Weihnachten

Es ist Weihnachten. Irre, schon wieder ist ein Jahr vergangen. Letztes Jahr setzten wir uns damit auseinander, dass es möglicherweise das letzte Weihnachten zu fünft für uns ist. Es war sehr emotional. Nun ist unser M. noch bei uns. Er hat sich unerwarteter Weise sehr gut erholt und hatte einige stabile Monate. Sogar ein Sommerurlaub war möglich.

Wir blicken auf ein völlig verrücktes Jahr zurück. Corona hat die Welt fest im Griff. Wir blicken aber auch auf ein Jahr, an dem jeder Tag ein Geschenk war. Niemals zuvor war uns bewusst, wie wertvoll unsere gemeinsame Zeit hier auf der Erde ist. Wir haben gelernt diese Kostbarkeit anzunehmen. Jeden Tag mit Leben zu füllen. Wir haben gelernt das wunderbare im Detail zu entdecken und dankbar zu werden für das kleine. Ein spannendes, kostbares, herausforderndes, anstrengendes und wunder-volles Jahr liegt hinter uns. Und nun feiern wir wieder Weihnachten. Ein so ganz anderes Weihnachten. Ohne Verwandtschaft, ohne Krippenspiel und ohne gemeinsam gesungene Weihnachtslieder.

Die vergangenen Wochen waren sehr anstrengend. M. hatte ein ziemliches Tief. Eine Infektion gefolgt von einer akuten Verschlechterung seines gesamt Zustandes hielten uns in Atem. Die Wochen sind geprägt von vielen Fahrten in die Klinik, Untersuchungen, Arztgespräche, Sorgenfalten und neue pflegerische Handgriffe. Unser Equipment an Pflege Utensilien zuhause ist wieder gewachsen. Juniors pflege aufwand wird immer größer. Unfassbar, wieviele akute Notfälle in die vergangenen zwei Wochen passten.

Nun sitzen wir am festlich gedeckten Esstisch und hören die Weihnachts Geschichte. Gerade als der Engel erscheint ertönt ein schriller piep Ton. Die Infusions Pumpe meines Sohnes macht auch vor Engeln keinen Halt. Ich hänge eine Spülung an, programmiere die Pumpe. Nun kann es weiter gehen mit der Geschichte. Noch bevor das Jesus Baby geboren wird tönt die Pumpe noch zwei Mal. Während des weihnachtlichen Essens kümmere ich mich noch um den Magen Ablauf und eine gute Sitzposition meines Sohnes. Keiner lässt sich stören. Wir sind es gewöhnt. Es geht niemals ganze ohne pflegerische Handgriffe. Junior sitzt bequem in seinem Therapie Stuhl und beobachtet unser essen. Er würden niemals auf die Idee kommen, etwas von diesem Essen zu probieren.

Wir unterhalten uns mit unseren Kindern über den Sinn von Weihnachten und auch über die Kinder, denen es lange nicht so gut geht wie uns. Wir beten für sie. Und auch für den Opa im Krankenhaus. Wir danken, dass wir zu fünft beieinander sind und bitten um Bewahrung für alles was vor uns liegt.

Vor der Bescherung, die von den Kindern sehnlichst erwartet wird, Stöpseln wir die Infusionen meines Sohnes um und katheterisieren ihn einmal. Die Pflege läuft auch an Weihnachten weiter wie an jedem anderen Tag. Eine Pause ist nicht vorgesehen.

Nun dürfen die Kinder ihre Geschenke öffnen. Es ist so spannend. So aufregend. So schön. Sie kommen aus dem 'aah' und 'ooh' kaum raus. Es macht mich glücklich, meine drei Kinder so glücklich, so frei und zufrieden zu sehen. Von der Schwere des letzten Jahres ist nichts zu spüren. Wir spielen, lesen und probieren Spielsachen aus. Wir genießen den Moment. Wunderschön.

Am Ende des Tages bringe ich die Mädels ins Bett. Die eine quittiert den Tag wie folgt "Das war das schönste Weihnachten meines Lebens" dann schläft sie glücklich ein.

Auch Junior liegt im Bett. Er hat Bauchschmerzen. Ich gebe ihm verschiedene Schmerzmittel und Versuche durch die Lagerung Linderung zu schaffen. Er windet sich und sagt dabei "weidenich (Weihnachten) soo cool"

Wie schön dass er dabei war. Wie schön, dass er genießen konnte. Wie schön, dass wir ihn haben! Als Ruhe einkehrt schicke ich ein Gebet zu dem Gott, der heute auf der ganzen Welt gefeiert wird. Ich danke ihm für Weihnachten, für meine Familie, für meine Kinder, meinen Sohn. Ich danke ihm für alle Momente voller Leben. Für Momente die Erinnerungen schaffen. Dafür, dass er unsere Herzen bewahrt und dafür, dass ich danken kann.

Ich stelle meinen Wecker auf zwei Uhr. Da braucht mein Sohn wieder Medikamente. Bis dahin kann ich hoffentlich ein bisschen schlafen. Und dann geht es weiter. Immer weiter. 


Neulich in der Kinderklinik

 Junior hat Fieber. Er ist blass, hat dunkle Augenränder, kämpft mit starker Übelkeit und verlässt das Bett gar nicht mehr. Er weint viel vor Schmerz, er wirkt richtig krank. Als ich beim Verbandswechsel des Hickman Katheters sehe, dass aus der Eintrittsstelle des Katheters Eiter läuft ist mir fast klar, wo das Problem im Moment liegt. Ich packe meinen Sohn ins Auto und fahre in die nächstgelegene Kinderklinik. Mit einer Infektion am Katheter Eintritt ist nicht zu spaßen. Zu groß ist die Sorge vor einer Sepsis. Letzte Nacht habe ich kaum geschlafen. Heute bin ich so müde!

In der Kinderklinik angekommen muss ich zuerst durch die bekannten Corona Kontrollen. Ich sage der Dame hinterm Plexiglas dass ich in die Kinder Notfallambulanz komme. Sie notiert Namen, Temperatur und Sauerstoff Sättigung. Dann wirft sie einen Blick in den Buggy. Sie macht große Augen, sagt aber erstmal nichts. Ich frage sie, ob etwas nicht stimmt. Peinlich berührt schüttelt sie schnell den Kopf und sagt dass alles okay sein. Dann fragt sie etwas zögerlich wofür denn all die Schläuche an meinem Sohn sind. Ich antworte ihr und sage dass mein Sohn rund um die Uhr Infusionen braucht. Sie zögert wieder und fragt dann ungläubig, ob dennn tatsächlich all die Schläuche im Körper meines Sohnes Münden. Ich antworte knapp mit Ja und mache mich auf den Weg in die Kinder Ambulanz. Sie murmelt noch etwas wie arm dieses Kind ist, wie schlimm das sein muss. Ich kenne diese Blicke, diese Fragen und die Hilflosigkeit der Menschen, die mit einem so offensichtlich sehr kranken Kind konfrontiert werden. Lange ärgert es mich schon nicht mehr, wenn die Leute uns anstarren. Doch hier ärgert es mich. Sind wir doch in einer Klinik, in einer Kinderklinik. Hier dürfte mein Sohn keine Attraktion sein, die angeglotzt und bemitleidet wird. Es ärgert mich, wie unprofessionell an dieser Stelle gearbeitet wird.

In der Kinderambulanz werden wir freundlich begrüßt. Hier kennt man uns. Wir müssen nicht im Wartebereich oder im Flur warten. Ich darf mit meinem Sohn direkt ins Behandlungszimmer. Ich bin dankbar, nicht all den keimen ausgesetzt zu sein. Ich ziehe Junior seine Jacke und Mütze aus, hole ihn aus seinem Buggy und halte ihn fest in meinen Armen. Er ist müde, er friert und möchte nach Hause ins Bett. Ich halte ihn ganz fest und hoffe, dass wir zügig fertig sind.

Da kommt eine freundliche Krankenschwester mit dem Auftrag der Ärztin, auf Juniors Händen und Füßen 'zauberpflaster' zu kleben. Die zauberpflaster betäuben die oberflächliche Haut. So tut das stechen zum Blutabnehmen nicht so sehr weh. Die Krankenschwestern scheint etwas im Stress zu sein. sie wirkt hektisch und gestresst. Sie ist sich nicht sicher, an welche Stellen sie die Pflaster kleben soll. Kurz entschlossen drückt sie mir diese zauberpflaster in die Hand. Sie sagt, ich würde es eh besser sehen, wo eine gute Stelle ist zum Blutabnehmen. Ich soll die Pflaster bitte selber kleben. Damit verabschiedet sich sich und hetzt zum nächsten Kind. Ich schaue mir Juniors Hände und Arme an. Ich ziehe ein vorsichtig an der Haut, klopfe ein bisschen darauf herum, so wie ich es bei den Ärzten immer sehe. Doch ein Gefäß zum Blutabnehmen entdecke ich nicht. ich versorge Junior zu Hause medizinisch auf hohem Niveau. Ich beherrsche sterile Handgriffe und vieles mehr. Aber ein gutes Gefäß zum Blutabnehmen von einem schlechten zu unterscheiden - das kann ich nicht. Ich möchte es auch nicht können. Ich sehe ehrlich gesagt gar keine Gefäße. ich halte Juniors Arm gegen das Licht. Vielleicht entdecke ich so, was ich suche. Fehlanzeige. Ich beschließe, diese Pflaster einfach irgendwo zu kleben. eins auf die Hand, eines ins Handgelenk, am Unterarm noch eins und in der Ellenbeuge. In der Hoffnung, das irgendwo unter meinem pflastern ein gutes Gefäß zum Blutabnehmen ist. Die Ärztin kommt und schaut sich Junior an. Nachdem sie ihn untersucht hat und die Eintrittsstelle des hickman-katheter angeschaut hat nimmt sie Blut ab. Sie entfernt meine so mühevoll geklebten Pflaster. Und findet wirklich unter dem Pflaster auf dem Handrücken ein Gefäß zum punktieren. Ich sollte mir die Sache mit dem Medizinstudium vielleicht doch noch überlegen. Nun kann ich auch zauberpflaster auf gute Venen kleben.

Juniors Blut kommt ins Labor. Wir warten in diesem Untersuchungszimmer bis die Werte da sind. In der Zwischenzeit braucht mein Sohn seine Medikamente, die er immer um diese Uhrzeit bekommt. Ich habe alle Infusionen fertig vorbereitet mitgenommen. ich muss sie nur noch anhängen . Ich frage die zuständige Krankenschwester nach einem Infusionsständer. Ein Infusionsständer? Hier in der Ambulanz? Das gibt es nicht. Sie ist immer noch sehr gestresst und gedanklich vermutlich schon beim nächsten und übernächsten Kind. Sie erklärt mir, dass ein Infusionsständer gar nicht so wichtig ist. Ich könnte die Infusionen doch einfach an den Buggy oder an den Bürostuhl hängen. Wenn die dasvnicht ausreicht, könnte ich die Fläschchen mit den Medikamenten doch auch einfach selber in die Höhe halten. Sie hat die Türklinke schon wieder in der Hand, ist am gehen. Ja, okay. Ich halte die Infusionen einfach selber. Dennoch glaube ich es nicht ganz, dass es in einer Kinder Notfallambulanz im Krankenhaus keine Infusionsständer gibt. Junior liegt auf der liege und ist eingeschlafen. Krank sieht er aus. Ich Krame aus meiner Tasche die Infusionen Und hänge sie an. Ich denke an den guten Rat der Krankenschwester und hänge die Infusionsflaschen an den Buggy. Die Höhe reicht natürlich nicht. Ich versuche es mit dem Bürostuhl, der ist etwas höher. Doch auch diese Höhe reicht nicht, dass die Infusionen gut laufen. Ich versuche die Infusion an der Wärmelampe oberhalb der Behandlungsliege zu befestigen. Das scheint zu gehen . Man darf nur nicht dran kommen, denn sonst fällt alles runter.

Die Infusionen laufen, Junior schläft und ich sitze müde neben ihm und wünsche mir auch hier etwas mehr Professionalität. Zwei Stunden später ist klar, dass M. Antibiotika braucht. Noch mehr Infusionen. Noch mehr Kabel. Die gute Nachricht : Die Ärztin ist einverstanden, dass wir die Therapie zu Hause durchführen . Nachdem er die erste Antibiotika Gabe in der Ambulanz bekommen hat, packe ich meine Sachen zusammen und M. in seinen Buggy. Wir freuen uns beide sehr auf zuhause. Auf ein Bett

und einen Infusionsständer!


Erdbeer schloss und Kürbissuppe

Junior machte zuletzt enorme Fortschritte in der Sprache. Er hat mittlerweile viele viele Worte und hängt immer mehr Worte hintereinander zu ganzen Sätzen. Vergleicht man seine Sprache mit gesunden gleichaltrigen Schneidet er natürlich grottig ab. Aber das ist egal. Wir freuen uns über jedes neue Wort, feiern jeden Fortschritt. Worte und Zusammenhänge, die M. nicht kennt, packt er so in seine Welt, dass es für ihn Sinn macht. So kamen zuletzt immer wieder sehr lustige Dinge raus.

Wir sind beim Augenarzt. nachdem alle Untersuchungen fertig sind und klar ist, dass Junior wieder mal eine stärkere Brille braucht, packe ich ihn in seinen Buggy und mache mich auf dem Weg zum Ausgang. Ich bin ein bisschen traurig. Schon wieder wurde sein Sehen schlechter. Immer wird alles schlechter bei meinem Sohn. Da ist es egal ob wir beim Augenarzt, in der gastrologie oder bei der Neurologin sind. Der abwärts Trend hält an. Junior reißt mich aus meinen Gedanken. Er möchte den Knopf drücken, um den Aufzug zu holen. Im Aufzug darf er auch drücken. Ich sage zu ihm "bitte auf das E drücken". Er schaut mich an und fragt "hum E?" Ich antworte ihm "E wie Erdgeschoss." Er strahlt und drückt auf das E. Die Tür vom Aufzug schließt sich. M. grinst und sagt "lecker lecker". Ich bin verwirrt. Warum lecker lecker frage ich ihn. Da geht die Aufzug Tür schon wieder auf wir sind im Erdgeschoss angekommen. Junior freut sich über irgendetwas. Ich schiebe den Buggy aus dem Fahrstuhl und möchte gerade das Gebäude verlassen als ich sehe, wie enttäuscht mein Sohn aussieht. Ich frage ihn was denn los sei. Er fragt mich nachdenklich wo denn die Erdbeeren sind. Welche Erdbeeren? Er antwortet "Erdbeerschloss Erdbeeren essen." Es dauert einen Moment bis ich begreife dass er mit dem Begriff Erdgeschoss nichts anfangen konnte. Blitzschnell machte er in seinem Kopf aus dem Erdgeschoss ein Erdbeer Schloss. Nun erwartete er Erdbeeren in einem Schloss - oder so ähnlich. Ich muss mal wieder herzlich lachen. Ab sofort ist das E im Aufzug für das Erdbeer Schloss. Meine traurigen Gedanken sind erst einmal verflogen. Der Alltag mit meinem M. macht so viel Spaß! Wie gut dass wir ihn haben, so wie er ist!

Das Herbstwetter bringt immer wieder Nebel mit sich. Unsere Mädels reden immer von der 'Nebelsuppe' durch die sie morgens zur Schule laufen müssen. Unser Sohn stimmt freudig mit ein. 'Nebelsuppe' dieses Wort gefällt ihm. Wann immer es draußen neblig ist feiert er dieses Wort - 'Nebelsuppe.' Nun wird es Winter. Ich fahre mit meinem Sohn im Auto. Der Himmel ist voller dicken grauen schweren Schneewolken. Heute wird es gar nicht richtig hell. Wir warten auf die ersten Schneeflocken. Mein Sohn betrachtet die dunkelgrauen Wolkenberge und sagt überzeugt "da oben Suppe." Ich schalte nicht schnell genug und Frage "welche Suppe?" Er überlegt kurz. Es fehlt ihm mal wieder das richtige Wort. Dann antwortet er zögerlich: " Kürbissuppe." Ich verstehe immer noch nicht, auf was er raus möchte. Was ist mit Kürbissuppe? Er wird ungeduldig mit mir. Antworte dann "Gott kochen Kürbissuppe." Hä warum kocht Gott Kürbissuppe?? Er zeigt auf die Wolken, auf das düstere Wetter und sagt "Himmel dicke Kürbissuppe." Jetzt verstehe auch ich, dass Juniors Kopf das wort 'Nebelsuppe' nicht kannte und mal eben schnell Kürbissuppe daraus gemacht hat. Und irgendwo muss diese Kürbissuppe ja herkommen. Wenn diese dicken grauen Suppen Wolken im Himmel sind, dann muss wohl Gott der Koch dieser Kürbissuppe sein. Kürbissuppe ein Wort, dass er aus dem Alltag kennt und nun hier einsetzt wo er mit dem passenden Wort nicht weiter kommt. Ich muss grinsen. Ja vielleicht kocht Gott im Himmel Kürbissuppe. Ich frage ihn, ob er Nebelsuppe gemeint hat. Jetzt fällt es ihm wieder ein. ja, Nebelsuppe. Dabei gefällt mir die Kürbissuppe im Himmel, gekocht von Gott, ziemlich gut.

In einem bekannten Laternenlied heißt "lichterkinder auf dieser Erde Leuchten wie Sterne am himmelszelt. So wie sankt Martin schenken sie Freude in alle Herzen auf dieser Welt" M. liebt dieses Lied. Er fordert es immer wieder ein. Er hört es während des Auto Fahrens, zum einschlafen oder in der Mittagspause. Eines Tages sitzt er in seinem Zimmer, spielt mit seinen playmobil Fahrzeugen. Ich Räume die Küche auf und höre wie er vergnügt vor sich hin summt. Immer wieder versucht er einzelne Textzeilen zu singen. Es dauert ein bisschen, bis ich seine sing versuche als 'lichterkinder' erkenne. Dann kommt erstaunlich deutlich "steeeeeerne himmelszelt. Wie Opa maaaaartin lalalala Freude alle Herzen Welt" Habe ich mich verhört oder hat er aus sankt Martin tatsächlich den Opa Martin gemacht? Ich bitte ihn nocheinmal die Zeilen zu wiederholen. Er freut sich, dass ich mich für sein Gesang so interessiere und trälltert fröhlich los "lalalala wie Opa maaaaartin" ich lache und mit mir seine Schwestern, die gerade dazu kamen. Mit sankt Martin kann mein Sohn gar nichts anfangen. Da ändert er die Zeilen und setzt den geliebten Opa Martin ein. Ab sofort ist dieses Lied bei uns das "Opa Martin Lied"

Auch 'corona' und 'Kapitän Rotbart' aus dem Piraten Buch passt er in seine Welt an. Er spricht von 'Dr rona' und 'Dr Rotbart' und aus der leckeren Makkaroni kreiert er die 'kackahoni'

Vermutlich alles Varianten, die sprachanfänger um den zweiten Geburtstag ähnlich kreieren. Mit dem Unterschied, dass diese ihren Wortschatz ständig verbessern und optimieren. M. bleibt hartnäckig bei seinen Varianten. Wird er einmal verstanden sieht er keinen Bedarf noch weiter daran zu arbeiten.

Es macht uns glücklich, M. In seiner Entwicklung zu begleiten. Wir nehmen sein Tempo und seine Prioritäten und freuen uns sehr, dass er Möglichkeiten hat, sich sprachlich auszudrücken. Wir gehen jeden Schritt auf seinem besonderen Weg mit ihm und haben immer wieder jede Menge Spaß miteinander.


Du weißt, dass du ein besonderes Kind hast, wenn...

... Der beinahe unbeschwerte wundervolle Winter Welt Moment nur einen wimpernschlag entfernt ist 

Vom nächsten medizinischen Notfall 

... Dein fast sechs jähriger Sohn aus dem Staunen nicht heraus kommt, weil er die vorweihnachtszeit mal wieder zum ersten Mal bewusst wahrnimmt. 

... Du deinem Sohn morgens mindestens drei lagen übereinander anziehst und immer eine Decke in greifbarer Nähe ist, weil er sonst mit der Körpertemperatur in gefährliche untertemperatur fällt 

... Du einen Infusionsleitungs wärmer nähst 


Hilfe annehmen

 Unser letztes Jahr war das heftigste, was wir bisher mit unserm M. erlebt haben. Am Anfang steht die absolut niederschmetternde Diagnose mit einer sehr traurigen Prognose.

Nach fünf Jahren suchen haben sie Ärzte endlich den Grund für Juniors Besonderheiten gefunden. Plötzlich hatte er eine Krankheit, deren Name ich kaum aussprechen kann. Plötzlich versorgt uns ein palliativ team und plötzlich suchen wir den Anschluss an ein ambulantes Kinder Hospiz. Plötzlich steht die gewohnte Welt still und eine neue Welt beginnt sich zu drehen. Eine neue Welt, die ich nie kennenlernen wollte dreht und dreht sich. Es ist kaum möglich Schritt zu halten. Palliativ. Lebensverkürzend erkrankt. Keine guten Prognosen. Angst. Trauer. Wut, Hilflosigkeit, Verzweiflung und Ohnmacht wechselten sich ab. Kaum Zeit sich an diesen Gedanken zu gewöhnen, gehörtes zu verarbeiten.

Schon schlittert junior in ein nächstes tief. In ein sehr tiefes tief. Schmerzen dominieren plötzlich unsere Tage. M. bekommt viele sehr starke Medikamente, die ich selber nicht ohne weiteres einnehmen würde. Er wird mehrfach in wenigen Wochen operiert und verbringt Monate in der Klinik. Meine und seine Kräfte schwinden mit jedem Tag. Wir setzen uns damit auseinander, dass der Abschied doch schon sehr nahe liegt. Tausende Gedanken und Gefühle gilt es zur selben Zeit auszuhalten, zu sortieren.

Gegen alle Erwartungen stabilisiert Junior sich sehr gut. Wir können nach Hause. Mitten in den ersten corona lockdown. Zuhause habe ich nun dieses extrem Pflegeaufwendige Kind, zwei Kinder im homeschooling und jede Menge Emotionen, die den letzten Wochen hinterher hängen.

Im September ist Alltag in Sicht. Die Schulen gehen in den Regelbetrieb. Der Pflegedienst übernimmt wieder Dienste bei M. Ein durchatmen ist in Sicht. Nach vielen Monaten keiner einzigen Chance der Erholung oder Verarbeitung.

Dass dieser Pflegedienst nie wieder kam ist bekannt. Wir fühlen uns fallen gelassen. Ein Fall ins bodenlose. Es ist keine Kraft mehr übrig. Doch danach fragt keiner. Ich mache weiter. Immer weiter. Bis zu einem Punkt der Erschöpfung. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich viel weine und im Chaos zu versinken drohe. Ich kann nicht mehr. Wir können nicht mehr. Wir brauchen Hilfe. Sonst geht das gesamte Familien Konstrukt unter. Der Pflegedienst verwehrt diese Hilfe um die ich sie verzweifelt anflehe.

Break.

Da kommt unser Palliativ Team ins Spiel. Sie hören, sehen und spüren die Not. Sie sagen, dass es auch M. nur dann gut gehen kann, wenn es mir und dem Rest der Familie gut geht. Sie helfen uns, Entlastungsangebote zu finden. Sie übernehmen die Kommunikation mit der Krankenkasse und Institutionen die Entlastung schaffen können. Innerhalb weniger Tage prüft und bestätigt die Krankenkasse den Anspruch auf eine Haushaltshilfe. Zügig ist eine Person gefunden, die super zu uns passen würde. All das ohne mein zutun. Ich musste nur zustimmen.

Als das Telefon klingelt und die Person anruft, die uns die nächste Zeit im Haushalt unterstützt, fallen mir schnell tausend Argumente ein, warum sie diese Woche eigentlich noch gar nicht kommen kann. Sie lässt keines der Argumente gelten und sagt, dass sie morgen früh kommt. Mir fällt es schwer, diese Hilfe, die jetzt so konkret wird, anzunehmen. Eigentlich läuft es doch ganz gut bei uns. Eigentlich habe ich es doch noch im Griff. Es ist doch mein Job, die Kinder gut zu versorgen und den Haushalt nebenher zu schmeißen. Ja, jetzt hatten wir einige schwere Wochen. Doch ich schaff das schon wieder. Bestimmt gibt es Familien wo diese Person dringender gebraucht wird. Es fällt mir schwer, meine unvollkommenheit einzugestehen. Einblicke in meine Waschküche und Badezimmer zu gewähren. Ja, man sieht, dass hier lange Zeit nur sehr oberflächlich gearbeitet wurde. Für mehr war keine Zeit. Doch ich schaff das schon irgendwie. Irgendwann. Hilfe von außen ist doch übertrieben. Das brauchen andere. Ich doch nicht.

Für morgen ist nun die Frau angekündigt. Da komme ich jetzt nicht mehr raus. Sicher sieht sie, dass es für sie nichts zu tun gibt und bestätigt mir, dass wir sie nicht brauchen.

Und sie kommt.

Sie schaut sich einmal alles an. Und legt los. Sie staubsaugt die Kinderzimmer, wischt Oberflächen. Sie wäscht Wäsche trocknet sie, faltet und räumt in Schränke. Sie lässt sich nicht bitten. Sie sieht und macht. Sie sucht aktiv den Kontakt zu den Kindern. Bindet Sie mit ein. Spielt mit ihnen. Sie ist da wo sie gebraucht wird und hat ein ganz feines Gespühr, wann es dran ist sich zurück ziehen. Sie kommt jeden zweiten Tag. Sie kocht, macht mit den Mädels Hausaufgaben und erledigt den Einkauf.

Ich versorge die meiste Zeit des Tages meinen kranken Sohn. Wie immer. Doch im Hintergrund läuft die Hausarbeit auf Hochtouren. Ich bin so unendlich dankbar!!! Ich habe plötzlich abends Feierabend wenn die Kinder im Bett sind. Der Haushalt ist fertig. Ich habe Wochenende. Kann auch mal einfach einen Moment auf dem Sofa sitzen. Ich habe Zeit für meine Mädchen. Ich kann mit ihnen basteln, ich kann zuhören und da sein. Ich brauche nicht Nachts zu kochen. Ich kann guten Gewissens ins Bett gehen. Es macht so einen großen Unterschied. Ich bin so dankbar!

Ich lass sie das wissen und hören. Vielleicht nerve ich sie mit meinem ständigen 'wie gut dass Sie da sind. Danke danke!' aber das ist mir egal. Sie muss das wissen. Sie ist unser Engel.

Ich musste einmal all mein Stolz fallen lassen. Ich musste zugeben, dass wir Hilfe brauchen. Und ich musste sie annehmen. Das war eine schwierige Lektion für mich. Lange habe ich diesen falschen Stolz, alles alleine schaffen zu wollen, aufrecht erhalten. Bis zu einem Punkt an dem es wirklich mehr ging. Nun habe ich Hilfe und weiß diese zu schätzen. Ich nehme sie dankbar an. Wie dumm von mir, dass ich viele Jahre brauchte, um diese Hilfe anzunehmen. 


Heute schreibt der Papa

Heute kommt der Papa zu Wort.

Was sind die Aufgaben des Vaters von seinem Besonderem Sohn? Zunächst ist es natürlich wichtig alle Aufgaben und Kompetenzen genau so zu wissen und können wie die Mama. Jeder Handgriff muss sitzen und man weiß ganz genau was der andere tut. So harmonieren wir als ein perfektes Team. Auch ich übernehme Nachtschichten, richte Medikamente und hänge Infusionen an.

Heute berichte ich von meiner Stärke : Verschiedenste Bau- und Bastel Projekte. Leider werden M. Bedürfnisse oft nicht vom Markt abgedeckt. Das Sanitätshaus hat immer die Möglichkeit etwas " nach Maß" zu fertigen. Das wird allerdings nur selten genehmigt. So fertige ich nach Maß, passe an und optimiere. Zum Beispiel der Rucksack für die Ernährungsbeutel. Der Rucksack, den die Krankenkasse stellt, war schon nach ein paar Wochen kaputt. Die Qualität lässt zu wünschen übrig. So zog ich durch sämtliche Taschen Läden um eine Lösung zu finden. Letztlich stellte sich ein Kinder Fahrrad Rucksack einer bekannten Firma als praktisch dar. Er ist groß genug. Hat eine Schlaufe um die Infusions Beutel zu befestigen und genug Stauraum für Infusions Pumpen und Notfall Medikamente. Ein von mir gefertigte Styropor Einsatz verhindert ein abknicken der Infusionsleitungen.

Ein kleiner Überblick was so alles an Möbel und Gegenstände nötig ist, um unser besonderes Kind gut zu versorgen.

Das Bett: M. Benötigt ein spezielles Therapie Bett. Es ist auf beweglichen Rollen, rundum geschlossen, eine Seite zum aufklappen. es kann in fast jede Position gestellt werden, die man sich nur denken kann. Natürlich mit Tuning by selfmade. Ich schreinerte eine praktische Ablage für Desinfektionsmittel, sterile Kompressen und was man sonst noch schnell griffbereit braucht, wenn man Junior versorgt. Ich bastelte eine spritzen Halterung und eine Vorrichtung, um den Ablauf Beutel abzulegen, ohne dass er ausläuft.

Für die Optik und den wohlfühl Charakter kümmerte ich mich um einen Nachthimmel. Zu dem Bett gehören natürlich auch die Schweine teuren Lagerungshilfen. Damit M. Die richtige Schlafposition hat. Durch seinen Reflux steht das Bett immer schräg, damit er nicht ständig würgen und erbrechen muss. Heizdecke und Wasserdichte Einlagen, Babyphone, Licht und Handyhalter runden das Projekt 'Bett' ab. Achso bevor ich es vergesse, natürlich sind die 50 verschiedene Kuscheltiere nicht zu vernachlässigen.

Am Bett hängt ein Monitor um die Vitalfunktionen wie Sauerstoff Sättigung und Puls zu überwachen. M. Nennt es Leuchtezeh. Nach bestimmten Medikamenten geht die Sauerstoff Sättigung runter. Daher haben wir auch eine Sauerstoff Flasche mit Maske im Schrank, die nach Bedarf in Anspruch genommenen wird.

Die Ernährungspumpe kennt ihr bereits. Die läuft 24 h am Tag. Dazu gehört der Infusionsständer mit Flaschenhalter. An den Infusionsständer habe ich die kleinen Kunstoffrollen mit Inline Skates Rollen getauscht. Die ursprünglichen kleinen plastik Rollen waren ständig durch fussel blockiert. Der Ständer kippte oft um. Durch die Skater Rollen können wir auch mit dem infusions Ständer zügig und nahezu ungehindert unterwegs sein.

Am Infusionsständer ist eine weitere Pumpe angebracht für die Magen/Darmsonde (PEG). Darüber geben wir manche Medikamente. Die PEG Pumpe kann auch an einem Tischständer befestigt werden. Da Junior den nicht tragen konnte, habe ich den auch etwas gepimpt. Durch eine Holzkonstruktion mit Rädern lässt sich dieser Pumpen Ständer nun hinterher ziehen.

Der Therapiestuhl darf nicht fehlen. Das ist eine super Entlastung für M. Er kann darin Sitzen , ohne selbst viel Muskelkraft aufbringen zu müssen. Der Stuhl ist stufenlos höhenverstellbar und lässt sich in alle Positionen einstellen. Er hat Räder und kann so im gesamten Wohnraum genutzt werden. Mal zum sitzen am Esstisch, mal dass M. In der Küche helfen kann oder einfach dabei sitzt.

In M. Zimmer finden wir noch eine Lagerungshilfe damit er am Boden spielen kann. Sein "Sitz U" aus Schaumstoff mit wasserdichten Überzug.

Ein professionelles Ohr Fieberthermometer, wie es die Kliniken haben steht immer Einsatz bereit. So können wir lückenlos und zuverlässig Juniors stark schwankende Körpertemperatur kontrollieren und beurteilen.

Zur Logopädischen Förderung haben wir verschiedenste Kauringe in allen möglichen Härte Graden und texturen. Um unserem nicht essenden Kind dennoch Geschmackserlebnisse zu ermöglichen steht auf unserem Esstisch eine spezielle Pumpe um alle Arten von Flüssigkeit zu schäumen. So kann er beispielsweise etwas apfelsaftschaum in den Mund bekommen. Er schmeckt den Apfel Geschmack, hat aber kein Volumen zu schlucken.

Unser "steriles Zimmer" ist optimal für das sterile arbeiten ausgestattet. Ich habe dafür einen Rollwagen gebaut und diverse Regale angepasst. Ich habe eine Halterung für den Kanülen Abwurf einer entworfen. Ich habe eine Wärmelampe montiert und einen Desinfektionsspender. Ich habe eine optimale Mülleimer Lösung gebastelt um ungehindert und zügig arbeiten zu können. Hier können wir die Infusionen an und abstöpseln, Pflaster frisch machen und wunden versorgen.

Juniors reha Buggy ist ein Wunderwerk. Für den Winter gibt es für unser schnell frierendes Kind noch einen Lammfell Sack dazu. Der buggy lässt sich nach den individuellen Bedürfnissen gut einstellen. Man kann die Sitzeinheit in alle Richtungen kippen und justieren. An dem Buggy lässt sich ein Therapie Tisch montieren auf dem junior spielen oder seine Sachen abstellen kann. Ich habe zusätzlich einen mobilen Infusionshalter montiert. Sein Rucksack mit der Nahrungs Infusion lässt sich dank Haken und Karabiner geschickt verstauen.

Juniors Therapiefahrrad ist toll. Es ist ein Hase Trets. Ein zweispurer (3Rad). Er kann kleine Strecken selber fahren, aber vor allem wird er gezogen als Trailer. M. ist bei unseren Touren voll dabei und hat jede menge Spaß.

Sein spezieller Autositz ist so ausgelegt, dass er lange Strecken mitfahren kann. Sein Rumpf wird gut gestützt und zusätzlich fixiert. Unverzichtbar für ihn.

Es wird viel im rehabereich Angeboten. Oft sind das aber Standardlösungen. Unser M. Ist eben besonders. Er hat besondere Bedürfnisse.

Mein Motto : Geht nicht - gibt's nicht. Und was nicht passt, wird in meiner Werkstatt passend gemacht. Was es nicht gibt, wird entworfen und gebastelt.

Zwischen Herausforderung und Verzweiflung.

Manche Sachen lassen sich leider (noch?) nicht lösen. Zum Beispiel das durcheinander von bis zu 4-5 Schläuchen und Infusionsleitungen. Da wickelt M. sich oft ein, die Leitungen müssen ständig auseinander sortiert werden.

Ich bleibe kreativ. Nehme die Herausforderungen an. Wenn ich mit meinem handwerklichen Geschick dazu beitrage, dass es unser M. eine Spur leichter hat, mache ich gerne immer weiter. Ich säge, schraube, klebe, improvisiere, halte in stand, bohre, hammere, passe an und Bastel so lange das nötig ist. 

In diesem Sinne grüße ich alle teuren Leser, bis bald! 


Das Gehirn

Meine großen sitzen an den Hausaufgaben. Die eine stöhnt und ächzt und sagt ihr Gehirn würde schon rauchen. Die andere hakt gleich ein. Ein Gehirn kann nicht rauchen. Was ist eigentlich das Gehirn, möchte die kleinere wissen. Ich möchte eigentlich, dass sie konzentriert weiter rechnen und antworte knapp mit 'ein Organ'.

Nun sind wir im Thema. Meine eine Tochter sagt, wir haben auch ein Herz, welches Blut durch den Körper pumpt. Die andere berichtet ihr Wissen über die Nieren, die bilden Pipi, das sich in der Blase sammelt. Ich bin erstaunt, was sie alles wissen. Wir sprechen kurz über Magen, Darm und Leber. Über Verdauung und darüber, dass jedes einzelne Organ sehr wichtig ist, um gesund zu bleiben. Meinen Töchtern fällt sofort auf, dass ihr Bruder sehr krank ist, weil das Magen Darm System nicht funktioniert.

So, jetzt haben wir viel besprochen. Jetzt ist es wieder Zeit für Hausaufgaben. Die große möchte noch kurz wissen, für was genau das Gehirn zuständig ist. Ich antworte knapp mit "fürs Lernen" und fordere sie auf, das nun wieder konzentriert zu tun. Beide widmen sich wieder ihren rechen Aufgaben. Ich gehe ins Zimmer nebenan, räume ein bisschen auf.

Nach einigen Minuten höre ich, wie die eine zur anderen sagt "dann hat der M. glaub kein Gehirn, oder?" ich unterdrücken mir ein lautes auflachen. Die große fragt "warum?" die kleinere antwortet trocken "weil der doch behindert ist und nicht lernen kann. Der hat bestimmt kein Gehirn" Ich kann mir das Lachen nicht mehr verkneifen. Lachend komme ich zu diesem Gespräch dazu. Fragend schauen mich meine Töchter an. Ganz sicher sind sie sich beide nicht, hat ihre Bruder nun ein Gehirn oder nicht? Er hat so viele Besonderheiten, da würde diese eine oder andere Besonderheit nicht mehr ins Gewicht fallen.

Nun erkläre ich beiden ausführlicher wofür wir das Gehirn brauchen. Dass das Gehirn alles steuert und ein Leben ohne Gehirn nicht möglich ist. Dass unser M. aber auf Grund seiner Grunderkrankung oft länger braucht um Dinge zu lernen. Sie nehmen die Infos an. Sind irgendwie auch erleichtert, dass M. ein Gehirn hat und sich hier keine neue Baustelle für sie eröffnet hat.

Nun machen sie endlich ihre Hausaufgaben fertig. Ich muss den Tag über immer wieder herzlich lachen, wenn ich an diese Unterhaltung meiner Töchter denke. Herrlich, wie sie sich immer wieder den Besonderheiten ihres Bruders stellen. Sie machen sich Gedanken und erklären sich seine Erkrankung im Rahmen ihrer Möglichkeiten.


Parkplatz Begegnung

Ich bin mit Junior einkaufen. Heute geht es leider nicht anders, ich muss ihn mitnehmen. Ich Parke unser Auto auf einem Parkplatz der mit einem Rollstuhl gekennzeichnet ist. Ich steige aus dem Auto aus, und bin mir durchaus bewusst, dass die Leute gucken werden, das tun sie immer. Denn ich sehe so gar nicht behindert aus. Immer wieder ernte ich verständnislose Blicke. Auch mal unnötige Kommentare- Bis zu dem Zeitpunkt an dem ich meinen Sohn aus dem Auto hole.

Nun kommt eine Frau zügig auf mich zu. Sie weist mich darauf hin, dass ich auf einem Behindertenparkplatz stehe. Ich solle bitte mein Auto umparken. Freundlich sage ich der Frau, dass ich ein schwerbehindertes Kind transportiere. Sie möchte mich gar nicht hören. Ihr Ton wird scharf und laut als sie mich erneut darauf hinweist, dass ich wohl fälschlicherweise auf einem Parkplatz, der für behinderte Menschen reserviert ist, geparkt habe. Ich bleibe ruhig. Sage ihr, dass im Auto mein behinderter Sohn sitzt. Sie schaut mich ungläubig an, dreht sich um und stoliziert zügig weg. Im Weggehen bezeichnet sie mich als egoistisch und ignorant.

Innerlich ärgere ich mich sehr über diese Frau. Sie selbst ist Kundin in diesem Laden. Sie scheint keinen Anspruch auf diesen Parkplatz zu haben. Was will sie von mir?

Hinter meiner Windschutzscheibe liegt der blaue Parkausweis, der mich berechtigt hier zu parken, wenn ich meinen Sohn dabei habe. Dieser Ausweis muss beantragt werden. Es wird sehr streng geprüft, ob wirklich Anspruch auf einen Parkausweis besteht. Offensichtlich hat die Behörde die Berechtigung für M. festgestellt. Mit was für einem Recht, stellt diese Frau das mit ihren scharfen Worten in Frage?

Ich wuchte den schweren Rehabuggy aus dem Kofferraum und öffne die Schiebetür. Mein Sohn schaut mich fragend an. Ich beruhige ihn, es ist alles gut. Ich sortiere all seine Schläuche und Kabel, hole ihn aus seinem kindersitz und setze ihn vorsichtig in den Buggy. Ich achte darauf dass kein Kabel abknickt und dass der Magen Ablauf gewährleistet ist. Ich hänge den Rucksack mit den Infusionen an den Buggy. Überall am Buggy hängen irgendwelche Schläuche oder Kabel, sie alle münden im Körper meines kleinen Sohnes. Ich hole einen Einkaufswagen. Den Buggy schiebe ich mit der einen Hand vor mir, den Einkaufswagen ziehe ich mit der anderen Hand hinter mir her. Ich bin so dankbar um die kurzen Wege, die mir dieser Eingangs nahe Parkplatz ermöglicht! Denn das ist keine sehr gemütliche Art des Einkaufens. Es ist sehr anstrengend.

Ich muss mich beeilen. M. geht es nicht sehr gut. Er möchte am liebsten in sein Bett. Ich betrete den Laden. Die Blicke der Leute nehme ich wahr. Ich beachte sie nicht. Sie machen mir nichts aus. Nur diese eine Frau klebt mit ihren Blicken auf meinem Sohn. Sie starrt. Nicht kurz. Nicht dezent. Sie starrt ihn penetrant an. Verfolgt mit ihren Augen jedes einzelne dieser Kabel. Sie kann ihren Blick nicht abwenden. Es ist die Frau, der ich so unschön auf dem Parkplatz begegnet bin. Sie sagt nichts. Starrt weiter. Als wir gemeinsam vor einem großen Berg Bananen stehen, ist ihr die Nähe zu mir sichtlich unangenehm. Als sich unsere Blicke treffen, frage ich sie, ob sie sich nicht entschuldigen möchte. Sie sagt nichts, macht auf dem Absatz kehrt und verschwindet aus meinem Blickfeld.

Ich erledige meine Einkäufe, dieser Frau bin ich nicht mehr begegnet. Ich verstaue die Körbe und Getränke Kisten im Auto. Ich setze Junior in seinen Sitz und hebe den schweren Buggy in den Kofferraum. Ich fahre nach Hause. Unterwegs denke ich über diese Parkplatz Begegnung nach. Ich freue mich, dass ich ruhig bleiben konnte und gelassen auf ihre Worte reagiert habe. Es ist es nicht wert, mich weiter über sie zu ärgern. Junior singt fröhlich vor sich hin 'Buda jabob schläf a nooooch' Mein toller Junge. Von ihm lerne ich. Von seiner guten Laune, seinem Blick auf die Dinge.

Mein Junge! Wie gut, dass ich ihn habe!


Beutel Alarm

Junior hat ein schweres chronisches Magen Darm Versagen. Deshalb hat er je einen Schlauch durch die Bauchdecke im Magen und einen im Dünndarm liegen. Darüber kann Magen Sekret, Galle etc. in spezielle Beutel nach außen ablaufen. Ohne den Ablauf hat M. starke Schmerzen, Übelkeit und muss häufig erbrechen. So hat er, neben seinen Infusionsleitungen, auch immer zwei Ablaufbeutel, die er hinter sich herzieht. Kontinuierlich läuft gelb-grünes Sekret in diese Beutel. Regelmäßig kontrolliere ich, dass die Sonden gut fördern, ich spüle sie mit Wasser an, ich leere die Beutel und schaue ob sie dicht sind. Wir haben schon verschiedene Modelle durch versucht, leider haben die alle nicht die beste Qualität. Durch Löcher und Risse läuft immer mal wieder galliges Sekret aus. Wenn ich das nicht rechtzeitig bemerke rufen meine Mädels, etwas angewidert, fast panisch 'BEUTEL ALARM!' durchs ganze Haus.

Dieses Wort löst einen Impuls in mir aus, alles fallen und liegen zu lassen um mit Lappen und Putzmittel in Richtung des Beutel Alarms zu rennen. Je schneller ich bin, desto geringer ist der Schaden. Ich entferne den kaputten Ablaufbeutel und putze den Magen Inhalt vom Boden weg. Mal habe ich Glück und es sind nur einige Tropfen auf Fliesenboden. Ein anderes mal waren die Kinder so im Spiel vertieft, dass sie es lange nicht bemerkt haben und ich muss den gesamten Kinderzimmer Teppich reinigen.

Ich sitze endlich auf dem Sofa, einen Kaffe in der Hand. Kurze Mittagspause. M. Ist im Bett. Die großen machen Hausaufgaben. Ein anstrengender Vormittag nach einer schlaflosen Nacht liegt hinter mir. Doch jetzt ist kurz Pause. Ich atme tief durch. Der Kaffee duftet. Da tönt Juniors version von 'beutel alarm' durch den Flur. 'BEUTEL AAAAARM'! Ich stelle den Kaffe zur Seite und renne zu meinem Sohn. 'nass' sagte er. Ich schaue unter die Decke. Er hat so recht. Der Beutel ist ausgelaufen. Und wie. Die Hose ist gelb eingefärbt, ebenso die Matratze, die Decke und der große Stofftier Hund. Ich ziehe Junior aus. Wasche ihn und ziehe ihn frisch an. Ich ziehe das Bett ab,beziehe es frisch. Ich packe Junior wieder ins Bett. Er ist dankbar, nun endlich Pause machen zu können.

Ich trage den riesigen Wäscheberg zur Waschmaschine,fülle und starte sie. Ich wasche meine Hände und setze mich wieder aufs Sofa. Der Kaffee ist mittlerweile kalt. Egal. Hauptsache Kaffee.

Die eine Tochter ist fertig mit den Hausaufgaben, die andere braucht Hilfe. Das wars mit der Mittagspause. Junior weint. Ich schaue nach ihm. Er musste spucken. Das frisch bezogene Bett ist schon wieder voll. Das selbe Procedere wie vor einer Stunde.

Während ich schon wieder einen voll gefüllten Wäschekorb Richtung Waschmaschine trage, denke ich an den Brief der Krankenkasse, der vor einigen Tagen im Briefkasten war. Nach mehreren Widersprüchen wurden nun die Inkontinenz Einlagen für Juniors Bett abgelehnt. Wenn jemand ein Recht auf wasserdichte bettschutz Einlagen hat, dann müsste das doch mein Sohn sein. An irgendeiner Stelle ist er immer undicht. Ich sollte den zuständigen Sachbearbeiter mal für einen Tag zu uns nach Hause einladen. Dann würde er uns Lkw Ladungen voll dieser inkontinenz Bezüge genehmigen. Ich ärgere mich nicht weiter. Fülle eine Waschmaschine nach der nächsten und bin so dankbar um unseren Wäschetrockner, der ebenfalls rund um die Uhr läuft.

An einem anderen Tag trage ich M. die Treppe hoch. Die Mädchen wollen mir zeigen, was sie aus Lego gebaut haben . Oben angekommen setze ich meinen Sohn ab. Er ist ganz schön schwer geworden. Im selben Moment ruft er 'BEUTEL AAAAAAAAARM' Da sehe ich den Schlamassel. Am Fuß der Treppe liegt der Magen Ablauf beutel. Beim hoch nehmen muss ich dran hängen geblieben sein. Das Magensekret läuft trotzdem weiter. Eine Spur schleimigen Magensekrets zieht sich über meine Hose und das gesamte Treppenhaus. Ich bestaune kurz das Lego Kunstwerk und hole dann Putzeimer und Lappen und wischhe spontan das gesamte Treppenhaus. Das war eh mal nötig. Doch heute hatte ich eigentlich gar keine Zeit dafür.

Diese 'Beutel Alarme' sind häufig. Einer dieser beiden Beutel ist immer undicht oder abgefallen. 'Beutel Alarm!' während des Autofahrens, am Esstisch, im Supermarkt oder mitten in der Nacht. Mal sind es kleine Tropfen. Mal riesen Pfützen oder eine ganze Spur. Teppich, Parkettboden, Sofa, Bett oder Kleidung - jeder ist mal dran. Ich bin mittlerweile Profi im Reinigen dieser verschiedenen Oberflächen.

Ich klicke mich durchs Internet. Suche Inkontinent Bezüge für Decken, Kissen und Matratzen. Ich bestelle je eins davon um den Aufwand deutlich zu reduzieren, der ein 'Beutel Alarm' im Bett mit sich bringt.

Die Beutel Alarme gehören dazu, zu unserem oft besonderen Alltag.

Heute kündigt sich eine ruhigere Nacht an. M. ist abends schnell und schmerzfrei eingeschlafen. Ein gutes Zeichen! Ich gehe früh ins Bett um ein paar Stunden Schlaf zu ergattern. Da höre ich es 'BEUTEL AAAAARM' ich sitze sofort kerzengerade im Bett, springe raus und mache mich bereit los zu spurten. Doch im Babyfon ist nichts zu hören. Kein Weinen, kein Protest, kein Wühlen. Stattdessen ein gleichmäßiges, ruhiges atmen. Ratlos schüttel ich den Kopf. Jetzt ist es passiert- der 'Beutel Alarm' beschert mir Alpträume..

Ich gehe trotzdem zu Junior, um mich zu vergewissern dass alles okay ist. Er schläft. Sieht entspannt aus. Schön eingekuschelt. Ganz friedlich. Ich stehe an seinem Bett. Kann es nicht lassen, ihn zu küssen und ihn ins Ohr zu flüstern wie sehr ich ihn liebe. Ich halte die Hände meines schlafenden Sohnes. genieße einen Moment diese Ruhe, diesen Frieden. Auf dem Weg zurück in mein Bett lache ich nochmal herzlich über mich selbst. Ich kann noch ein bisschen schlafen, bevor ich M. Medikamente anhängen muss. Hoffentlich bleibt diese Nacht ruhig, ohne weitere 'Beutel Alarme'!


Pflegedienst

Viele viele Anfragen erreichen mich, ob etwas mit der Technik nicht stimmt, es würden keine neuen Einträge angezeigt. Die Technik funktioniert einwandfrei. Es gibt im Moment keine neuen Einträge.

Wir sind zum ersten mal in fast sechs Jahren an die Grenze des leistbaren gestoßen. Monate lange Klinik Aufenthalte, Schmerzen, niederschmetternde Diagnosen und schwierige Arztgespräche haben uns nie an den Grad der Erschöpfung gebracht wie die letzten Monate.

Der Pflegedienst, die einzige Struktur die etwas Entlastung in unserem Familien Alltag geschaffen hat, hat sich plötzlich und auf eine sehr unschöne Weise aus der Versorgung herausgenommen.

Nun durchwache ich die Nächte am Bett meines Sohnes. Ich versorge ihn mit Schmerzmittel und lagere ihn regelmäßig.

Morgens gibt es kein durchatmen. Frühstück richten, Vesperbrot für die großen vorbereiten, Sportbeutel suchen, erklären warum der rosa Pulli noch nicht gewaschen ist, Zöpfe flechten, Mathetest unterschreiben, schnell den gröbsten Matsch von den Schuhen klopfen und pünktlich zur Schule schicken.

Vormittags Junior versorgen. Medikamente richten, wickeln, Sonden spülen, Bücher vorlesen, spielen, kuscheln, tragen, trösten, immerzu präsent sein.

Mittags ein Mittagessen auf den Tisch bringen, Hausaufgaben betreuen, wieder Medikamente vorbereiten und verabreichen, Ablaufbeutel leeren, kummer aus der Schule anhören, Telefonate mit Ärzten, Apotheken, pflegediensten und Sanitätshäusern führen. Keine Zeit für Mittagspause. Einen Moment sitzen - Fehlanzeige.

Infusionen anhängen, Nahrungs Infusion umstöpseln, peg Verband wechseln, Hickman-Katheter Eintritt reinigen und steril verbinden, einen Krampf mit dem Notfallmedikament durchbrechen, erbrochenes aufwischen. Für die Mädels da sein.

Abendbrot, Kinder ins Bett bringen, eine gute Nacht Geschichte bei jedem von den dreien, ich schleppe mich die Treppe runter, meine Beine würden sich so gern einen Moment ausruhen.

Juniors wimmern tönt aus dem Babyfon, die Pumpe piepst und der Wäsche Berg sollte dringend abgearbeitet werden - es riecht stark nach Galle. Ich organisiere, versorge, arbeite ab. Bis in die Nacht. Wo ist der Tag geblieben?

Es ist 3 Uhr, während ich diese Zeilen schreibe und am Bett meines Sohnes sitze. Ich warte, bis die Medikamente wirken und er zur Ruhe kommen kann. Morgen früh geht es weiter. Zeit zum Schlafen, zum Ausruhen, einfach mal sitzen gibt es seit Monaten nicht mehr. Was würde ich geben, für 2 oder 3 Stunden Pause am Tag. Ich kann M. Nicht bei der Oma lassen oder bei einer Freundin. Wir sind angewiesen auf die Unterstützung von professionellen Pflegern. Mit dem hohen Grad seiner Behinderung und seiner pflege Stufe haben wir Anrecht auf viele Stunden Entlastung durch den Pflegedienst. Das ist ja gar nicht mein Anspruch . Über einzelne Stunden wäre ich so dankbar! Wir haben das Anrecht. Dennoch laufen alle Bemühungen ins Leere.

Die einen wollen ein solch komplexes Kind nicht übernehmen, die anderen haben keine Kapazitäten. Ich bleibe nicht untätig. Mit allerletzte Kraft versuche ich zu vermitteln. Ich organisiere ein Treffen mit den Damen vom Pflegedienst und unserer zuständigen Oberärztin. Leider lassen sie sich auch von ihr nicht dazu bewegen, M. zu versorgen. Telefonate, und Treffen mit dem palliativ Team bleiben ebenso ohne Erfolg. Ich telefoniere mit sämtlichen pflegediensten im Umkreis und schildere unsere Situation. Überall höre ich 'Fachkräfte Mangel'. Es scheint aussichtslos.

Und so mache ich weiter. Jeden Tag. Pausen gibt es nicht und auch kaum Zeit zum Schreiben. Viele Gedanken sind in meinem Kopf und wollen aufs Papier. Doch sie müssen noch warten. Ob den Damen vom Pflegedienst bewusst ist, in was für eine Not sie eine ganze Familie gerissen haben? Es scheint sie nicht sehr zu interessieren. Sehenden Auges lassen sie ein schwerst krankes Kind, seine Geschwister und Eltern ins bodenlose fallen.

Sie zeigen keine kompromisse , keine gesprächs Bereitschaft, keine Kreativität. Keine Motivation Lösungen zu schaffen .

Enttäuschung. Hilflosigkeit. Wut. Erschöpfung.

Dennoch mache ich weiter, was bleibt mir anderes übrig? Ich mache weiter, für meinen Sohn, meine Kinder, meine Familie. Ich mache weiter - aus Liebe


Essgewohnheiten

Wir sitzen am Abendbrot Tisch und unterhalten uns über seltsame Essgewohnheiten. Als unser M. noch essen konnte, mochte er gerne Lyonerwurst mit Apfelmus. Immer wieder sprechen unsere Mädels davon und schütteln sich bei dem Gedanken.

Mittlerweile kennen wir viele behinderte Kinder. Viele haben sonderbare Essgewohnheiten. Da ist der Junge, der alles nur mit einem ordentlichen Schuss Maggi isst. Ein anderer mischt gern sein Schnitzel oder Käsebrot mit Naturjoghurt. Ein sechs jähriges Mädchen, das ausschließlich mit pre folgemilch ernährt ist. Wir sprechen über ein Kind, das ausschließlich Brezeln isst und ein anderes das gerne alles in den Mund steckt, gut kaut und dann in eine Abfallschüssel neben sich spuckt. Wir erinnern uns an einen Jungen, den wir kennenlernen durften, bei dem jeden Tag Milchschnitte auf dem Speise Plan steht. Wir kennen Kinder, die püriertes Leberwurst Brot löffeln und andere, die das Leberwurst Brot in eine Sonde gespritzt bekommen. Unser eigener Sohn nutzt seinen Mund gar nicht mehr zum Essen oder Trinken. Er ist ausschließlich über eine seltsam riechende, weiße infusionslösung ernährt, welche kontinuierlich in sein Blut tröpfelt.

Ich erkläre meinen gesunden Mädchen, dass die Eltern dieser besonderen Kinder einfach froh um alles sind, was die Kinder essen. Man sucht Wege fern ab der Norm, und freut sich über alle Nährstoffe und Kalorien die das Kind zu sich nimmt. Viele hoffen, um eine Ernährungssonde herum zu kommen und werden dabei sehr kreativ. Die Ernährungsform unseres Sohnes ist unter all den Besonderheiten schon nochmal sehr besonders.

Meine Töchter verstehen das und essen genüsslich Ihre Brote. Sie wissen es zu schätzen, essen zu KÖNNEN. Es ist keine Selbstverständlichkeit. Krankheitsbedingt geht es oft auf Grund von motorischen, organischen oder kognitiven Einschränkungen nicht.

Wir wechseln das Gesprächsthema. Ich schneide Gurkenscheiben und schäle Karotten und verteile sie an die hungrige Mannschaft. Gegen Ende des Essens sagt eine meiner Töchter " Gott hat das so gut gemacht , dass er sich so viele verschiedene Obst und Gemüse Sorten ausgedacht hat. So hat jeder die Möglichkeit, etwas gesundes zu essen. Denn irgendwas von alle dem muss man ja mögen." Ich stimme ihr zu. Ja das ist wirklich geschickt. Die andere widerspricht prompt " nein, nicht jeder. Bei behinderten geht das nicht. "

Ich kann mir ein lautes auflachen nicht verkneifen. Ja auch sie hat Recht. Und klare Worte dafür. Es ist ihre Realität. Sie stellt es lediglich fest, wertet nicht.

Einige Tage später erzähle ich jemandem von dieser Unterhaltung . Auch sie ist in der Welt der besonderen Kindern unterwegs, ihr eigenes Kind ist gesund. Sie lacht und erwidert prompt "oh, dann ist mein Kind ja auch behindert. Was der isst wollt ihr gar nicht wissen "

Herrlich, mit was für einer Leichtigkeit man plötzlich über Dinge spricht, die bis vor kurzem noch total komisch und nicht nachvollziehbar waren. Dinge, über die man lieber schweigt, bevor man etwas falsches sagt, beschämt weg schaut anstatt sich über jeden geschluckten Bissen zu freuen. Dinge, die man überheblich verurteilt.

Ich liebe sie. All diese besonderen Kinder. All die kreativen Ideen der Eltern. Ich liebe diese besondere Welt, in der man sich fernab von allen gesellschaftlichen Normen über die kleinen Dinge freut und es feiert, wenn der vierjährige Junge Wasser trinkt, und sogar noch aus einem Glas. Wie schön, dass es diese Kinder gibt. Die Kinder, die uns lehren, dass das scheinbar selbstverständliche nicht selbstverständlich ist - sondern ein Geschenk, ein Grund zur Dankbarkeit. 


Von Schneeflocken

 Es ist ein Herbst Tag. Noch immer ist das pflegedienst Problem nicht gelöst. Junior ist zuhause. Immer zuhause. Non stop fordert er mich. Keine Aussicht auf Entlastung.

Ich spiele, lese Bücher, erzähle Piraten Geschichten , baue Türme und antworte immerzu auf "hum?"(Warum?) . Den ganzen Tag. Jeden Tag. Es bleibt keine Zeit für den Haushalt oder gar für mich. Wenn abends alle Kinder im Bett sind, Räume ich auf, arbeite mich durch Wäsche Berge und stelle die allernötigste Grund Ordnung wieder her.

Heute habe ich einen Joker. In unserer Straße wird eine Baustelle aufgebaut. Wir können vom Fenster aus zuschauen, wie der Bagger anrollt, wie die Straße abgesperrt wird und ein großes Loch gegraben wird. Junior ist begeistert. 'hum Bagger? Hum Loch? Hum Helm auf? Hum Absperrung?' Ich werde fast ungeduldig, warum kann er nicht einfach nur zuschauen? Was würde ich für einen kleinen Moment Ruhe geben.

Ich sorge dafür, dass M. sicher auf seinem Stuhl sitzt und sage ihm, dass ich in den Keller zur Waschmaschine muss. Ich freue mich sogar über den Berg in der Waschküche. Es wird etwas dauern, bis ich hier fertig bin und das nächste 'hum?' beantworten darf. Mit einem Ohr höre ich immer, ob M. mich braucht. Es ist ruhig. Ich sortiere die Wäsche und schalte die Maschine an.

Leise komme ich die Treppe hoch und schaue nach junior. Er sitzt tatsächlich auf seinem Stuhl und beobachtet den Bagger. Er ist ganz fröhlich dabei. Was für ein seltener Moment. Ich greife zu meinem Handy und mache ein Foto. Er bemerkt mich nicht, folgt aufmerksam jedem Schritt der Bauarbeiter.

Ich setze mich aufs Sofa und atme einmal tief durch. Wow. Es ist Stille. Kein piepen der Pumpe, kein weinen vor Schmerz, kein 'hum?' Glücklich schicke ich dieses Foto per WhatsApp an ein paar Kontakte. Ich möchte mein Glück teilen. 'er kann es - er kann sich mit sich selbst beschäftigen. Ein Hoch auf diese Baustelle, sie verschafft mir einen Augenblick Pause!' Auf dem Foto ist Junior von hinten zu sehen, auf einem Stuhl. Er schaut aus dem Fenster. Der Bagger und die Straßenabsperrungen sind gut zu erkennen.

Zügig kommt eine Antwort einer lieben Freundin ' schneit es bei euch??! ' Äh nein, das da draußen ist eine Baustelle. Ich bin verwirrt. Nach einigen Minuten wieder eine Nachricht, dieses mal von jemand ganz anderem 'ist das Regen oder Schnee? ' Wie kommen die alle auf Schnee?! Ich schaue mir das Bild genauer an. Wie Schuppen fällt es mir von den Augen! Es schneit nicht. Es regnet nicht mal! Das was diese lieben Menschen sehen sind einfach nur meine Fenster Scheiben. Ich habe sie länger nicht mehr geputzt. Ich habe einfach keine Zeit dafür. Ich kategorisiere meinen Haushalt in "muss gemacht werden" und "wenn mal Zeit ist". Diese Zeit war schon lange nicht mehr. Klinik, Arzt Termine, kein pflegedienst, durchwachte Nächte. Vieles kam zusammen im letzten Jahr.

Einen Moment ist mir der Zustand meiner Fenster peinlich. Am liebsten möchte ich die Bilder löschen. Doch schnell kann ich hoch erhoben Hauptes darüber stehen. Meine Zeit und Kraft gehört erst meinen Kindern, meinem Mann. Dann dem nötigsten in Haus und Garten. Glänzende Fenster sind sicher nicht das nötigste. Unsere Situation ist definitiv eine ganz besondere. Ich kann und darf mich nicht mit den anderen Mamas um mich herum vergleichen, die offenbar ihre Fenster regelmäßig nebenher putzen und auch sonst top geführte Haushalte haben.

Dennoch setze ich das Fenster putzen eine Priorität nach oben. Sie müssen tatsächlich mal von Staub und schmutz befreit werden.

Junior ruft mich. Ich sage ihm, dass ich auf dem Sofa bin und gleich zu ihm komme. Sofort schallt es über den Flur 'hum sofa?' ich muss lachen. Ich stehe auf, beantworte noch tausend 'hums', bereite Infusionen vor, leere den Ablaufbeutel, spüle die Sonde und ziehe Medikamente auf. Ich mache einen verbandswechsel, wechsel die Windel, ziehe mageninhalt ab. Ich mache ein Mittagessen für die Mädchen, betreue Hausaufgaben, ich tröste und ermutigte. Ich Räume auf, putze erbrochenes, wasche und trocken Wäsche. Ich gebe Schmerzmittel und halte die Hand bis es wirkt. Bis tief in die Nacht.

Und ich frage mich : wann genau mache ich eigentlich die Fenster???


Bonbon Momente

Juniors Geschwister teilen Süßigkeiten, die sie irgendwann mal bei einem Kinder Geburtstag ergattert haben. Ein Bonbon für die große, eins für die kleine. Ein Lolli für die große, dafür bekommt die kleine einen Schokotaler. Jeder bekommt noch zwei Gummibärchen. Ein Kaubonbon bleibt übrig. M. sitzt neben den Verhandlungen, verfolgt alles aufmerksam. Das Kaubonbon soll Mama bekommen, bestimmt die große . Die Mittlere protestieren auf der Stelle. Das ist unfair, M. hat noch gar nichts. Gemeinsam beschließen sie, dass ihr Bruder dieses eine Kaubobon bekommt.

Junior strahlt vor Glück. Stolz hält er das Bonbon in der Hand. Er betrachtet es von allen Seiten. Weiß aber nicht so recht, was er damit machen soll. Die Mädels feuern ihn an, das Bonbon mal zu probieren. "Nur einmal mit der Zunge probieren" reden sie auf ihn ein. M. schaut völlig ungläubig. Absurde Idee, dieses Bonbon mit dem Mund zu probieren. Stattdessen hält er es fest in seiner Hand und freut sich einfach über die Tatsache, auch etwas bekommen zu haben. Ich schaue nur zu. Schreite nicht ein.

Viel später erst traut M. sich, das Bonbon aus dem Papier zu wickeln. Er riecht an der kaumasse, schaut es sich lange an und fühlt die Struktur. Himbeer Geschmack. Dann fasst er den Entschluss und leckt an dem Bonbon. Einmal. Ganz kurz. Er lacht laut auf. Und leckt gleich nocheinmal. Auf seiner Zunge entfacht eine Geschmacks Explosion. M. lacht und jubelt. "Lecker lecker" sagt er. Er leckt ein drittes Mal ganz schnell mit der Zungenspitze und wickelt das Bonbon dann wieder ein. "jetzt satt" sagt er zufrieden und reibt sich den Bauch.

Das Bonbon darf ich auf keinen Fall weg räumen. Er möchte es aufheben. Zum Abendessen packt er es nocheinmal aus. Er leckt einmal, freut sich daran. Ein zweites mal. Dann wickelt er das kaubonbon wieder ein und sagt "Bauch voll".

Ich muss dieses Bonbon mehrere Tage aufbewahren. Zu jeder Mahlzeit hält er ein oder zweimal die Zunge kurz daran. Das macht ihn glücklich.

Morgens möchte er, dass ich dieses Bonbon in eine Vesperdose packe. Sein Vesper für den Kindergarten. Stolz zeigt er es seiner Erzieherin und den anderen Kindern. Während diese ihr Brot und Obst auspacken, wickelt er sein mehrere Tage altes Kaubobon aus und leckt einmal daran. "lecker lecker lecker" lässt er die anderen am Tisch wissen. Er lehnt sich zurück und leckt ein zweites Mal genüsslich. "Lecker lecker!"

Dieses Bonbon nimmt an Masse nicht ab. Er könnte sich daran vermutlich weitere 200 Jahre 'satt essen'. Doch schnell ist das Papier durchgeweicht. Alles schmiert und klebt. Ich sage ihm, dass ich es jetzt weg schmeißen muss. Er fängt an zu weinen und sagt" Ich so großen Hunger" das bringt alles nichts, ich entsoge das klebrige Ding und verspreche ihm, mal wieder so etwas leckeres zu besorgen.

Diese besonderen Bonbon Momente wirken für Außenstehende völlig verrückt. Mich machen sie glücklich. Ich freue mich über die Geschmacks Erfahrung, die mein nicht essender Sohn machen durfte. Ich freue mich über seinen Mut, dass er diesem Bonbon eine Chance gegeben hat und darüber, dass er sich in diesen Momenten als Teil der Tischgemeinschaft fühlen konnte. Ich freue mich über seine Schwestern, die ihm keine Sonderbehandlung entgegen bringen. Ohne sie wäre er niemals in den Genuss dieser Süßigkeit  gekommen.

Mein Sohn wird niemals normal essen, schon gar kein Kaubonbon. Dafür ist sein Verdauungssystem zu krank. Wie schön, dass er so viel Freude bei dem Himbeer Bonbon Geschmack empfindet, das so feiern kann. 

Während ich diese Zeilen schreibe, wird mir wieder einmal klar, wie verschoben unsere Welt ist. Ganz besonders.

Denn du weißt, dass du ein besonderes Kind hast, wenn du dich darüber freust, dass dein Kind mehrere Tage an einem kleinen Kaubonbon lutscht und Du Dir mehr, immer mehr dieser Bonbon Momente wünschst. 


Rasenmäh - Auszeit

Von allen Arbeiten im und um das Haus ist Rasenmähen meine liebste. Ich liebe es wenn der Rasen hoch genug ist und ich den Rasenmäher aus dem Keller schieben kann. Ich starte den Motor, sofort knattert der so laut los, dass ich sonst nichts mehr höre. Kein Telefon. Keine Tür Klingel. Für einen Moment auch kein Kind, was irgendetwas von mir möchte und auch keinen Pumpenalarm. Vor mir liegt eine große Rasen Fläche.

Ich gebe Gas. Nutze diese Möglichkeit als Workout. Im Alltag bleibt kaum Zeit für Sport. So renne ich schwitzend hinter dieser lauten Maschine her und habe endlich die Möglichkeit , meine Gedanken zu sortieren. Gehörtes, gesehenes und erlebtes der letzten Tage zu durchdenken und zu verarbeiten. Ich formuliere Gebete und fasse Entschlüsse.

Heute bleibe ich an einem Gedanken hängen der meinem Herzen weh tut. In letzter Zeit ist mein kranker Sohn an verschiedenen Stellen als 'zu krank' angeeckt.

Er ist zu aufwendig. Zu viel. Ein Problem.

Für die Apotheke, die uns mit allen Materialien rund um die Infusionen versorgt ist unser M. zu viel. Er benötigt zu viele verschiedene Medikamente. Zu viel Material. Er fällt mit seiner sehr komplexen Erkrankung aus dem bekannten Raster. Individuelle Lösungen sind nötig. Das rechnet sich für die Apotheke nicht. Es ist zu aufwendig, neue Medikamente oder spezielle Pflaster in den laufenden Bestand aufzunehmen. Zu teuer. Zermürbend sind die Diskussionen, wieviel Desinfektionsmittel und sterile Handschuhe wirklich nötig sind oder warum M. ein spezielles Pflaster benötigt. Ich frage völlig entnervt, wo denn im Moment das Problem ist und bekomme zur Antwort 'Ihr Sohn ist das Problem '. Das sitzt. Das tut weh. Das bohrt tiefe Wunden in mein Mamaherz.

Mein Sohn ist vieles- er ist Sohn und Bruder, er ist fröhlich, verschmust und sehr geliebt. Und er ist sehr sehr krank. Aber er ist kein Problem!

Er ist zu krank für eine Apotheke.

Für den mobilen kinderkrankendienst ist unser Sohn zu aufwendig. Medikamentengabe über einen zentralen Venenkatheter ist nicht üblich. Wieder fällt M. durch bekanntes Raster. Er ist zu aufwendig. Ein Problemfall . Statt nach einer individuell angepasste Lösung zu suchen bekommen wir die Aussage 'das machen wir nicht, denn das haben wir noch nie gemacht.' Ich gebe meinen Sohn täglich mehrfach Medikamente über diesen Katheter. Für ausgebildete Kinder Krankenschwestern mit jahrelanger berufserfahrung auf Intensivstationen ist das zu aufwendig. Zu kompliziert. Ich frage mich : können sie das nicht oder wollen sie es nicht? Fakt ist : sie betreuen M. nicht weiter, weil er zu krank ist.

Zu krank für einen Kinder pflegedienst.

Für die nahegelegene Kinderklinik ist Junior oft zu speziell. Wir werden weiter geschickt mit Aussagen wie 'auf so Kinder sind wir nicht ausgelegt.' oder 'sowas haben wir noch nie gesehen'.

Er ist also auch zu krank für Kinderärzte in einer Kinderklinik.

Der Rasen ist zur Hälfte fertig gemäht. Ich spüre den Schmerz, die Verzweiflung in mir wachsen. Mein Sohn ist eben wie er ist. Ich kann es ja auch nicht ändern. Ich will es nicht ändern. er ist so gut, so wie er ist!!! Seht ihr alle das denn nicht?

Ja, er ist anders. Doch sind wir nicht alle ein bisschen anders? Ist er tatsächlich ZU anders?

Nein. Das ist er nicht. Er ist gut wie er ist. Perfekt. Wundervoll. Er ist ein fünf jähriger Junge mit vielen Einschränkungen. Ist es nicht der Job der Erwachsenen, es diesem Kind so leicht wie möglich zu machen? Ist es nicht Aufgabe all der Institutionen, die es speziell nur für diese kranken Menschen gibt, diese scheinbaren 'Probleme' auszuhebeln, individuelle Lösungen zu finden und diesem kranken Kind teilhabe zu ermöglichen, Erleichterung zu schaffen!?

 Ich bin fast fertig, nur ein kleines Eck im Garten muss noch gemäht werden. Da fliegt ein Ball auf den Rasenmäher. Ich schrecke aus meinen Gedanken auf und sehe Junior laut lachend in seinem Buggy sitzen. Er hat den Ball geworfen- und er hat sein Ziel getroffen. Ich schalte die lärmende Maschine aus und gehe auf meinen Sohn zu. Er lacht aus tiefsten Herzen, schmeißt die Arme in die Luft und ruft 'tooooor'. Ich werfe ihm den roten Ball zurück, kitzle und knuddel ihn. Ich küsse ihn. Ich halte ihn einen Moment fest in meinen Arm. Er protestiert und sagt 'Ich stark. Ich befreien' wow ja, du bist stark. Du bist spitze. Du bist gut und richtig. Du bist ein Gedanke Gottes.

Ich schalte den Rasenmäher nocheinmal an und schicke ein Gebet zu dem Gott, der meinen Sohn gemacht hat. Ich bete, dass mein Sohn sich niemals selbst in Frage stellt. Dass er immerzu weiß, dass er gut und richtig ist. Dass das Wort 'Problem' nicht so schnell in seinen Wortschatz auftaucht. Ich danke meinem Gott für dieses Kind, für dieses besondere Kind, das er mir anvertraut. Ich danke für meinen perfekten Sohn.

Der Rasen ist fertig gemäht. Ich bin ausgepowert. Das tut gut. Ich Räume den Rasenmäher zurück in den Keller und bestaunen mein Werk. Das Garten sieht wieder so schön aus! Und sofort höre ich es wieder - das Telefon klingelt. Meine eine Tochter braucht dringend ein Pflaster auf ihr aufgeschlagenes Knie. Die andere Hilfe beim Einrad fahren üben. Junior beschwert sich, weil er so alleine in seinem Buggy ist. Seine Pumpe piept schrill. Ich muss dringend die neue Nahrungs Infusion vorbereiten und anhängen. 

Oh wie ich mich auf meine nächste Rasenmäh-Auszeit freue! 


Du weißt, dass du ein besonderes Kind hast, wenn...

.... Die gesunden Geschwister Kinder mit einem Kinder Rollator durch den Garten rennen und 'behindert' spielen ohne sich dabei irgendetwas komisches zu denken. 

... Die Nachbarskinder bei uns im Garten ebenfalls regelmäßig Spaß an diesem Rollator haben, während sie Oma spielen oder Rollator Wettrennen veranstalten. 

... Die gesunden Kinder 'Hochzeit ' spielen und dafür eine Kutsche suchen und ein Besuchs Kind ruft 'M. hat doch diesen tollen Wagen (=Rollator) . Den können wir nehmen!' und kurz später ein 'Brautpaar' auf dem Rollator sitzt, während ein anderes Kind als Pferd diese Kutsche zieht. 


Ist das fair?

Unsere Nächte sind anstrengend. Sehr anstrengen. Schmerzen und Übelkeit rauben meinem Sohn oft den Schlaf. Ich muss ihn viel lagern, ihm Medikamente geben und erbrochenes putzen. Berge an Wäsche liegen jeden Morgen neu im Flur vor seinem Zimmer.

'sucht euch Entlastung' hören wir von allen Seiten. Wir haben uns Entlastung gesucht. Einen Pflegedienst der Abends kommt um Infusionen vorzubereiten und Juniors Nahrungs Infusion umhängt. Ebenso begleitet ihn eine kinderkrankenschwester in den Kindergarten. Trotz, oder gerade mit seiner schweren Erkrankung darf er, wann immer es geht, Stundenweise in einen kleinen kindergarten. Die Krankenschwester versorgt ihn mit Medikamenten und ist in ständiger interventions Bereitschaft. M. liebt es ab und zu hier raus zu kommen. Und ich genieße einzelne Stunden in der Woche etwas Ruhe. Dieses Regime läuft seit einem Jahr mal mehr mal weniger gut. Aber verlässlich.

Nun haben wir einige Tage bevor bei uns der Kindergarten nach den langen Ferien wieder startet erfahren, dass der pflegedienst unseren Sohn vorerst nicht weiter betreut. Ihnen ist nach über einem Jahr eingefallen, dass sie gar keine Qualifikation haben, um an einem zentralen Venen Katheter zu arbeiten.

Seit vielen Tagen sprechen wir mit unseren Kindern, dass am Montag die Schule und der Kindergarten starten. Sie freuen sich darauf. Wir haben bereits Schulranzen und Rucksäcke für das neue Jahr vorbereitet.

Jetzt muss ich meinem Sohn erklären, dass die Mädels in die Schule gehen dürfen. Er muss zuhause bleiben. Und warum? Weil er ist, wie er ist. Krank. Schwach. Auf Hilfe angewiesen. Er weint vor Enttäuschung.

Ist das fair?

Alle Kinder sind nun wieder unterwegs. Alle Eltern können ihren Berufen, ihren Bedürfnissen nachgehen. Allen ist es vergönnt, auch mal Pause zu machen. Alle bringen ihre Kinder in die Schule oder in den Kindergarten. Nur ich nicht. Nur ich bin 24 Stunden an 7 Tagen in der Woche an zuhause gebunden. Habe keine Möglichkeit die Pflege und die Bespaßung meines Sohnes in professionelle Hände abzugeben. Ich bin Pädagogin, Ärztin, Pflege und Putzfrau in einem. Immer. Ohne Aussicht auf Entlastung. Und warum? Weil mein Sohn ist, wie er ist. schwer krank. Schwach. Auf Hilfe angewiesen. Ich weine vor Erschöpfung.

Ist das fair?

Ich liebe meinen Sohn. Ich liebe es, ihn zuhause zu haben. Aber diese Liebe kann mit neuer Kraft und Aufschwung weiter machen, wenn ich mal wieder einige Stunden Schlaf nachholen könnte. Am Limit des Leistbaren wird die Geduld und die Liebe auf eine harte Probe gestellt.

Ist das fair?

Ist das Gleichstellung und Integration wie sie in Deutschland so laut beworben wird? Mein Sohn darf bis auf weiteres nicht in den Kindergarten. Kann auch zuhause nicht von der Pflege versorgt werden, weil regelmäßig Infusionen mit Schmerzmittel über den Katheter braucht. Das dürfen sie plötzlich nicht mehr. Nun müssen wir es als Familie auffangen. Irgendwie nochmal alle Kräfte bündeln und weiter machen.immer weiter. Neben der aufwendigen Pflege, dem Schlafmangel und der emotionalen Belastung muß ich nun auch dafür sorgen, alles rechtliche zu organisieren, dass junior irgendwann wieder von Pflege Kräften übernommen werden kann. Ich muss Formulare von Ärzten zusammen sammeln, Termine vereinbaren und wahrnehmen. Viele Telefonate, viel Organisation und Koordination liegen die nächsten Wochen zusätzlich vor mir.

Weiter. Immer weiter. Im Vollgas Weiter auf unserem Weg auf dem keine Rast, keine Pause vorgesehen ist.

'ihr müsst euch Entlastung suchen' höre ich von allen Seiten und werde innerlich ärgerlich. In der Theorie klingt das schön und gut. Doch in der Praxis hakt es oft gewaltig. Es klingt so einfach, doch der Weg ist oft so anstrengend. 

Ist das fair?


Neulich in der Post

Regelmäßig werden Juniors Blutwerte kontrolliert, ebenso seine Ausscheidungen. Anhand dieser Werte, wird die Rezeptur für seine parenterale Ernährung individuell an seinen Organismus angepasst. So ist er stets gut versorgt mit Vitaminen, Spurenelementen, Fetten, Kohlenhydraten und so weiter.

Nun waren wir wieder für diesen check in der Klinik. Der Arzt nimmt Blut ab, hört auf das Herz und die Darmgeräusche. Er passt Medikamente an und bespricht das weitere Vorgehen. Für Zuhause bekommen wir ein kleines Plastik Röhrchen mit. Wenn M. Stuhlgang hat, sollen wir da etwas abfüllen und zurück in die Klinik schicken. Der Stuhlgang wird im Labor auf mögliche Entzündungen oder Blutungsquellen im Darm untersucht.

Das erste mal hat es sich komisch angefühlt, Stuhlgang in ein Röhrchen zu füllen. Mittlerweile gehört es einfach dazu.

Junior tut sich nach wie vor immer schwerer mit der Grobmotorik. Stehen und sitzen wird zusehends anstrengender. Sprachlich dagegen macht er weiterhin große Fortschritte. Er lernt neue Worte. Reiht sie aneinander. Man kann sich schon ziemlich gut mit ihm unterhalten. Er kommentiert alles. Sein absolut wichtigstes Wort im Moment ist 'hum?' - 'Warum?' er möchte wissen was ich tue und warum. Er möchte Zusammenhänge verstehen und seine Welt sortieren.

Ich sage ihm zum Beispiel dass heute die Oma kommt- er fragt 'hum?'

ich sage ihm, dass ich jetzt in die Küche gehe das Mittagessen koche- er fragt 'hum?'

Ich gebe ihm Medikamente - er fragt 'hum?'

Er möchte auch seinen Körper verstehen. Immer mehr nimmt er die Unterschiede zu gesunden Kindern wahr.

Er hat Stuhlgang in der Windel. Beim Wickeln fülle ich etwas in das besagte Röhrchen. Junior fragt 'hum?' Ich sage ihm, dass wir das gleich mit der Post in die Klinik zu Dr H. schicken. Er fragt 'hum?' sie möchten schauen, ob mit dem Bauch alles gut ist.

Ich verschließe und verpacke das Röhrchen sorgfältig. Mein Sohn folgt jedem meiner Handgriffe sehr aufmerksam. Ich sage ihm, dass Dr H. sich bestimmt sehr freuen wird über die Post von M. Dann packe ich ihn in seinen Buggy und laufe mit ihm zur kleinen Post Filiale in der Nähe. Das Röhrchen in dem Briefumschlag ist schnell vergessen. Wir schauen dem Traktor zu, der gerade eine Wiese mäht. Wir beobachten die Vögel und genießen die warmen Sonnenstrahlen auf unserer Haut.

Bei der Post gebe ich den Briefumschlag ab und bezahle das Porto. Ich möchte mich gerade verabschieden, das sagt M. 'da kacka drin'. Innerlich lache ich. Äußerlich versuche ich diese Situation einfach zu übergehen. Ich sage zu M. Dass wir fertig sind und jetzt gehen. Er schaut die nette Dame hinter dem Plexiglas an und sagt laut und deutlich 'da kacka drin.' Die Dame am Post Schalter hält verwirrt unseren Brief in der Hand. Okay, ich muss das hier irgendwie retten. Ich sage zu meinem Sohn, dass ich das kacka aus seiner Windel raus mache, sobald wir Zuhause sind. Er wird ärgerlich 'nicht Windel kacka. Brief kacka!' sagt er laut und erstaunlich deutlich. Ich lächle nett und sage 'ja da ist auch kacka drin.' Die nette Dame sortiert den Briefumschlag zügig in eine Box, in der bereits viele Briefe für den Versand bereit liegen. Ich verabschiede mich freundlich und denke mir, dass ich so schnell nicht mehr hier her kommen kann. M. Plappert fröhlich weiter' riesen riesen kacka. Soooo groß! ' er lacht und fügt hinzu' Dr H. freuen! '

Ich schiebe den Buggy schnell aus der kleinen Post Filiale und laufe einige Meter den Gehweg entlang , bevor ich ein ernstes Wort mit ihm sprechen möchte. Aber was soll ich ihm sagen? Er hat ja nur erzählt, was er vorher genau beobachtet hat. Er hat übertrieben, ja. Aber ist das ein Grund ihn zurecht zu weisen? Nein. Ich entscheide mich stattdessen herzlich mit ihm zusammen zu lachen. Was für eine urkomische Situation. Wir lachen noch etwas zusammen, Junior versteht nicht über was wir lachen, prustet aber und schüttelt sich. Dann schiebe ich ihn nach Hause. Er ist müde. Lacht aber immernoch. 

Ja, ab und zu verschicken wir ein kleines bisschen Stuhlgang... Oder kacka. Das ist er, unser besonderer Alltag mit besonderem Kind.


Du weißt, dass du ein besonderes Kind hast, wenn...

... Dein Altglas so aussieht : 

... Du abends die Medikamente für den nächsten Morgen bereit stellst und das so aussieht :