienwohnung am Meer gefunden haben. Natürlich in Deutschland. Die nächste kinderklinik darf nicht zu weit entfernt sein. Mit der Zustimmung unserer behandelnden Ärzten machen wir uns auf den Weg.

Wir packen für Junior Medikamente und Infusionen ein.wir packen Leitungen, wir packen Pumpen und die nötigen Ladekabel dazu. Wir brauchen alle möglichen Desinfektionsmittel, Kompressen, Pflaster Material, Notfall Medikamente. Um die Infusionen lagern zu können, brauchen wir einen extra Kühlschrank. Auch der muss in unserem Auto Platz finden. Wir packen Unterlagen, Telefonnummern, Medikamentenpläne und Arztberichte ein. Kiste um Kiste füllt sich der Kofferraum.

Wir sind unendlich dankbar, in den Urlaub fahren zu dürfen.

Dort angekommen richten wir als erstes einen sterilen Arbeitsplatz ein. von der langen Autofahrt hat Junior Schmerzen. Wir müssen gleich eine Infusion mit Schmerzmittel vorbereiten. Sterile Unterlagen, Kompressen, Kanülen, Spritzen, Medikamente, sterile Handschuhe - all das findet direkt nach Ankunft in der Ferienwohnung seine Platz in den schränken. Denn wirklich zu Hause können wir nur dort sein, wo wir steril arbeiten können.

Es ist wunder-, wunderschön. unser Sohn sieht zum ersten Mal das Meer. begeistert schmeißt er Steine ins Wasser. In seinem Buggy oder gut gestützt in seinem lagerungs Element sitzt er am Strand und ist glücklich. Ins Wasser darf er nicht. Das stört ihn gar nicht.

Natürlich sind wir auch hier durch die festen Medikamente Zeiten sehr getaktet. Infusionen müssen vorbereitet werden. Wir hängen Medikamente an, wir hängen um und wir hängen ab. Wir müssen genug Pause und Schlafzeiten für unseren Sohn einplanen. Die Nächte sind auch hier anstrengend, oft herausfordernd. Letztlich dreht sich auch unser Urlaubs Alltag komplett um die Bedürfnisse unseres Sohnes. Urlaub von seiner Krankheit, oder seiner aufwendigen Pflege, gibt es nicht.

Doch zwischendurch gestalten wir fast normale urlaubs Momente . Wir sitzen im Café. Wir schwimmen im Meer. Wir bauen riesengroße Sandburgen und legen Muschelbilder. Wir haben viel Zeit zum Spielen und zum Vorlesen. Wir nehmen uns Zeit zum Zuhören. Wir bemalen Steine mit Wasserfarbe und unternehmen kleinere Ausflüge. Wir essen Eis und schreiben Ansichtskarten. Wir Staunen über die Schönheit der Natur, wir beobachten Krebse und Möwen. Wir lassen den Drachen hoch in den Himmel steigen und lachen zusammen. Wir lassen den Wind unsere Haare zersausen und spüren den warmen Sand unter unseren Füßen. Unser Sohn und Bruder ist immer mit dabei.

So oft sind wir durch lange Krankenhaus Aufenthalte getrennt. Nun genießen wir die Zeit zusammen. Ohne Termine. Ohne Therapien. Ohne Anrufe aus der Apotheke oder der Klinik. Nur wir fünf.

Wir sind uns alle bewusst um die Kostbarkeit dieser Momente, die Kostbarkeit dieser Zeit. wir genießen die Augenblicke, füllen sie mit Leben und Liebe. Wir konzentrieren uns auf die Kleinigkeiten, sie sind kostbarer als Gold. Wir schaffen Erlebnisse und sammeln Erinnerungen. Das ist es, was bleibt. Das ist es, was uns keiner nehmen kann.

Unser M. wirkt glücklich und gelöst. Er lernt neue Worte, strebt nach Selbstständigkeit und saugt die Familien Momente auf wie ein trockener Schwamm. Er lacht viel und will überall dabei sein. Er lässt sich von seinen Einschränkungen nicht bestimmen, findet immer wieder Wege, um auf seine Weise teilzuhaben.

Urlaub. Tage voller Glück. Voller Liebe. Voller Segen. Voller Dankbarkeit.


Sein Sommer

Es ist Sommer . Die Tage sind heiß. Die Freibäder, Badeseen und die Eisdielen sind übervoll mit glücklichen Kindern. Wasser zum Planschen und Eis zum Genießen- Sommer pur! Mit einer Picknick Decke unter einem Baum der Schatten spendet lässt es sich aushalten.

Die Nachbars Kinder klingeln und wollen mit unseren Mädels in den Pool. Sofort sind meine zwei Töchter in ihren Badeanzügen und im Wasser. Sie springen und schwimmen und planschen um die Wette. Sie sind so glücklich dabei. M. darf nicht mit ins Wasser. Der fest implantierte zentrale Venen Katheter macht es unmöglich. Er sitzt in seinem Buggy am Pool Rand und lässt seine playmobil Schiffe fahren. Meinem Herzen tut es weh, dass er so eingeschränkt ist. Doch er stimmt ein fröhliches Piratenlied an und hat Freude dabei, die kleinen Boote zum kentern zu bringen. Er lacht und steckt alle schwimmenden Kinder mit seiner guten Laune an. Schnell sind alle Kinder im Boot Spiel involviert. Kekenterte Boote müssen gerettet werden und verloren gegangene Schätze werden vom Meeresgrund aufgesammelt. Die Kinder im Pool schlüpfen in die Rolle der Meerjungfrauen und Delfine. M. hat immer neue Ideen, die die anderen Kinder begeistert umsetzen. Seine Kraft reicht nicht lange.

Das Sitzen wird immer anstrengender. Außerdem ist seine Infusion fast leer. Wir müssen eine neue anhängen. Ich sage ihm, dass wir rein gehen müssen. Einen Moment schaut er mich traurig an. Das Spiel macht so viel Spaß. Es tut mir so leid.

Die Kinder im Pool planschen, spielen und lachen weiter. Ich schiebe ihn mit seinem Buggy weg und trage ihn rein. In sein Bett. Dankbar ist er um die Pause. Doch wäre er viel lieber draußen. Wir hören in seinem Zimmer das fröhliche spielen der vielen Kinder in unserem Garten. Unvermittelt fängt er fröhlich an zu singen. 'Bruder Babob lalalala' er kichert vor sich hin und steckt mich mit seinem Lachen an. Was ihn so fröhlich macht, möchte ich wissen. 'M. einfach dude Laune. M. mag Pool spielen' bekomme ich zur Antwort. Mein Herz wird leicht. Ich staune mal wieder über meinen 5 jährigen behinderten Sohn. Während ich den Verlust sehe, was er alles nicht kann, freut er sich über das was er noch kann. Wow! Ich lese ihm ein Buch vor und schalte dann ein Hörspiel an. Fröhlich und entspannt liegt er in seinem Bett und lauscht den Worten.

Am Wochenende haben wir ein paar Freunde zu uns in den Garten eingeladen. Viele viele Kinder spielen in unserem Pool, schaukeln auf unseren schaukeln, winken aus unserem Baumhaus. Im Schatten auf einer Picknick Decke sitzt meine Freundin mit ihrer Gitarre und singt mit einer handvoll Kindern. Das ist das Leben das ich liebe. Sommer! Mein M. hat heute nicht genug Kraft um im Garten dabei zu sein. Es ist zu warm, zu voll. Er ist zu müde. Er hat Schmerzen. Er muss drinnen bleiben. Ich kümmere mich um meine Gäste und immer wieder um die Bedürfnisse meines Sohnes. Er darf auf dem Laptop einen Film anschauen. Er schaut sich Bücher an und spielt mit seinen Stofftieren. Zwischendurch spiele ich mit ihm eine Runde seines geliebten Wurm Spieles. Natürlich gewinnt er und lässt es laut lachend alle wissen, wie gut er ist. Ein Wurm Profi. Dann lese ich ihm etwas vor. Junior hört, dass alle kinder draußen ein Eis bekommen. Er möchte auch eins. Ich zögere nicht und bringe ihm ein kleines wassereis am Stiel. Ich stelle gleich eine kleine Schüssel mit ans Bett. Glücklich hält er das Eis in seiner Hand. Er strahlt und lacht- und legt es in die Schüssel. Er weiß zu gut, was passiert wenn er es isst. Er bekommt starke Schmerzen, muss sich übergeben. Als ich kurz später nochmal nach ihm schaue ist das komplette Eis geschmolzen. Er strahlt mich an und sagt, er möchte das Eis bis morgen aufheben. Ich bereite seine Infusionen vor und Stöpsel ihn um. Ich wasche ihn, mache ihn fertig für die Nacht. Der Geruch von Feuer und gegrillten zieht in sein Zimmer. Wie schade, dass er nicht beim Feuer dabei sein kann. Der arme Kerl war den ganzen Tag drinnen, während draußen das fröhliche Leben tobte. Er konnte nicht mal ein bisschen von diesem Eis essen. Es tut mir so leid. Ich werde traurig. Ich sage ihm, wie tapfer er ist und wie stolz ich auf ihn bin. Er macht alles so gut! Ich sage ihm gute Nacht. Er sagt 'ich so fröhlich. Schönes Fest heute.' ich frage, mal wieder erstaunt, was so schön war. Er antwortet 'Ich Eis'. Wow, dieses Eis, das er nicht mal essen konnte hat ihn glücklich gemacht. Das Gefühl, das selbe zu haben wie die anderen. Das Spielen, das Lesen, das von mir kaum beachtete- seine Highlights. Fröhlich vor sich hin singend schläft er ein.

Wir werden oft von Freunden gefragt, ob wir mit zum Bach oder See kommen. Wir können uns im Wasser abkühlen und entspannt Gemeinschaft erleben. Am Liebsten würde ich sofort zusagen, meine Taschen packen und mitgehen. Aber es geht nicht. Wir würden unserem Sohn nicht gerecht werden. Während alle Kinder im Bach oder am See Spaß haben, müsste er im Buggy sitzen oder auf der Picknick Decke ausruhen. Es übersteigt im Moment seine Kräfte. Außerdem gibt es nirgends eine Möglichkeit steril zu arbeiten. Regelmäßig muss ich Schmerzmittel Infusionen an seinen zentralen Venenkatheter anhängen. Pünktlich am frühen Abend sogar einen kompletten sytsemwechsel durchführen. Das geht nicht irgendwo am Seeufer. Wir sind gebunden an unser Zuhause.

Um unseren Mädchen einen Tag am See zu ermöglichen trennen wir uns. Papa geht mit den großen zum See. Sie packen das schlauchboot ein, etwas zu essen und zu trinken, Badesachen, Sonnen Creme und los geht's. Fröhlich winken sie und verabschieden sich bis zum Abend. M. möchte auch mit. Er möchte Boot fahren und am Wasser spielen. Es geht nicht. Es geht wirklich nicht. Kurz weint er. Ich nehme ihn auf den Arm. Versuche ihn zu trösten. Am liebsten würde ich aber mitweinen. Nach kurzer Zeit sagt er fröhlich 'Ich Mama spielen'. Ja, ich spiele mit Dir! Fröhlich gewinnt er einmal mehr bei seinem Wurmspiel. Wir spielen mit seinen Playmobil Fahrzeugen. Jedes Fahrzeug ist eine Belohnung für eine OP. Er hat viele Fahrzeuge. Sehr viele. Feurwehren, Polizei, Bagger, Hubschrauber, Boote und Abschleppwagen. Damit lässt es sich schön spielen. Doch ist es auch ein trauriges Zeugnis. Sie erinnern mich an die unzähligen Klinik Aufenthalte und OPs am Magen, am Darm, das Implantieren von irgendwelchen Kathetern oder Sonden. Der 'Fundoplicatio Hubschrauber' landet direkt auf dem 'Galle entfernt Abschleppwagen' . Da rast die 'peg Wechsel Polizei' an und verhaftet den Pilot. Mit dem 'port implantations Piratenschiff' geht's auf eine einsame Insel. Da warten schon die 'Gastroskopie Ritter' . Mit dem 'Hickman-Katheter Motorboot', sein neuestes Fahrzeug Rasen wir durchs Meer und bestaunen Delfine. Er hat sich total verloren im Spiel, ist ganz frei und fröhlich. Bis er nicht mehr kann. Er legt sich auf den Teppich und fragt wann Papa endlich wieder kommt. Das dauert noch. Ich biete ihm an, ein bisschen Laptop zu gucken. Er singt und jubelt. "ja ja ja ja ja." wir kuscheln und zusammen aufs Sofa. Mein Herr fröhlich lacht und singt und erzählt den ganzen Tag. Immer wieder fragt er nach den Mädels. Es ist okay für ihn. Wir spielen, gehen spazieren, wir malen und lesen. Zwischendurch machen wir immer wieder Pausen.

Immerzu ist mein Sohn fröhlich. Über was man sich alles freuen kann..! Abends lässt er sich genau erzählen was die Schwestern erlebt haben. Sie sind Boot gefahren, haben Eis gegessen, sie waren beim Spielplatz und haben Freunde getroffen. Er freut sich so sehr mit ihnen als wäre er selbst dabei gewesen. Wo nimmt er nur immerzu seine Fröhlichkeit her?

Er schläft singend ein und wacht singend auf. Er freut sich am kleinsten oft unscheinbaren. Er steckt uns alle an mit seiner 'dude Laune' Ich gebe mein Bestes, dass es ihm in seinen begrenzten Möglichkeiten so gut wie möglich geht. Ich versuche möglich zu machen was irgendwie geht. Ich stose dabei immer wieder an meine Grenzen. Doch er, mein schwerst kranker Sohn schafft es fröhlich zu bleiben.

Immerzu.

Beeindruckt von ihm und inspiriert durch ihn freue ich mich auf jeden weiteren Sommertag. Unser Sommer. Ein Sommer nicht wie in den Hochglanz Prospekten.

Aber ein schöner Sommer.

Ein besonderer Sommer.

Ein besonders schöner Sommer.


Klinik Momente

Mein Sohn muss operiert werden. Wir können es nicht weiter schieben. Der Termin rückt näher, wir checken mal wieder in der Kinderklinik ein. Mein Mann, der Papa muss sich an der eingangstür verabschieden. Er darf covid-19 bedingt nicht mit rein. Er darf nicht mit zum Arztgespräch, nicht zur OP Aufklärung. Ich finde das nicht gut, arrangiere mich aber letztlich mit diesen Umständen. 

An der Patienten Anmeldung erfahre ich, dass die Station auf die wir geplant sind über Nacht voll wurde. Die Station die ich kenne. Dort kenne ich die Ärzte und Pflege. Sie kennen mich. Und meinen Sohn. Dort kenne ich die Abläufe. Junior freut sich auf die Erzieherin. Unsicher mache ich mich auf den Weg zur anderen Station. M. weint, weil er zu 'seiner' Erzieherin möchte.

Ich muss ganz von vorne anfangen. Immer wieder meinen Sohn erklären. Seine Bedürfnisse aufzeigen.

- Nein er isst gar nichts. Und ja, es ist Alltag dass er sich übergibt. Er kann ihnen nicht antworten, er übt die Sprache noch. Wir müssen pünktlich die Infusionen richten dass er in kein versorgungsloch kommt. Nein er darf auch nicht kurz ohne Infusion sein! Venöse Zugänge gehen schnell kaputt. Wir müssen die 'guten' Venen für morgen für die OP aufgeben. Nein, da können wir jetzt kein Blut abnehmen sonst haben die Anästhesisten morgen ein Problem.-

Ich spreche mir den Mund fusselig. An der einen Stelle werde ich gehört, meiner Erfahrung wird Beachtung geschenkt. An anderer Stelle werden meine Worte mit einem ungläubigen Lächeln quittiert. Ich werde in die Schublade 'hysterische Mama' gepackt.

Der Chriurg, der die chirurgische Aufklärung macht schießt übers Ziel hinaus. Überheblich erklärt er mir, dass diese Art von OP bei onkologischen Patienten üblich ist und nahezu Risikofrei. Onkologisch?! Nein, mein sohn braucht diesen Katheter nicht zur chemo! Er hat vieles, aber kein Krebs!! Er braucht ihn zur parenteralen Ernährung!! Der Chirurg erwidert, dass das keinen großen Unterschied macht, es sei ebenfalls zeitlich begrenzt. Nein!! Nein!! Nicht zeitlich begrenzt. Junior wird diese Art von Ernährung für den Rest seines Lebens brauchen.eine Besserung wird nicht erwartet! Warum hat dieser Arzt nicht mal einen kleinen Blick in Juniors Akte geworfen? Letztlich kläre ich ihn auf. Über die Erkrankung meines Sohnes und die Risiken die seine Erkrankung mit in die OP bringt.

Zur Anästhesie Aufklärung muss ich in die Anästhesie Ambulanz. Schon im Flur begegne ich der Dame von der Anmeldung. Sie läuft hektisch über den Flur und lässt den ganzen Flur wissen 'das geht nicht! Was denkt die sich? Das ist nicht meine Aufgabe. Unmöglich! Nein das geht gar nicht!' als ich gerade Platz nehmen möchte um zu warten, bis wir dran sind, erkenne ich, was die Frau von der Anmeldung so aus der Fassung brachte. Eine ältere, sehr kranke Dame im Rollstuhl wartet seit einer Stunde auf ihre Anästhesie Aufklärung und muss nun zur Toilette. Sie braucht Hilfe dabei. Ihre Kraft reicht nicht. Sie wirkt verzweifelt, eingeschüchtert. Die Mitarbeiterin hört nicht auf, über sie zu schimpfen. Macht ihr, und allen wartenden lauthals deutlich, wie unmöglich ihre Bitte ist, zur Toilette zu müssen. Diese ältere Frau tut mir leid! Unverzüglich biete ich mich an, sie zur Toilette zu begleiten. Ich ernte einen bösen Blick der Mitarbeiterin. Das sei aus Infektionsgründen nicht möglich und sowieso, wäre M. Jetzt gleich dran. Letztlich erbarmte sich eine junge Assistenzärztin und begleitete diese kranke Frau zur Toilette. Diese Begegnung entsetzt mich, lässt mich sprachlos und traurig zurück. Ich bringe auch diese Aufklärung hinter mich.

Zurück auf Station bringt eine Krankenschwester ein Medikament, das M. Durch die Sonde direkt in den Darm bekommt. Sie hat das Medikament in eine falsche Spritze aufgezogen. Sie passt nicht auf die Sonde. Sie ist genervt von meiner Forderung nach einer passenden Spritze. Sie schaut M. an und sagt zu ihm 'du kannst es doch einfach mit dem Mund nehmen' einen kurzen Moment schaut er mich verwirrt an. Dann beginnt er aus tiefstem Herzen zu lachen.er lacht laut und herzlich. Er steckt mich an. Ich lache mit. Was für eine absurde Idee, dass M. ein Medikament mit dem Mund nimmt. Er nimmt überhaupt gar nichts in den Mund. M. hat es als Scherz aufgefasst und braucht lange, bis er fertig gelacht hat. Ich liebe meinen Sohn für seine unbeschwerte, ehrliche Art! Der Krankenschwester bleibt nichts anderes übrig, als das Medikament in eine passende Spritze aufzuziehen.

Sein kleiner Körper packt diese OP gut. Keine Komplikationen. Keine Katastrophen. Ich bin von Herzen dankbar! Wir wursteln uns irgendwie durch die Tage auf dieser fremden Station. Es gibt anstrengende Momente und die, in denen alles gut funktioniert. Es gibt viele sehr freundliche Begegnungen. Erleichtert sind wir, als wir zügig unsere Koffer packen und wieder Nachhause fahren können.


" Ich könnte das nicht "

'was hat er denn?' fragt mich die Mama des rothaarigen Mädchens, das vor Freude jauchzt als es die oberste Stufe des Kletterturms erreicht hat.

Wir sind auf dem Spielplatz. Meine Töchter toben und flitzen, während M. zufrieden in seinem Buggy sitzt und zuschaut. Seine vielen Kabel und Beutel hängen sortiert am Buggy herunter.

Ich erzähle ihr oberflächlich von seiner Krankheit, vielen Krankenhaus Aufenthalten und Therapien. 'ich könnte das nicht' sagt sie, während sie Mitleidvoll zwischen mir und meinem Sohn hin und her schaut.

Das höre ich nicht zum ersten Mal. Immer wieder bohren sich diese Worte tief in mein inneres. Worte die mich nachdenklich und ärgerlich zugleich machen. Als ob mich jemand gefragt hätte. Als ob ich es mir ausgesucht hätte, meinen Sohn auf einem palliativen Krankheitsweg zu begleiten. Ich schaue mir diese perfekte Frau mit ihrem perfekten Kind an und frage mich, was hätte denn sie gemacht? Das Kind zur Adoption frei geben? Wäre Aussetzen eine Option ?flüchten? Oder Verstecken?

Ich antworte ihr, dass sie es doch gar nicht weiß, ob sie das könnte. Dass unsere Kinder Kräfte in uns mobilisieren von denen wir vorher nichts geahnt haben. Sie rennt zu ihrer Tochter um sie auf der Schaukel anzuschubsen. Das rote Haar flattert im Wind, das Mädchen lacht laut. Sie ist viel jünger als mein Sohn. Und sie kann sie so gut auf dieser Schaukel halten. Mein Sohn wird von den anderen Kindern auf dem Spielplatz einfach ignoriert. Viele erwachsene können es nicht lassen, ihn anzustarren.

Ich denke nach. Heute tut mir das weh. Ich bin so müde. Die letzten Nächte waren anstrengend. Schmerzen haben meinen Sohn geplagt. Ohne Morphium geht seit einigen Tagen gar nichts. Jetzt gerade fange ich selbst an daran zu zweifeln, ob ich das kann. Kann ich es? Kann ich es besser als es andere könnten. Können es die anderen wirklich nicht? Das ist doch Quatsch.

Ich mache es so gut ich es kann, ja ich gebe mein bestes. Ich arbeite mich in Abläufe und Strukturen ein. Ich lerne medizinische Tätigkeiten. Ich übe mich in Gelassenheit und Optimismus. Ich habe in den letzten Jahren das Beten ganz neu gelernt. Ich habe den Gott, dessen Name ich von klein auf kenne, auf einer anderen Weise kennengelernt. Ich erlebe Wunder, große und kleine. Ich habe an Tiefe gewonnen. Meine Werte und Prioritäten haben sich verschoben.

Es ist ein Weg. Jeden Tag eine Entscheidung - was mache ich aus diesem Weg? Mal gelingt es gut. Mal gar nicht.

Zu sehen, dass mein Sohn trotz all seiner Einschränkungen, den Schmerzen und Strapazen glücklich und zutiefst fröhlich ist, ist mein Motor. Meine Motivation weiter zu machen. Wenn ich ihn singen höre oder er als Superheld durchs Haus streift, wird es warm um mein Herz. Wenn er sagt 'ich dich lieb Mami' und seine Umarmung kaum lösen kann weiß ich : klar kann ich es!

Ich kann dieses Kind ganz besonders lieben. Ich kann es auf seinem besonderen Weg begleiten. Ich kann seinen Tagen Leben geben - und er meinen. Ich kann Nachts auf bleiben und ich kann Notfall Situationen managen. Ich kann es.

Angetrieben von seiner Liebe. Von seiner Freude. Von seiner besonderen Gabe, den kleinen Dingen einen großen Sinn zu geben.

Selbstverständlich ist hier bei uns seit fünf Jahren nichts mehr. Dafür aber das kleine Glück ganz groß.

Vermutlich ist die Aussage 'ich könnte das nicht' meist als Kompliment gemeint. Ein Ausdruck des Respekts. Doch desto öfter ich das höre und desto länger ich darüber nachdenke, desto absurder wird es. Ich hatte keine Wahl. Aber ich erlebe, dass ich mehr kann, als ich mir je zugetraut habe. Ich kann dieses besondere Kind- meinen Sohn- auf seinem besonderen Weg auf dieser Erde begleiten. Stolz steigt in mir auf. Wie stolz ich bin, dieses besondere Kind meinen Sohn nennen zu dürfen.

Liebe. Stolz. Glück.

All das verdrängt die Zweifel die mich auf dem Spielplatz überrollten. Mein M. ist keine Aufgabe, keine Last. Er ist ein Geschenk. Ein ganz besonderes Geschenk das Gott an mich adressiert hat. Und dieser Gott sorgt dafür, dass immer neue Power aufgefüllt wird-und ich es kann. 


Unsere Kinderärztin

Unser M. soll regelmäßig Infusionen bekommen um seinen gesamtzustand etwas zu bessern. Auf diese Infusion kann man sehr stark allergisch reagieren. Deshalb fahren wir dafür auf die Tages Station in die Kinderklinik. Wir dürfen dieses Medikament nicht alleine zuhause geben. Das Risiko, dass sein Blutdruck gefährlich abfällt ist zu groß.

Nach gut zwei Stunden Anfahrt bekommt Junior in der Klinik seine Infusion, wird dabei engmaschig überwacht. Wenn es ihm gut geht, können wir nach zwei Stunden wieder nachhause fahren. Dieses Procedere wiederholen wir alle zwei Wochen. Insgesamt ca zehn mal. Nach dem vierten mal stelle ich dieses Vorgehen in Frage. Diese lange Autofahrt alle zwei Wochen stresst M. brutal. Schmerzen und starke Übelkeit sind das Resultat. Bisher hat er die Infusionen super vertragen. Ist es wirklich notwendig, dieses Medikament in der Klinik zu geben? Die Antwort des Arztes lautet 'ja!' Sollte M. einmal auf dieses Medikament reagieren muss ein Arzt schnell notfallmedizinisch reagieren.

Ich frage in einer kleinen, nahegelegenen Kinderklinik nach, ob sie diese Infusionen verabreichen können. Die Fahrtzeit dorthin beträgt zehn Minuten. Optimal! Doch die Klinik verneint. Unser M. ist zu krank für diese Klinik.

So fahren wir weiter alle zwei Wochen zur Uniklinik. Diese Tage sind dahin. Ich frage bei unserer Kinderärztin vor Ort, ob sie meinem Sohn diese Infusionen verabreichen kann, ihn zwei Stunden überwacht und im Notfall eingreift. Erst verneint sie prompt. Das ist nichts, was in einer Praxis gemacht werden sollte. Das ist intensiv medizinisch durchzuführen. Ich berichte von den anstrengenden Autofahrten und der vielen Zeit die auf der Strecke bleibt. Sie wird nachdenklich. Sie hat so etwas noch nie gegeben, sie hat nicht einmal einen passenden Perfusor. Den habe ich zuhause, ich kann ihn mitbringen. Einen Monitor für die Herz klreislauf Überwachung hat sie auch nicht. Ich habe einen daheim, könnte ihn mitbringen. Weiter gibt sie zu bedenken, dass sie keine Erfahrung hat mit dem sterilen Arbeiten. Ich habe diese Erfahrung. Ich kann die Infusion aufziehen und anschließen. Was ich nicht kann, ist im Falle eines allergischen Schocks die Atmung und den Kreislauf stabilisieren. Das kann sie. Sie zögert. Sie muss darüber nachdenken. Sie ruft mich zurück wenn sie sich in dieses Medikament eingelesen hat.

Zwei Tage lang höre ich nichts von ihr. Ich habe die Hoffnung, dass sie es macht bereits aufgegeben. Am dritten Tag klingelt das Telefon, unsere Kinderärztin ist dran. Sie würde es machen wenn ich das Medikament, das sterile Werkzeug, die Pumpe, den Monitor und die überleitsysteme mitbringe. Außerdem müsste ich die Infusionen selbst vorbereiten und anhängen. Das kann sie nicht. Ihre einzige Aufgabe sieht sie darin, im Notfall einzugreifen. Ich bin so dankbar für ihren Mut. Sie sagt 'für M. tu ich fast alles' Was für eine tolle Ärztin! Ich bin erleichtert. Wieder eine deutliche Alltags Erleichterung. Dennoch kann ich mir ein Lachen nicht verkneifen als ich aufgelegt habe. Ob sie schonmal eine Mutter gebeten hat, alles mitzubringen und selbst zu machen? Mein Sohn sprengt ihren gewohnten Rahmen. Geht weit über Grenzen raus, die diese exzellente Ärztin in ihrer Jahrzehnte lange Erfahrung erlebt hat. Aber sie hat den Mut. Sie lässt sich darauf ein. Ich bin so dankbar sie hier vor Ort zu haben. Dankbar, dass sie für M. Ihre Grenzen verschiebt und erweitert. Unser besonderer Sohn erfordert besondere Wege. Wie schön, dass unsere Kinderärztin diese besonderen Wege mitgeht, wo immer es ihr möglich ist.


Routine Termin

Der Alltag hat uns wieder. Schule, Verabredungen der Kinder, Zahnarzttermine.. Der ganz normale Wahnsinn. Zwischendrin : ein Tag auf der Tagesstation in der Kinderklinik. Junior soll Infusionen bekommen. Außerdem stehen Blutentnahmen, Gespräche und diverse Untersuchungen an.

Ich packe Junior, samt all seinem Equipment das er über den Tag braucht, ins Auto. Papa ist im Homeoffice, die Mädels in der Schule und später hoffentlich selbstständig. Ein Mittagessen steht im Kühlschrank bereit und muss nur aufgewärmt werden. Ich fahre mit Junior los. Knapp 2 Stunden sind wir unterwegs. Junior fährt nicht gerne Auto. Er hat Schmerzen wenn er so lange sitzen muss , die Übelkeit nimmt ihm jegliche Freude. Blass hängt er in seinem Sitz. Ich kann nicht viel mehr tun, als immer wieder einen Blick in den Rückspiegel zu werfen. Ich konzentriere mich auf den zähen Stadtverkehr. Freue mich über jede grüne Ampel und gebe Gas wann immer es möglich ist. Erleichtertes Aufatmen als wir endlich im Parkhaus ankommen und auf einem freien, mit Rollstuhl markierten Parkplatz zum stehen kommen. Wir sind beide von dieser Fahrt schon ziemlich fertig.

Ich hiefe junior in seinen Buggy, sortiere all seine kabel und Schläuche. Ich verstaue Windeln, Medikamente und Co in meinem Rucksack und stelle mich in die Warteschlange zur corona Einlasskontrolle. Formulare ausfüllen, Temperatur Kontrolle, Hände desinfizieren. Auf dem Weg zur Station treffe ich mehrere Bekannte Gesichter. Ärzte, Pflege, Sekretärinnen. Jeder fragt mich wie es M. geht, was wir heute machen. Hoffentlich nur Routine. Ich wiederhole mich 'Routine Termine. Wir fahren heute Abend wieder nach Hause'. Heute ist eine junge, sehr engagierte, uns bekannte Assistenz Ärztin für M. zuständig. Ich mag sie. M. mag sie. Passt alles. Super schnell punktiert sie Juniors zarte Venen und nimmt Blut ab. Sie ordnet die Infusionen an und korrdiniert die einzelnen Termine. Während die Infusion läuft und M. am Monitor engmaschig überwacht wird, kommen verschiedene Ärzte und Therapeuten. Wir besprechen, wie es M. momentan geht und was die möglichen nächsten Schritte sind.

Ein großer Stein fällt mir vom Herzen, als ich mich mit dem Oberarzt der Gastrologie darauf einige, eine geplante OP vorerst abzusagen. Wir empfinden sie im Moment nicht unbedingt notwendig. Er konnte unsere Gedanken gut verstehen und unterstützt uns auf dem Weg ohne OP. Für jede Fachrichtung - Gastrologie, Neurologie, Wundversorgung - habe ich mir im vornherein eine Liste vorbereitet damit ich nichts wichtiges vergesse. Mir raucht der Kopf. Ich brauche Kaffee. Ich bin dankbar um eine Krankenschwester, die mir völlig unkompliziert einen Kaffee aus dem Schwestern Zimmer bringt.

Am späten Nachmittag muss Juniors Nahrungsinfusion vorbereitet werden. Ich hänge ein Schild außen an die Tür 'bitte nicht eintreten. Hier wird steril gearbeitet'. Ich habe alles dabei. Bereite einen sterilen Arbeitsplatz vor, hier in diesem engen Krankenhauszimmer. Ich ziehe Medikamente auf, schließe das überleitsystem an. M. Ist müde vom Tag. Er schläft. Vorsichtig ziehe ich ihn aus um gut an seinen Katheter ran zu kommen. Ich schließe die parenterale Nahrung steril an seinem port Katheter an. Frische Nahrung die nun über 24 Stunden langsam in seine Vene tropft. Als ich fertig bin entferne ich das Schild von der Tür und entsorgen all den Müll. Ich halte smalltalk mit einer Krankenschwester und warte noch auf einen Arzt, der ein Rezept bringen wollte. M. Packe ich schonmal in seinen Buggy.

Draußen scheint immer noch die Sonne. Ein wunderschöner Sommer Tag. Wir haben ihn mal wieder verpasst. Eigentlich müsste mein Sohn im Freibad toben, Eis essen und Fahrrad fahren. All das bleibt ihm verwehrt. Während ich diesen Gedanken nachhänge kommt der Arzt mit dem Rezept und einem stapel Blättern in der Hand. Er sagt mir, wie oft und wieviel wir von diesem neuen Medikament geben sollen. Dann geht ein breites Grinsen über sein Gesicht. Er wedelt mit den Zettel vor meinem Gesicht. Ich erkenne, dass es ein Labor Bericht ist. Die aktuellen Blut Werte von heute. Fröhlich sagt er, ich solle sie einrahmen oder drum herum tanzen. So gute Werte hatten wir noch nie. Ich spüre, wie er sich wirklich freut. Fragend schaue ich ihn an. Warum sind die so gut? Er weiß es nicht. Eine Erklärung hat er nicht. Wir sollen uns einfach freuen und es dankbar annehmen. Für den Moment ist Aufatmen angesagt. In dem Wissen, dass es auch sehr schnell wieder anders aussehen kann, nehme ich diesen Labor Befund an mich. Keine Spur mehr von Trübsal.

Ich bin erleichtert. Glücklich. Dankbar. Müde und überwältigt. Alles aufeinmal. Tränen steigen mir in die Augen. Ich versichere dem Oberarzt dass alles gut ist und laufe zügig aus der Klinik, zum Parkhaus. Mit letzter Kraft setze ich Junior in seinen Sitz, packe den Buggy in den Kofferraum. Ich überprüfe ob alle Schläuche gut liegen und nichts abgeknickt ist. Los geht's. An einer Tankstelle kaufe ich einen Kaffee und starte dann die 2 stündige Heimfahrt. So viele Infos, so viele Eindrücke, so viele Vorschläge und Ideen wie wir weiter machen. Ich treffe den Entschluss, nie wieder so viele Termine auf einen Tag zu legen. Lieber fahre ich öfter. Das war viel heute. M. protestiert gegen das Auto fahren. Immer wieder schläft er kurz ein, bevor er vor Schmerz wieder aufschreckt. Wie dankbar sind wir beide, als wir endlich zuhause ankommen. Die Mädels schlafen schon. M. freut sich über sein Bett, ich über meinen Feierabend.

In sechs Wochen komme ich wieder auf die Tages Station der Kinderklinik. Wieder Infusionen, wieder Verlaufskontrollen. So schön der Alltag, die Routine auch ist. Ein bisschen wünsche ich mir den entschleunigten Alltag ohne Termine der letzten Monate zurück.