Wie es weiter ging

Und dann geht alles ganz schnell. Knapp eine Stunde nach einem sehr ehrlichen Telefonat mit dem zuständigen Oberarzt hatten wir einen Ersatz Termin, der für uns als Familie machbar war.

Dieser Arzt hat mich wirklich gehört, die auswegslosigkeit verstanden und er hat sich aktiv um eine Lösung bemüht. Er kennt mich, er kennt M. und unsere Familie seit Jahren. Er weiß dass wir eigentlich immer alles möglich machen können. Dieses Mal sind uns die Hände gebunden. Zum vorgesehen Termin gibt es (ohne Baby) keine Chance.

Dieser Arzt setzt alles in Bewegung. In Windeseile ist ein Team, welches diesen Eingriff routiniert durchführen kann, zusammen gestellt. Andere Patienten werden verschoben und die nötigen Räumlichkeiten reserviert. Was für ein entgegenkommen der Klinik!

Ich zögere keinen Moment und beginne sofort mit allen Vorbereitungen. Ich suche alle nötigen Papiere zusammen, packe Klamotten für Papa und Sohn und eine große Tasche mit Pflegeutensilien für M. Ich treffe Absprachen mit dem Pflegedienst, Ich tanke unser Auto und lade dann alle Taschen und den Rehabuggy in den Kofferraum. Ich verabschiede meine zwei Männer und nehme mir fest vor entspannt zu bleiben.

Junior und Papa können das.

Die Ärzte wissen was sie tun.

Es ist der Job des Anästhesisten auf meinen jungen aufzupassen.

Ich versuche mir einzureden, dass alles gut wird. In Wahrheit ist dieser Tag für mich eine große Herausforderung. Ich habe so große Angst, dass M. etwas passiert. Eine unkontrollierbare Blutung, Schwierigkeiten während der Narkose. Wir hatten schon so viele Katastrophen. Was wenn heute auch eine passiert - und ich bin nicht da?

Ich bin doch seine Mama!

Ich brauche mindestens zwei Stunden zur Klinik. Und ich würde ja nicht einmal dort rein kommen. Ich dürfte nicht zu ihm. Nicht seine Hand halten wenn es ihm schlecht geht. Das tut meinem MamaHerzen weh!

Meine Gedanken sind bei meinem Sohn der so weit weg von mir in den Händen der Ärzte ist. Ich schicke viele Gebete zu dem Gott an den ich glaube. Ziellos Streuner ich durchs Haus. Der Haushalt bleibt liegen. Bis endlich diese Nachricht kommt :

alles ist gut!

Es geht ihm gut. Der Eingriff ging viel besser als erwartet. Kein bluten, keine Katastrophen. Millionen Steine fallen mir vom Herzen. Alles ist gut. Vom Einschlafen bis zum Aufwachen. Alles ist gut. Ich bin unfassbar dankbar.

Zurück vom Aufwachraum übernimmt Papa die komplette Pflege. Wenn Junior spuckt bezieht er das Bett frisch. Er katheterisiert alle drei Stunden, lagert Junior und hängt sogar die Medikamente an den zentral venösen Zugang an. Den ganzen Tag und durch die gesamte Nacht. Unterstützung durch die Pflege? Fehlanzeige. Die sind völlig überlastet. Die Station ist voll, die Zeit fürs einzelne Kind überschaubar.

Es wird es mir schlecht bei dem Gedanke, Junior wäre hier alleine. Erschreckend, wie wenig Zeit für ihn wäre! Das würde nicht einmal für die Grundversorgung reichen- waschen, wickeln, Medikamentengaben. Wer würde ihn katheterisieren? wer wäre da, wenn es ihm schlecht ist oder er Schmerzen hat? Gäbe es jemand, der Zeit hätte eine Runde uno mit ihm zu spielen? Die Pflege kann das schlicht nicht leisten. Die rennen sich auch ohne die eins zu eins Versorgung eines Kindes wie meinem die Füße wund. 

Die Klinik hielt es bis zu letzt als machbare option, M. das alles ohne Eltern zuzumuten. In der Theorie mag das gut funktionieren. Die Erfahrung aus der Praxis zeigt etwas ganz anderes.

So schnell es geht, holen wir M. Nach Hause. Hier haben wir durch den ambulanten Pflegedienst tatsächlich mehr Unterstützung als in dieser großen Kinderklinik. Leider wird er noch in der ersten Nacht zuhause sehr krank. Er bekommt hoch Fieber, das Atmen fällt ihm schwer, er hat schlechte Sauerstoff Sättigungen im Blut. Zusammen mit unserem ambulanten Kinderpflegedienst und unserer Kinderärztin vor Ort versorgen wir M. weiterhin Zuhause. In die Klinik zu gehen ist zu Pandemie Zeiten für Familien wie unsere kaum eine Option.

Es macht mich traurig, dass die Verlierer dieser Pandemie die schwächsten der allerschwächsten Sind-

die schwerst kranken Kinder!

Die Familien, die durch diese schwere Krankheiten der Kinder schon so viel Last zu tragen haben, bekommen noch mehr Hürden in den Weg gestellt.

Was ich mir wünsche, für uns und all die Familien in ähnlichen Situationen ist:

dass dieser Regel Wahnsinn auf kranke Kinder und deren Familien angepasst wird.

Dass diese Kinder nicht als kleine Erwachsene abgehandelt werden.

Dass es Möglichkeiten der individuellen Absprachen gibt.

Dass die medizinische Versorgung nicht derart schwer bis unmöglich gemacht wird.

Ich wünsche mir, dass hinter allen pandemisch sinnvollen Auflagen, Einschränkungen und Regelungen die Menschlichkeit nicht verloren geht!


Im ernst?

Junior muss operiert. Dieser Eingriff wurde seit August aus verschiedenen Gründen immer wieder verschoben. Doch dieser Termin steht.

Wir haben alles drum herum organisiert. Papa muss leider arbeiten. Die Mama geht mit M. In die Klinik. Das fünf Wochen alte Baby muss mit. Das ist nicht ganz optimal, lässt sich aber nicht anders lösen. Das Baby wird tagsüber im Tragetuch bei mir sein, Nachts im Kinderwagen schlafen. Ich denke so ist es gut für alle. Die Betreuung der zwei großen Schwestern ist sichergestellt.

Am Mittwoch ist die Aufnahme in der Kinderklinik geplant. Am Freitag abend kommt ein Anruf aus der Klinik, dass das Baby nicht mit kommen darf. Die Corona Bestimmungen sind nun strenger ,ein Besucherstop wurde im gesamten Klinikum angeordnet und das Baby zähle als Besuchsperson.

Was? Sie ist doch erst fünf Wochen alt. Zur Antwort erhalte ich dass diese Regelung für Babys ab der 4. Lebenswoche gilt. Im ernst?

Okay, Wir planen um. Wir sind ja flexibel, wann immer es geht. Zur OP Vorbereitung gehe ich ambulant mit Sohnemann und Baby. Ambulant darf es mit in die Klinik, aber nur mit einem offiziellen negativen Schnelltest. Mein Mann bekommt freundlicherweise spontan Urlaub und macht den stationären Aufenthalt mit Junior. So der Plan.

Ich mache im offiziellen Testzentrum Termine zum Corona Abstrich für mich, Junior und das Baby. Hoffentlich geht das gut! Mein Sohn ist traumatisiert durch viele Sonden, Schläuche und Schmerzen im Gesicht. Jedes Zähne putzen ist schwierig. Nase putzen unmöglich. Haare schneiden bereitet ihn unglaublich viel Stress. Nun bin ich gespannt, wie er das mit dem Abstrich im Testzentrum macht. Ich bespreche alles vorher mit ihm. Ich motiviere ihn, spreche ihm zu, dass er das kann. Er stimmt mir zu. Er ist groß und stark und er kann kurz still halten für einen Nasenabstrich.

Wir fahren zum Testzentrum. Die erste Hürde : wir kommen mit dem Rolli gar nicht da rein. Keine Chance. So stelle ich das Baby in der Babyschale auf den Schreibtisch auf dem Viele Tests und Listen bereit liegen und hieve anschließend meinen Sohn aus dem Rolli und die Treppen hinauf. Die nette Dame begrüßt uns und fragt ob ich einen Termin habe. Ich zeige auf meine beiden Kinder und sage, dass wir alle drei einen Termin haben. Sie staunt und erklärt mir, dass das Baby keinen Abstrich braucht. Viel zu klein. Ich erwidere, dass die kinderklinik diesen Test fordert. Ungläubig berichtet sie, dass das jüngste Kind was sie je abgestrichen hat drei Jahre alt war. Sie lässt sich überzeugen und popelt mit dem Wattestäbchen unsicher in dem winzigen Näschen meines 5 Wochen alten Babys. Die Nervosität ist ihr anzusehen. Dafür ist sie nicht ausgebildet. Mein Baby lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und verschläft die Prozedur. Gott sei Dank. Der erste Stein fällt von meinem Herzen.

Nun streicht sie mich ab. Eine Sache von Sekunden.

Dann ist mein Sohn dran. Tapfer setzt er sich auf den Stuhl und hält entschlossen die Nase Richtung Abstreicherin. Er möchte das hier gut machen. Doch als die Frau mit dem Wattestäbchen auf ihn zukommt kommt die Angst, die tief in ihm verwurzelt ist, durch. Er dreht den Kopf weg, hält sich die Hände vors Gesicht und weint. Die freundliche Dame spricht ruhig auf ihn ein. Das ist doch alles nicht schlimm. Gleich vorbei. Sie macht ganz vorsichtig. Es gibt kein durchkommen zu meinem Sohn. Die Angst überwiegt. Ich nehme ihn auf meinen Schoß, halte seine Hände fest. Mit seinen sechs Jahren ist er mittlerweile ziemlich stark. Er zappelt und möchte sich aus meinem Griff befreien. Er strampelt mit den Füßen und wirft den Kopf hin und her. Ich halte ihn fest, so gut ich kann. Die Frau ist völlig überfordert. Ich bitte sie einfach schnell zu machen. Sie traut sich nicht. Junior schreit verzweifelt und die schlange derer, die nach uns einen Termin haben wird immer länger. Drei Minuten sind pro Test geplant. An die drei Minuten kann sich mein schwerbehindeter, traumatisierter Sohn nicht halten. Er ist nunmal kein kleiner Erwachsener, er ist ein Kind, ein sehr besonderes Kind mit sehr besonderen Bedürfnissen. Ich bin durchgeschwitzt, das Baby mittlerweile wach um am schreien, mein Sohn ist in Schockstarre und die abstreicherin in Tränen aufgelöst. Sie entschuldigt sich schluchzend bei meinem Sohn, stammelt etwas davon, dass sie sowas noch nie gesehen hat und dass sie nicht glauben kann, dass eine Kinderklinik soetwas verlangt.

Ich verlasse diesen Raum mit meinem blassen Sohn, trage ihn die Treppe runter und setze ihn in seinen Rollstuhl. Ich hole mein Baby und mache mich mit beiden auf den Weg zum Auto. Ich spüre die Blicke der wartenden an meinem Rücken, bzw auf meinem Sohn haften. Sie haben ihn minutenlang schreien gehört. Da ist Unverständnis, da ist Mitleid, da ist Fassungslosigkeit.

Ich sehe ein, dass mein Sohn nicht ohne negativen schnelltest in die Klinik darf! Das ist eine sinnvolle Maßnahme zur Sicherheit aller. Aber solche besonderen Kinder können nicht mit der großen Masse in einen Topf geworfen werden. Das Regelwerk, die Abläufe müssen in der Pädiatrie, vorallem in der Neuropädiatrie dringend angepasst und umsetzbar gestaltet werden! Hier hätte es geschultes Personal gebraucht, Personal aus der Pädiatrie. Personal das weiß, wie man effektiv festhält und dann das "Augen zu und schnell durch" Prinzip umsetzen kann.

Diese Begegnung hat alle Beteiligten maßlos überfordert.

Mit diesen Testnachweisen fahren wir in die Kinderklinik. Die eineinhalb Stunden Autofahrt steckt mein Sohn heute gut weg. Wir passieren die Sicherheitskontrollen. Zeigen die Testergebnisse und genesenen Zertifikate vor und melden uns in der Ambulanz der Kinderklinik an.

Als erstes steht ein pcr Abstrich an. Gleiches Procedere. Junior ist motiviert es heute besser zu machen. Er kooperiert super, bis zu dem Zeitpunkt an dem das wattestäbchen sich seinem Gesicht nährt. Es braucht zwei Leute um ihn festzuhalten. Aber hier gibt es diese Routine. Der Krankenpfleger bleibt cool und arbeitet so schnell es geht. Zur Belohnung gibt es ein Piraten Fernrohr. Klar, auch hier total doof und Stress pur für Junior. Aber in einem geschützten Rahmen, mit geschulten Personal, Räumen und Zeiten die auf Kinder eingestellt sind eine ganz andere Sache!

Wir gehen in die Anästhesie Ambulanz zur Narkose Aufklärung, sprechen mit dem Arzt, der diesen Eingriff macht. Es wird Blut abgenommen und Junior wird neurologisch untersucht. Das Baby ist den Tag über in der Trage an meinem Bauch. Zum stillen setze ich mich in ruhige Ecken. Alles klappt gut. Wir fahren nach Hause.

Morgen früh kommt M. mit Papa auf Station. Wenn da nicht der Anruf am Abend wäre, in dem uns mitgeteilt wird, dass der pcr test positiv ausgefallen ist. Der Eingriff ist abgesagt.

Mir fehlen die Worte! Im Ernst?? Kann das wirklich sein?! Die corona Infektion von meinem Sohn liegt viele Wochen zurück. In der akuten Infektion war seine Viruslast schon sehr gering. Könnte ein messsfehler, eine Verwechslung vorliegen? Die Klinik verneint.

Ich verstehe gar nichts mehr, als ein Kontroll pcr Test eineinhalb Tage später absolut negativ ausfällt! Wurde alles zu schnell abgesagt? War alles um sonst? Gibt es falsch positive Tests? Die einen sagen ja, die anderen schließen das aus.

Wie auch immer. Dieser Eingriff sollte aus ärztlicher Sicht schnell nachgeholt werden. Wir bekommen tatsächlich einen zügigen Ersatz Termin.

Bevor M. aber tatsächlich aufgenommen wird, braucht es einen Klinik internen pcr Test - Und bevor wir in die Klinik dürfen um den pcr Test durchführen zu lassen, brauchen wir ein negatives Testergebnis von einer offiziellen Teststelle! Ich glaube nicht, was ich da höre!

Im ernst!?!

Ihr kennt doch dieses Kind seit Jahren. Ich wisst um die Schwierigkeit, dass er sich nicht ins Gesicht fassen lassen kann. Ihr habt ihm unzählige Sonden in die Nase geschoben Beatmungsschläuche durch den Mund und ihr habt ihn noch und nöcher am Kopf gestochen. Ihr seid doch die Fachleute, die wissen müssten, woher diese tiefe Angst kommt.

Unmöglich kann ich mit ihm je nochmal in dieses Testzentrum gehen. Ich könnte ein anderes versuchen, doch die Szene würde sich eine zu eins wiederholen.

Ich bitte die Klinik verzweifelt, zu prüfen ob der Schnelltest vor dem pcr Test tatsächlich nötig und sinnvoll ist. Ich bitte sie, im Sinne und zum Wohl des Kindes zu entscheiden. Es bleibt die Antwort abzuwarten. 

Ein weiteres Problem : zu diesem Termin kann Papa auf keinen Fall frei bekommen um M. zu begleiten. Es geht nicht. Keine Chance. Ich schildere die Situation und frage, wie wir das gelöst bekommen. Als Antwort bekomme ich, dass entweder das Baby abzustillen sei oder die OP meines Sohnes abgesagt werden müsse. Wieder bin ich völlig sprachlos.

Im ernst?! 

Diese Kinderklinik meines Vertrauens lässt mir diese zwei Optionen - mein fünf Wochen altes Baby abstillen und fremd betreuen lassen oder eine notwendige OP bei meinem schwerst kranken Sohn absagen?!?

Das Baby ist gerade erst geboren, fünf Wochen alt! Das Stillen klappt nach anfänglich Schwierigkeiten jetzt erst richtig gut. Und die empfehlen , das jetzt zu beenden!? Die Vorteile des Stillens und die dringende allgemeine Kinderärztliche Empfehlung zum Stillen brauche ich hier nicht erwähnen.

In mir wächst die Verzweiflung. Und diesen Eingriff nochmal verschieben? Medizinisch gesehen keine gute Idee. Sonst schwebt uns hier die nächste Katastrophe ins Haus. Ich gehe alle Möglichkeiten durch, die bleiben.

Junior könnte alleine in die Klinik gehen. Er wäre alleine beim Zugang legen, alleine wenn er zur Narkose einschläft und aufwacht. Er wäre alleine wenn er Schmerzen hat und wenn er sich übergeben muss. Aber wenn das die letzte Möglichkeit ist, ihm diesen dringend notwendigen Eingriff zu ermöglichen, muss ich offen dafür sein. Die Station muss allerdings die Pflege komplett gewährleisten. Katheterisieren, Infusionen anhängen, umstöpseln, wickeln, lagern... Ein full-time job tag und Nacht. Prompt bekomme ich als Antwort, dass die Station voll ist und solch aufwendige eins zu eins Betreuung nicht zu leisten ist.

Die Verzweiflung wächst immer weiter. Gleichzeitig keimt unverständnis und auch ein bisschen Wut.

Nochmal : Ich verstehe alle corona Schutzmaßnahmen, ich finde sie gut und absolut notwendig! Aber müsste hier nicht die Möglichkeit sein ein ganz klein bisschen von den Vorgaben abzuweichen? Erwarte ich zu viel?

Ich biete an, mit dem Baby die Tage und Nächte vor der Stationstür zu verbringen. Für das Baby ist es egal,es schläft im Kinderwagen. Mir reicht ein Stuhl. Jede Stunde kann ich zur Pflegerunde auf Station zu meinem Sohn. Zwischendurch im Flur mein Baby versorgen.

Sogar das wird kategorisch ausgeschlossen. Dieses kleine Menschlein, was die meiste Zeit des Tages in seinem Kinderwagen schlafen würde, ist eine zu große Gefahr für die Klinik. Es könnte einen unkontrollierten Corona Ausbruch auslösen.

IM ERNST?

Das ist doch absurt. Fernab von jeglicher Vernunft.

Was bleibt?

Diesen Eingriff absagen, hoffen dass es noch eine Weile gut geht und in absehbarer Zeit als akuter Notfall eingeliefert werden.

Im Ernst?

Ist es das, was im Sinne einer großen Kinderklinik ist? Ist es das, was die Verantwortlichen corona beauftragen der Klinik verantworten möchten?

Ich spüre, wie einzelne Ärzte und Pfleger sich in unsere Situation tatsächlich einfühlen und gerne etwas ändern würden. Doch die Regeln sind klar. Ausnahmen sind nicht vorgesehen.

Ein strenges Regelwerk zu Pandemie Zeiten wie diese - ja! Aber doch nicht ohne die Möglichkeit in solchen Situationen eine spontane Ausnahme zu gewähren. Eine Ausnahme, die meines Erachtens null Risiko für die Klinik birgt! Es geht um ein kleines Baby. Ein Baby das mit einem Tagesaktuellen Test kommt, ein Baby das sogar schon genesen ist!

Nach unzähligen Telefonaten, stundenlangen grübeln wie wir das machen können, viele Ideen und Vorschläge die abgeschmettert wurden später, sitze ich nun verzweifelt hier und schreibe weinend diese Sätze. Mein Sohn liegt in seinem Bett, er singt und kichert vor sich hin. Mein toller Sohn! Das Baby liegt auf meinem Schoß, es grinst im Schlaf. Dieses Baby, ein absolutes Wunschkind ist so perfekt. So wunderschön. Meine Liebe zu den Kindern sprudelt nur so über. Wie gut, dass ich sie habe! Sie sind ein so wertvolles Geschenk. Ganz kostbar. 

Ich mache mich frei davon, dass sie ein "Problem" oder gar eine "Gefahr" für andere sind. So ein Quatsch! 

Dennoch ist in mir auch Verzweiflung. Auswegslosigkeit. Angst vor dem unkontrollierbaren akuten Notfall.

 


Ich melde mich zurück

Hiermit melde ich mich zurück aus einer viel zu langen Schreibpause.

Viele spontane Krankenhaus Aufenthalte forderten Spontanität und Improvision von uns als Familie. Hochschwanger verbrachte ich die Nächte auf einer klapp Pritsche neben dem Krankenbett meines Sohnes und betete um eine Stabilisierung des gesundheitlichen Zustand meines Sohnes und darum, dass unser viertes Kind noch auf sich warten lässt, bis M. wieder etwas stabiler ist.

Im September war Juniors Einschulung . Er hat so lange auf diesen Tag gewartet, war so voller Vorfreude und er war auch ganz schön aufgeregt. Er hatte ja kein Bild davon, was ihn erwartet. 'Schule' war für ihn ein abstrakter Begriff. Ein schöner Begriff, denn man muss ganz schön groß sein, um in die Schule zu dürfen. Der Tag der Einschulung war wunderschön. Die Schule hat die Aufnahmefeier so schön und so voller Liebe gestaltet. Hier ist jedes Kind willkommen. Keines ist zu aufwendig, zu kompliziert oder zu anders. Jedes dieser Kinder ist hier genau richtig, so wie es ist. Jedes Kind wird persönlich mit Namen, einem kleinen Geschenk und Applaus begrüßt.

Und nun geht er los, der Schulalltag. M. wird Kräftemäßig keine komplette Schulwoche schaffen. Er geht an zwei bis drei Tagen in der Woche für je drei Stunden in die Schule . Immer dabei ist eine Kinderkrankenschwester. Denn auch in der Schule ist M. auf sterile Medikamentengaben angewiesen, das Katehterisieren muss ebenfalls in den Schultag integriert werden, die ständige interventionsbereitschaft für einen medizinischen Notfall muss gewährleistet sein. So packe ich nun seinen Schulranzen für den nächsten Tag. Er braucht, wie jedes Schulkind ein Mäppchen. Außerdem Windeln, Feuchttücher, Einmalkatheter, verschiedene Medikamente als kurzinfusionen, Spritzen, Kompressen, das Notfall Medikament und jede Menge verschiedene Desinfektionsmittel. Für das gemeinsame Essen in der Schule packe ich einen Lolly ein oder eine Teelöffelspitze Kakaopulver. Manchmal isst Junior davon.

Der schulranzen ist ganz schön voll mit besonderem Equipment für meinen besonderen Sohn.

Wir gewöhnen uns an den neuen Alltag, die neuen Abläufe und an die neuen Herausforderungen. Es läuft gut. M. liebt die Schule, seine Lehrerin und die Kinder in seiner Klasse. Es sind 5 Kinder. Jedes für sich ist ganz einzigartig, ganz besonders liebenswert. Ich bin unendlich dankbar, dass es M. in der Schule so gut geht.

Alles läuft super, als uns plötzlich völlig unverhofft ein Anruf der Krankenkasse erreicht, um uns mitzuteilen, dass unser Sohn keinen Pflegedienst im Alltag mehr braucht und die Zahlungen hierfür ab sofort eingestellt werden. Das muss ein Scherz sein! Schnell wird mir jedoch klar, dass dieser Herr am anderen Ende der Leitung nicht zum Scherzen aufgelegt ist. Die meinen das wirklich ernst. So schreiben wir Stellungnahmen und Widersprüche. Wir kontaktieren sämtliche Fachärzte und bitten sie um Begründungen, warum Junior auf die Unterstützung des Pflegedienstes im Alltag angewiesen ist. Wir telefonieren mit Sachbearbeitern der Pflegekasse und kontaktieren den medizinischen Dienst. Nun wird erneut geprüft, uns bleibt nur das abwarten.

Der Einzug eines Welpen, der schulwechsel der großen, eine längere Krankheitsphase der gesamten Familie, herausfordernde Situationen mit dem Pflegedienst der hier ein und ausgeht, die Geburt unseres vierten Kindes und vieles mehr runden diese irre vollen Wochen ab.

Die Leute fragen mich, wie ich das mache? Das 'wie' kann ich nicht beantworten. Ich mache. Und ich liebe diesen Alltag, meinen vollen Chaos Alltag. Ich nehme die Herausforderungen an, ich lasse mich nicht in die Knie zwingen. Ich mache immer weiter. Ich begegne den Herausforderungen mit Humor, wann immer es geht mit Leichtigkeit und ich habe ein ganz großes "ja" zu den Umständen in denen wir leben. Ein ganz großes "ja" für die Besonderheiten meines Sohnes und alles was das mit sich bringt. Das ist unser Leben. Mein Sohn motiviert mich weiter zu machen. Nicht nur ein bisschen, sondern mit aller Kraft. Er lebt es mir vor. Und so mache ich weiter. Getrieben von der Liebe von und zu meiner Familie. Getrieben von den Alltags-Glücks-Momenten, die das Leben unbezahlbar wertvoll machen. Von dem Lachen meiner Kinder. Und immer wieder halte ich kurz inne und staune darüber, wie reich ich beschenkt bin. Ich staune über meinen tollen Mann, meine wundervollen Kinder und soviel Gutes was uns begegnet. Ich bin glücklich, ein richtiger Glückspilz. Und so begegne ich den nächsten großen und kleinen Herausforderungen und freue mich auf jeden neuen Tag. Mir ist bewusst, dass jeder Tag ein Geschenk ist. Jeder unbeschwerte Moment ein kostbarer Schatz. Ich Fülle diese Tage und Momente mit Leben.

Langsam Pendelt sich hier wieder Alltag und Routine ein. Und nun möchte ich wieder schreiben. In mir haben sich die Worte und Gedanken nur so angestaut. Es gibt so vieles, was zu Papier gebracht werden möchte. Geschichten mit der Krankenkasse, Telefonate mit dem Gesundheitsamt oder Aspekte aus einem Alltag mit besonderem Kind zu Pandemie Zeiten. Ich möchte schreiben, ich hoffe es gelingt mir wieder regelmäßiger.

Danke an alle Leser für die Geduld und das regelmäßige vorbei schauen auf diesem Blog. Eine ruhige Adventszeit euch allen - und bis bald


Schule

Unser M. ist mittlerweile sechs Jahre alt. Ich staune wie schnell die Zeit vergeht und gestehe mir ein: auch unser besonderer Sohn wird jetzt groß. Wenn er auch in der Entwicklung weit zurück hängt so hat er doch körperlich die Maße eines sechsjährigen. Es wird immer schwerer ihn zu tragen, Treppen werden zu einer fast unüberwindbaren Alltagshürde, das Lagern im Bett immer öfter zur Herausforderung. Die Kleinkind Klamotten sind längst aus dem Kleiderschrank aussortiert und haben den großen kleidergrößen Platz gemacht.

Mein Sohn ist mittlerweile ein wirklich großes Kind. Und schon bald ein Schulkind. Wahnsinn, ab September ist er schulpflichtig!

Ich habe bereits zwei Schulkinder. Meine Töchter gehen sehr gerne zur Schule und haben dort überhaupt keine Schwierigkeiten. Wir haben schon zwei Schulranzen gekauft, zwei Schultüten gebastelt die unterschiedlicher nicht sein könnten und wir hatten schon zwei Einschulungen. Man sollte meinen, ich hätte eine gewisse Routine.

Doch weit gefehlt. Denn bei unserm Sohn ist nochmal alles anders. Nochmal neu spannend und herausfordernd.

Die Frage, auf welche Schule unser Sohn geht stellten wir uns bereits vor einigen Monaten. In eine Regelschule? Oder eine Förderschule? Eine Schule für körperlich und geistig behinderte Kinder? Oder wäre es gut, er würde noch ein weiteres Jahr im Kindergarten bleiben?

Inklusion ist ein schöner Gedanke. Doch funktioniert das meines Erachtens nur selten, in einer Regelschule ist es kaum möglich. Wir leben Inklusion in der Nachbarschaft, Familie und im Freundeskreis. Da ist unser Sohn dabei wie jedes andere Kind. Er ist Teil der Gemeinschaft, gehört ganz fest dazu. Es wird Rücksicht genommen auf seine besonderen Bedürfnisse, er wird aber nicht auf diese reduziert. Er ist nicht "der mit all den Kabeln" er ist einfach M. so wie er ist. Aber kann Inklusion in der Schule gelingen bei einem Kind wie meinem, der ganz offensichtliche Einschränkungen hat und viele besondere Bedürfnisse? Wird er nicht immer der 'Außenseiter' bleiben, körperlich mitten in einer Gruppe von Kindern und in Wahrheit doch nur auf einem Platz am Rand, auf der Zuschauerbank? Es ist nicht zu erwarten, dass er mit dem Schulstoff mitkommen kann. Körperlich und schulisch wäre er immer unterlegen. Das Lehr Personal müsste hochmotiviert und speziell geschult sein, um auf die Bedürfnisse diesen besonderen Kindes einzugehen. Meiner Erfahrung nach scheitert das schon bei Kindern, die deutlich näher an der Norm dran sind als mein Sohn.

Wir sehen keinen Profit für unseren Sohn im Konzept der integrativen Regelschule. Ebenso scheint die Förderschule nicht richtig für ihn zu sein. Er ist nicht mobil und ist stets an Schläuche, Kabel und Pumpen gebunden. Diese körperlichen Einschränkungen machen es kompliziert. Wir entscheiden uns nach langem Überlegen und vielen Beratungsgesprächen mit den Erzieherinnen, Lehrern und dem Schulamt für die Schule für Kinder mit körperlichen und geistigen Behinderungen.

Hier war unser M. schon im Kindergarten. Dieser Kindergarten war das beste was uns passieren konnte. Kleine Gruppen, sehr gut geschultes Personal, unendlich viele Möglichkeiten der Förderung. Was unser M. dort gelernt hat ist enorm, ohne dass er jemals das Gefühl hatte nicht zu genügen oder abseits zu stehen.

Nun darf er dort auf der Schule bleiben. Er darf lernen was im Rahmen seiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten ist. Er wird nicht überfordert. Es kann eins zu eins auf seine besonderen Bedürfnisse eingegangen werden. Groß war die Erleichterung, als die Schulanmeldung abgegeben war!

Nun ging es um den Kauf des Schulranzens. Während meine Töchter im Fachgeschäft einen Schulranzen nach dem nächsten Probe trugen um das Modell mit der besten Passform zu finden, suchten wir den Schulranzen für meinen Sohn allein nach dem Motiv aus. Die Passform und das Eigengewicht des Ranzens spielt überhaupt keine Rolle. Er wird dieses Ding niemals auf dem Rücken tragen. Junior sucht sich einen tollen Schulranzen aus- natürlich mit einem Feuerwehrauto Motiv.

Die dazu passende Schultüte ist auch schon fertig. Nur was fülle ich da rein? Süßigkeiten sind für mein Sohn bedeutungslos . Mit Bügelperlen oder etwas zum Basteln fängt er nichts an. Ebenso sind Stifte, Scheren oder ähnliches nichts für ihn. So werde ich vielleicht ein Buch über Baustellen für dreijährige rein packen und ihm damit an seinem Einschulungstag eine riesen Freude machen.

Sein Abschied im Kindergarten war sehr sehr schön. Sehr emotional. Und doch auch wieder anders als "normal". Es gab keinen Liedvortrag oder ähnliches von den Kindern. Dafür sangen die Erwachsenen etwas für die Kinder. Es gab kein Buffet, kein Fingerfood, keine sonstige verköstigung. Denn all die Kinder hier im Kindergarten haben Schwierigkeit mit dem Essen. Es gab auch keine Partymusik, kein wildes tanzen und umherspringen. Es war ein wundervoller Vormittag, ganz in Ruhe, voller Liebe mit Erinnerungsfotos und Seifenblasen. Es wurde nicht präsentiert, was die Vorschulkinder alles gelernt und geleistet haben, hier sind die Kinder wertgeschätzt, sie sind richtig und Wunderbar-ganz ohne Leistung.

Die Bindung zwischen den Kindern und den Erzieherinnen ist eine ganz besondere. Sie sind so nah an jedem einzelnen dran, haben mit jedem Kind eine intensive Zeit erlebt. Sie haben sich über Fortschritte gefreut, die von Außenstehenden nicht mal wahrgenommen werden.

Wie im Kindergarten, so braucht er auch in der Schule eine lückenlose Begleitung durch einen Pflegedienst. Das Pflegepersonal hängt mitten im Schulalltag Infusionen an, Kathetert, zieht den Magen ab und ist ständig interventions bereit wenn Junior krampft oder es ihm schlecht wird. Im Moment sieht es so aus als wären wir sehr gut mit Diensten abgedeckt, ich hoffe das klappt tatsächlich alles wie geplant.

Nun haben wir erstmal Ferien. Wir genießen die Schul - und Kindergarten freie Zeit. Wie das im September alles wird, wenn mein Sohn in die Schule kommt kann ich mir im Moment nicht vorstellen. Ich lasse es auf mich zukommen, was er alles lernen kann. Was er Kräftemäßig schafft und wie es ihm in der neuen Umgebung geht. Ich lasse es auf mich zukommen, wie sich der Alltag gestaltet und welche Herausforderungen auf uns zu kommen.

Täglich werde ich überwältigt von einer unendlich großen Dankbarkeit, dass mein Sohn in die Schule gehen darf. Dass er stabil genug ist, dass er bei uns ist und diesen neuen Lebensabschnitt erleben darf. Saßen wir doch auch schon Ärzten gegenüber, die uns sagten, dass M. das Schulalter nicht erreichen wird. Nun schaue ich ihn an, mein besonderes Kind und bin erfüllt von Dankbarkeit. Demut. Liebe. Ehrfurcht. Alles auf einmal. Und freue mich auf diese neue Zeit. Alles wird anders, als ich es von meinen Töchtern kenne. Klar, mein Sohn hat sich noch nie an die Norm gehalten. So gehe wir auch diesen Weg auf eine ganz besondere Weise.


Epilepsie

Mein Sohn hatte eine gute Nacht. Er ist fit und sehr fröhlich aufgewacht. Der Tag kann kommen. M. Ist motiviert, schnell ist er angezogen und freut sich auf den Kindergarten. Ein schöner Morgen.Meine Töchter sind auch fast fertig für die Schule. Heute sind wir gut in der Zeit.

Da wird mein Sohn plötzlich sehr blass. Ich frage ihn, ob es ihm gut geht. Er schaut langsam in meine Richtung und nickt. Ich glaube das nicht, innerhalb von Sekunden unterlaufen seine Augen mit schwarzen Ringen. Ich gehe zu ihm, möchte nach ihm schauen, ihn in den Arm nehmen. Er sieht furchtbar aus. Noch bevor ich bei ihm bin kippt er schlapp nach vorne und bleibt auf dem Gesicht liegen. Sofort bin ich bei ihm, hebe ihn vom Boden auf. Sein Körper hat überhaupt keine Spannung mehr, seine Augen starren ins Leere, dann zittern sie blitzschnell hin und her. Ein epileptischer Anfall. Ich habe das nicht kommen sehen. Warum heute, wo es ihm doch so gut ging? Ich bleibe ruhig, verabreiche ihm nach einigen Minuten ein Notfall Medikament. Gott sei dank, es wirkt. Langsam kommt die Farbe zurück ins Gesicht meines Sohnes. Der Muskeltonus baut sich wieder auf. Kurz schaut mein Sohn mich an, dann schläft er in meinem Arm ein. So ein epileptischer Anfall ist wahnsinnig anstrengend für diesen kleinen Körper.

Ich bringe M. in sein Bett, lasse den Rollo runter. In solchen Phasen mag M. kein Licht. Plötzlich steht ihm schweiß auf seiner Stirn. In kürzester Zeit ist er am ganzen Körper klatschnass, kaltschweißig. Ich decke ihn zu, schließe ihn zur Überwachung an den Herz- Atemmonitor an. Er ist unruhig. Wach bekomme ich ihn nicht. Er ist fix und fertig. Sein Körper kämpft.

Meine Mädels haben sich still im Hintergrund für die Schule fertig gemacht. Ich schalte das Babyfon ein und gehe zu ihnen. Sie ziehen bereits Schuhe an. Ich versuche sie zu beruhigen, sage ihnen dass ich alles im Griff habe. Das habe ich im Moment. Besorgt bin ich trotzdem. Das spüren die zwei natürlich auch. Sie tragen heute eine schwere Bürde durch den Tag. Sie müssen jetzt los. Wissen nicht, wie es ihrem Bruder geht. Ob er später noch Zuhause ist, oder schon in der Klinik? Sie kennen solche Situationen und alle Eventualitäten die heute noch passieren können. Sie haben das alles schon oft erlebt. Sie haben es schon zu oft hautnah erfahren , dass ich mit M. von einem Moment auf den anderen für viele Wochen in der Klinik bin, für sie nicht erreichbar. Ich würde meinen Töchtern so gerne Ihre Unbeschwertheit von heute früh zurück geben. Ich kann es nicht. Dieser Morgen ist plötzlich schwer und voller Sorgen. Ich bringe die zwei raus. Sage ihnen mehrfach, dass ich glaube, dass wir es wirklich im Griff haben. Dass M. sich jetzt ausschläft und es ihm dann wieder gut geht. Sie hören sich das an. Ich sehe ihren Zweifel. Es tut mir weh, sie mit dieser Last in den Tag zu schicken. Schließlich müssen wir uns verabschieden, sonst kommen sie zu spät. Sie laufen los zur Schule.

Und ich spurte zurück ins Haus, ans Bett meines Sohnes. Seine Kleider sind komplett durchnässt. Er ist blass. Aber sein Puls ist ruhiger. Er schläft. Ich ziehe ihn um. Er reagiert nicht. Sein kleiner Körper erholt sich von den Strapazen des morgens. Ich lagere ihn gut, decke ihn zu, halte eine Zeit lang seine kleine Hand und mache mir dann einen Kaffee. Ich setze mich aufs Sofa und versuche zur Ruhe zu kommen. Es gelingt mir nur schwer. Ich traue dieser Ruhe nicht. Ob das alles war, ob er noch mehr krampft heute? So oft hatten wir diese Situation schon. Daran gewöhnen werde ich mich niemals. Diese Epilepsie ist völlig unberechenbar. Die Anfälle kommen ohne Vorwarnung wie ein Dieb in der Nacht. Gerade noch so fit und unbeschwert, ist der nächste Moment ein medizinischer Notfall. Die Epilepsie ist nicht planbar.

Heute schläft sich M. viele Stunden lang aus. Es bleibt bei den Ereignissen am Morgen. Als er Mittags aufwacht geht es ihm gut. Ich bin erleichtert, ein Stein fällt vom Herzen. Mein Sohn ist traurig, dass er nicht mehr in den Kindergarten darf, dass er diesen Tag verpasst und wieder einmal ein Bett Tag vor ihm liegt. Er wirkt betrübt.

Doch nur einen Moment.

Schon hat er Ideen, was er mit dieser Situation anfangen kann. Er macht das Beste daraus und verbringt einen sehr fröhlichen Tag. Immer wieder steckt er mich mit seinem Lachen an. Ich lese ihm Bücher vor, erzähle Geschichten. Ich lausche seinen Gedanken. Wir spielen und kuscheln.

Ein schöner Tag.

Nur so komplett anders als geplant. Juniors Pläne haben sich zerschlagen. Und meine auch. Der Haushalt bleibt heute liegen. Einkaufen muss verschoben werden.

Aber so ist er, unser besonderer Alltag. Nicht planbar. Heute hat uns dieser Anfall unsere Pläne durchkreuzt. Das nächste Mal spuckt er vielleicht viel, hat starke Schmerzen oder es geht eine Sonde kaputt. Alles Situation, die sich nicht planen lassen. Ein Alltag, der sich nicht planen lässt.

Und so bleibe ich flexibel und spontan.

Ich werde immer besser darin, nicht zu fest an durchdachten Plänen festzuhalten und den Moment so zu nehmen wie er ist. Ich möchte nicht darüber motzen, nicht verharren im Selbstmitleid. Ich möchte nicht hängen bleiben im 'eigentlich sollte alles anders sein'. Ganz bewusst stoppe ich diese Gedanken Spirale immer wieder.

Denn dafür ist es zu kostbar. Dieses Leben, diese Zeit mit meinem Sohn, mit meiner Familie. Ich möchte die Tage, die Stunden, jeden Moment als Geschenk annehmen und sie ganz bewusst gestalten. Ich möchte sie mit Liebe füllen, über die Schönheit des Augenblicks Staunen, Erinnerungen schaffen, sie in mein Herz einschließen und die Kostbarkeit des Lebens erkennen.

 


Sommer

Es ist nun endlich warm geworden. Der Sommer hat Einzug gehalten. Wir genießen warme lange Sommertage! Wir genießen unsern Garten und den Pool, wir genießen Eis und lange draußen bleiben. Wir genießen, dank der lang ersehnten corona Lockerungen, treffen mit Familie und Freunden.

Unser M. genießt auch, nur so ganz anders als wir. Er genießt ganz besonders.

Nach vielen Monaten steht endlich ein Treffen mit einem Teil der Familie an. Mein Schwager, meine Schwägerin, meine zwei Nichten und mein Neffe kommen uns besuchen. Wir freuen uns. Die Kinder freuen sich. Sie sehnen ein Wiedersehen lange herbei. Leider geht's M. am Tag des geplanten Treffens nicht sehr gut. Er ist sehr müde und kämpft mit der Übelkeit. Während ich mit meinen Töchtern den Garten vorbereite höre ich ihn durch das Babyfon ruhig atmen. Er schläft. Der Besuch ist endlich da. Die Kinder freuen sich sehr. Sie sind schnell im Spiel. Die Erwachsenen im Gespräch. Mein Sohn schläft immer noch. Nach dem gemeinsamen Mittagessen schaue ich nach ihm. Er ist wach. Aber zu schlapp um das Bett zu verlassen. er möchte im Bett bleiben. Es macht mich traurig, ihn selbst natürlich auch. Wäre er doch so gern Teil der fröhlichen Gemeinschaft im Garten. Durch das Fenster hört er das Lachen und all die fröhlichen Stimmen. Doch es ändert nichts, die Kraft reicht nicht, um mit raus zu kommen. Er schaut sich in seinem Bett Bücher an, hört Hörspielen und Kindermusik. Immer wieder schaue ich nach ihm. Er hat sich mit der Situation arrangiert und wirkt gelassen. Am Nachmittag möchte er dann auch noch mit in den Garten. Ich freue mich so sehr. Ich ziehe ihn an und verpacken alle seine Infusionen und Geräte in seinem Rucksack. Es ist heiß draußen. Lange läuft der Gartenschlauch und die Kinder haben großen Spaß beim Spielen und Toben mit dem Wasser. M. darf nicht nass werden. Die sterilen Infusions Anschlüsse müssen geschützt unter dem T-Shirt und trocken bleiben. Er sitzt in seinem Buggy und schaut zu. Er freut sich an dem Lachen der anderen. Er hat eine Wasserspritzpistole in seiner Hand und spritzt alle nass, die ihm zu nahe kommen. Und es kommen ihm oft Leute zu nahe. Kurzerhand beschließt er, dass er die waschanlage für Menschen ist und hat großen Spaß daran, seinen Job gewissenhaft auszuführen. Er kann nicht mitrennen. Er kann keine Badehose anziehen und mitten ins Wasser springen. Er kann nicht mitspielen. Dennoch steckt er alle mit seinem Lachen, seiner guten Laune und seinen Ideen an. Er freut sich, fast mehr als alle anderen in diesem Garten.

Er genießt den Moment. Und ich erkenne die Kostbarkeit diesen Momentes. Mein Sohn lacht aus vollem Herzen. Im Moment plagen keine Schmerzen, keine Übelkeit. Er ist einfach da. Er nimmt es wie es ist und feiert das Leben was das Zeug hält. Er beschwert sich nicht, er jammert und klagt nicht.

Er genießt auf seine Weise. Er genießt auf eine besondere Weise. Ich würde sagen : er genießt ganz besonders.

Bald ist die Kraft aufgebraucht. Er wird müde und schlapp. Das Sitzen ist anstrengend. Es reicht. Er möchte wieder ins Bett. Das ist oaky für ihn. Ich lerne von ihm. Werde nicht traurig, weil es für ihn schon vorbei ist. Sondern behalte den Glücksmoment im Herzen.

Unsere Mädels verbringen die heißen Nachmittage gerne bei uns im Garten im Pool. Immer sind auch Kinder aus der Nachbarschaft da. M. hört durch sein Fenster immerzu das fröhliche treiben und weiß dabei, dass er niemals so plantschen kann. Zu groß ist die Sorge vor möglichen Keimen, die am Hickman-Katheter zu großen Katastrophen führen können. M. nimmt diese Einschränkung ebenfalls sehr gelassen. Es ist okay für ihn. Er schaut aus dem Fenster und freut sich über jeden Spritzer der die Scheibe trifft. Heute wagen wir einen Versuch. Abends, kurz vor dem umstöpseln der Infusionen lassen wir ihn einen Moment abgestöpselt. Ich verpacke jeden Anschluss mehrfach mit wasserabweisender Folie. Ich klebe die Eintrittstelle des Hickman-Katheter in die Haut ebenfalls mehrfach und sehr sorgfältig ab. Ich fixiere die Magen Sonde und entferne die Ablaufbeutel. Nun darf mein Sohn einen Moment ins Wasser. Alle anderen Kinder müssen einen Moment aufhören zu toben. Ich setze M. auf ein Styropor schwimmbrett und halte ihn gut fest. Vergnügt plantscht er mit den Füßen im Wasser. Er strahlt. Es macht ihn so glücklich, ins Wasser zu dürfen. Wenn, in meinen Augen, auch nur in extrem abgespeckte Version. Es ist okay für ihn, nicht ganz ins Wasser zu können, nicht zu tauchen und zu toben. Er sitzt auf diesem Brett und versprüht mehr Freude als den ganzen Tag bisher im Garten zu spüren war. Nach knapp fünf Minuten signalisiert er, dass er nicht mehr kann.

Schade, schon rum. Ich trage ihn ins Haus, mache alle Pflaster frisch, hänge Infusionen an usw. Noch während ich mit der Pflege beschäftigt bin schläft er ein. Dieser kurze Ausflug ins Wasser hat ihm mehr Kraft gekostet als ich geahnt habe. Ich bringe ihn in sein Bett, lagere ihn gemütlich und decke ihn gut zu. Er schläft fest und lange. Sein kleiner Körper erholt sich von den paar Minuten mit den Füßen im Wasser plantschen.

Ob es das wert war?

Als er aufwacht steht sein Mund nicht still. Allen erzählt er, dass er ins Wasser durfte und wieviel Spaß er hatte. Der Pflegedienst, die Oma, die Erzieherin im Kindergarten und die Nachbarin hören in den nächsten Tagen von Juniors Highlight im Pool.

Keine Spur von Enttäuschung oder dergleichen, dass er nur so kurz im Wasser bleiben konnte.

Es war es wert!

Ich möchte immer wieder besondere Wege mit ihm suchen und finden um Augenblicke der Unbeschwertheit zu erleben, einen Hauch der 'Normalität' zu spüren. Wir treffen uns mit zwei befreundeten Familien am Fluss Ufer. Alle Kinder schwimmen und jauchzen vor Freude. M. beobachtet aus seinem Buggy. Als er mit den Füßen doch auch ins Wasser möchte helfe ich ihm ein paar Schritte durch das Wasser zu tapsen. Es bleibt bei ein paar Schritte. Der unebenen Untergrund, das kalte Wasser, all die Eindrücken stregen ihn extrem an. Nach einigen Minuten bettelt er um sein Bett. Er möchte nicht auf die Picknick Decke und nicht in seinen Buggy. Er möchte nach Hause. So bleibt uns nichts, als uns trennen. Während ich bei meinen Töchtern bleibe, die noch fröhlich im Wasser spielen und toben fährt mein Mann mit Junior nach Hause. Versorgt ihn und packt ihn mal wieder ins Bett. Ich spüre die Enttäuschung in mir aufsteigen. Hatte ich mir doch so sehr einen schönen Nachmittag als Familie mit Freunden gewünscht. Ich gestehe mir ein, dass das über die Kraft meines Sohnes geht, schlicht unmöglich ist. Ich nehme mir ein Beispiel an ihm, meinem sechs Jahre alten Sohn, und mache das beste aus der Situation.

Er ist glücklich und immerzu fröhlich trotz oder gerade mit all seinen enormen Einschränkungen und seinen körperlichen Grenzen. Müsste nicht ich, die ich gesund und rundum fit bin schweben vor Glück und Freude? Warum fällt das oft so schwer?

Wieder neu nehme ich mir vor, von meinem Sohn zu lernen. Ich möchte im Moment leben. Mich über die scheinbar kleinen Dinge freuen. Ich möchte mit ihm zusammen lachen, Erinnerungen schaffen. Ich möchte die Schönheit des Lebens spüren an jedem Tag. Und ich möchte für ihn da sein, mit ihm aushalten und für ihn stark sein.

Ich möchte an seinem Bett sitzen, seine Hand halten. Mit ihm singen, beten, weinen und tanzen. So wie er es jetzt gerade kann und braucht.

Mein Sohn darf heute nicht in den Kindergarten. Es ist kein Pflegepersonal für ihn eingeteilt. Er ist zuhause. Es geht ihm gut, er spielt mit mir. Plötzlich sagt er, er hätte so gerne Fanta von McDonald's. Wir kommt er denn jetzt darauf? Ich weiß nicht, ob er jemals schon fanta von McDonalds hatte. Ich biete ihm einen schluck Apfelsaft an. Doch er bleibt bei seiner Idee. Ich habe doch Zuhause noch so viel zu tun, bis die Mädels von der Schule kommen. Aufräumen. Wäsche machen. Mittagessen kochen. Die Aufgaben gehen nicht aus. Junior würde die Fanta ja doch nicht trinken.

Doch Moment - Warum eigentlich nicht?

Okay, wir gehen zu McDonald's. Mein Sohn schaut mich erstaunt an. Ich packe seine Infusionen in den Rucksack, ziehe ihn fertig an und setze ihn in die sitz Schale ins Lastenbike. Wir fahren los. Einige Kilometer später stehen wir morgens um 10 Uhr am Tresen des Fastfood Restaurants und bestellen eine Fanta. 'Klein, Mittel groß?' ist die Frage des Kassieres. Ich gebe die Frage an meinen Sohn weiter. Er schaut den netten Mann hinter der Kasse an und sagt 'größte Fanta der Welt!' und wir kaufen diese größte Fanta, 500ml süßes Zeug. Sein Lachen, als er diesen riesen Pappbecher in seinen Händen hält ist unbeschreiblich.

Glück pur. Freude.

Wir setzen uns in den Außenbereich des Restaurants und Junior beginnt zu nippen. Ganz vorsichtige kleine schlucke. Dazwischen höre ich 'hmmmmm' 'aaaaaahh' 'oooooohhhh'. Schnell reicht auch hier die Kraft nicht mehr zum sitzen. Ich packe ihn in das Fahrrad, die 500 ml Fanta vorsichtig in meinen Rucksack. Schon bei der ersten Kurve merke ich, dass das keine gute Idee war. Etwas kühles, klebriges rinnt meinen Rücken runter.

Zuhause trage ich M. Zum Bett. Den Pappbecher mit dem goldenen M drauf stelle ich sichtbar an sein Bett. Er ist so glücklich über dieses Getränk. Über unsren Ausflug. Darüber dass er eine gute Idee hatte die umgesetzt wurde. Die Fanta Story hört die nächsten Tage auch jeder der es hören möchte oder nicht.

Juniors Highlight.

Er trinkt die Fanta nicht wirklich. Über Tage immer mal wieder winzige Schlucke, die ich über die Sonde mit einer Spritze wieder aus seinem Bauch heraus ziehe.

Dennoch- ich möchte Haushalt Haushalt sein lassen und mit ihm zum McDonalds fahren wenn es dran ist. Ich möchte mit ihm dieses klebrige Zeug feiern. Ich möchte mich mit ihm freuen. Ich möchte, dass er Fanta schmecken kann. Ich möchte diese kleinen Glücksmomente einfangen. Und ich möchte nicht traurig oder gar enttäuscht sein, wenn es in meinen Augen viel zu schnell vorbei ist. Zu klein oder zu wenig ist.

Unser M. ist so wie er ist und wird niemals im Tempo der Welt mithalten. seinem kranken Körper fehlt die Kraft für große Ausflüge und Aktionen. Für Alltag.

Aber er macht die kleinen Dinge groß. Das unbedeutende bedeutend und das scheinbar normale so besonders. Ich möchte in seinem Tempo unterwegs sein. Und in seinem Maße zufrieden.

In diesem Sinne : einen glücklichen, zufriedenen und besonders schönen Sommer! 


Beim Zahnarzt

Wir sind wieder zuhause. Die Rückfahrt nach unserer Urlaubs Woche war, wie erwartet, ereignisreich. Der ersten Stop am Straßenrand war nach 15 Minuten Fahrzeit nötig. Der nächste ließ nicht sehr lange auf sich warten. Junior übergab sich ständig, er brauchte viele Schmerzmittel und krampft während der Fahrt. Wir wussten vorher, auf was wir uns einlassen und was wir ihm zumuten. Und wir würden uns wieder so entscheiden. Wieder so Fahrten auf uns nehmen, um eine so schöne und wertvolle Familienzeit zu erleben.

Nun sind wir wieder im Alltag. Ein Kontroll Termin beim Zahnarzt steht an. M. War schon lange nicht mehr beim Zahnarzt. Die letzten Termine musste ich absagen weil er in der Klinik war oder viel zu krank für einen Zahnarzt Kontroll Termin. Im Moment hat er eine stabile Phase und ich nutze das, um mal auf seine Zähne schauen zu lassen. Gute Zahnpflege ist bei ihm unglaublich wichtig. Durch das ständige Erbrechen des sauren Mageninhaltes ist der Zahnschmelz sehr angegriffen. Ordentlich Zähneputzen aber auch unglaublich schwierig, denn M. lässt nur sehr bedingt Manipulation in seinem Mund zu. Der Zahnarzt sagt von Anfang an, dass er bei diesen voraussetzen mit Karies bei unserem Sohn rechnet. Für mich eine schlimme Vorstellung. M. hat genug Päckchen zu tragen. Zahnschnerzen und Zahnarzt Behandlungen möchte ich definitiv vermeiden! So pflegen wir die Zähne so gut wie können. Dennoch fahre ich nun mit einem etwas mulmigen Gefühl in die Stadt.

Ich parke auf einem Parkplatz, der für schwerbehinderte Menschen reserviert ist. Ich packe Junior in seinen Buggy und mache mich auf den Weg zur Zahnarzt Praxis. Dort drücke ich den Knopf und warte auf den Aufzug. Die Praxis ist im ersten Stock. Die Aufzugtür öffnet sich und mir stockt kurz der Atem. So einen kleinen Aufzug habe ich noch nie gesehen. Ob ich da den sperrigen reha Buggy rein bekomme? Ich schiebe ihn hinein, die Tür geht nicht zu. Ich hänge all die Geräte, Infusionsoumpen usw ab und lege es auf Juniors Schoß. Nun kann ich den schiebegriff etwas einklappen. Die Tür geht immer noch nicht zu. Das Treppenhaus ist eng, über die Treppen bekomme ich Junior ebenfalls nicht zum Zahnarzt. Ich bitte ihn, die Füße hoch zu nehmen und Klappe das Fußbrett hoch. So müsste es gehen. Und tatsächlich zusammengepfercht in seinem Buggy schaut mein Sohn mich unter all den Gerätschaften fragend an. Ich freue mich. So geht die Tür zu. Nur, wo habe ich mich Platz? Ich sage junior, dass ich die Treppen nehme und ihn oben in Empfang nehme. Diese Vorstellung macht ihm Angst. Das kann ich verstehen. So kletterte ich halb auf ihn drauf und ziehe meinen nicht mehr ganz schlanken Schwangerschaftsbauch ein. Jetzt Luft anhalten und ja nicht bewegen. Die Tür geht zu, der Aufzug fährt hoch. Phu, geschafft!!

Oben angekommen kletterte ich von ihm runter, baue den Buggy in seine Ursprungsform zurück und befestige die Geräte. Wer baut so einen Aufzug, und für wen? Zwei Menschen könnten ihn im Stehen bequem nutzen. Doch die meisten Menschen die stehen können, können auch die Treppen nutzen. Ein größerer Rollstuhl passt sicherlich nicht hinein. Eine Alltags Hürde, die einen normalen Zahnarzt Besuch für Menschen mit Behinderung extremst schwierig bis unmöglich macht. Ich ärgere mich!

Ich melde uns an und nehme im Wartezimmer platz. Mein Sohn freut sich über die Fische im Aquarium. Ich erholen mich von unserer Aufzugstour. Als wir dran sind, muss die Zahnarzt Helferin erstmal klotzen. Vermutlich hat sie sich Juniors Akte nicht angeschaut und ist jetzt erschrocken über das Kind, dass sie vor sich hat. Ich durchbreche das Schweigen und frage, ob er im Buggy sitzen bleiben kann oder ob er auf den großen Zahnarztstuhl. Er soll bitte auf den Stuhl. Ao sortiere ich all die Kabel und Schläuche und hieve ihn auf den Zahnarzt Stuhl. Ich versuche die Kabel so zu platzieren, dass keiner drüber stolpert oder drauf tritt.

Ich fange an zu erklären, dass Junior viel spuckt und schnell würgt und die ganze Zahnpflege eher schwierig ist. Er soll den Mund aufmachen, macht es gut und hat den kleinen Spiegel schon so tief im Mund dass es ihn ordentlich würgt. Ich wiederhole meine bitte, sich vorsichtig ran zu tasten. Die Zahnarzthelferin verschafft sich einen Überblick und stellt erstaunt fest, dass die Zähne super aussehen. Keine auffällige Stelle. Mir fällt ein Stein vom Herzen! Sie fragt, ob sie lieber den Flour Lack mit Erdbeer oder Melonen Geschmack auftragen soll. Ich schaue sie irritiert an und sage, dass beides keine Option ist. Niemals würde junior einen Lack mit Geschmack in seinem Mund zulassen! Das kommt der Zahnarzt dazu. Ich sage, dass der Lack unmöglich ist. Und höre mir wieder die selbe Rede an wie immer. Dass Juniors Zähne höchst gefährdet sind und es fahrlässig ist, keine Prophylaxe zu machen. Ich weiß das, aber es ist bei einem Kind wie meinem schlicht unmöglich. Ich wiederhole, dass M. überhaupt nichts mit dem Mund nimmt. Der Zahnarzt zögert. Und fragt ungläubig 'gar nichts???' ich erkläre geduldig und zum wiederholten mal dass er ausschließlich parenteral, per Infusion übers Blut, ernährt wird. Anerkennendes Schweigen erfüllt den Raum. Ich erzähle weiter, dass er, um ab und zu ein Geschmackserlebnis zu bekommen, Fanta trinkt oder etwas Honig vom Finger lutscht. Da ist der Zahnarzt wieder hellwach. Er klärt mich auf, wieviel Zucker in Fanta und Honig ist und was das mit den Zähnen macht. Das weiß ich. Und meine Mädels bekommen auch keine Fanta. Aber dieses Kind hier läuft nun mal nicht nach Schema F und wir müssen Wege finden, sein Leben lebenswert zu halten.

Wir putzen weiter wie bisher, läuft ja offensichtlich ganz gut. Ich packe meinen Sohn wieder in seinen Buggy. Eine Kiste mit Belohnungen gibt es im hinteren Teil der Praxis. Ich laufe der Dame hinterher und staune nicht schlecht über eine Tür, die so schmal ist, dass ich keine Chance habe, mit dem Buggy da durch zu kommen. Ich sage meinem Sohn, dass ich nicht mit ihm zu der Belohnungskiste gehen kann. Er wird sehr traurig. Er möchte sich doch etwas raus suchen. Er hat so toll den Mund aufgemacht. Keine Chance. Ich stelle ihn im Flur ab und gehe alleine weiter. Wie sich das für ihn anfühlen muss! Das ist doch nicht fair!! Unglaublich, dass es in einer moderne Zahnarzt Praxis nicht möglich ist, sich trotz körperlichen Einschränkungen frei zu bewegen! Machen die das mit Absicht? Wollen sie die behinderten Menschen womöglich gar nicht hier behandeln? Dieser Eindruck wird leider immer stärker. Baulich eine Katastrophe und auch menschlich kann sich hier wohl keiner auf das 'anders' einlassen. Schade.

Ich bin froh, als wir die Praxis verlassen können. Wie wir in den Aufzug passen weiß ich jetzt schon und es geht deutlich schneller als vorher. Wir komprimieren unser Volumen so gut es geht und freuen uns über die frische Luft und die Sonne als wir das Gebäude endlich verlassen haben.

Mein absolutes Highlight : die Zähne sind trotz der schwierigen Umstände sehr gut.

Mein Herausforderungen des Tages : die Erkenntnis, dass einem sogar in einer Arzt Praxis Steine in den Weg gelegt werden, wenn man nicht dem Norm entspricht. Traurig. 

Wir gehen zurück zum Auto. Ich lade gerade meinen Sohn in seinen Autositz als ich von einem Herrn vom Ordnungsamt darauf aufmerksam gemacht werde, dass ich auf einem Parkplatz für Menschen mit Behinderung stehe. Ich habe keine Lust mehr zu erklären und diskutieren und zeige wortlos Richtung Windschutzscheibe, wo meine Parkberechtigung gut sichtbar liegt. Er nickt mir zu und geht weiter seines Weges.

Und jetzt zügig nach Hause! Ich habe erstmal genug.


Urlaub und hoher Pflegeaufwand

Wir haben das große Glück, in unseren Pfingstferien eine Woche verreisen zu dürfen. Die aktuell sinkenden corona zahlen ermöglichen erste Lockerungen, wie das Reisen mit regelmäßigen offiziellen corona Tests. Nach all den Monaten Homeschooling und Kontakt Beschränkungen tut es uns allen gut, einfach mal ein paar Tage raus zu kommen.

Wir fahren auf einen Pferdehof in Deutschland auf dem wir schon öfter waren. Die Größe der Ferienwohnung ist ideal für uns fünf. Wir können uns darauf verlassen, dass alles sauber und gepflegt ist, so dass die hohen hygienischen Ansprüche bei Juniors Pflege gewährleistet sind. Die Gastgeber sind super nett, kennen uns und gehen auf unsere besonderen Bedürfnisse ein. Eine große, gepflegte Außenanlage mit vielen spielgeräten und natürlich die Tiere punkten bei unseren Kindern. Es gibt Hasen und Schafe zum füttern und streicheln, einen Hofhund zum knuddeln und spielen und natürlich jede Menge Pferde zum streicheln, striegeln und reiten. Wir alle freuen uns über die Nachricht, dass eine Anreise möglich wird.

Die erste Herausforderung ist das Packen. Sind noch alle Medikamente, Hilfsmittel und pflege Utensilien ausreichend vorhanden? Was muss noch bestellt werden und wann wird geliefert? Es wäre unverzüglich, wenn ich zum Beispiel Infusionsleitungen oder wichtige Medikamente vergesse. Ein Karton nach dem anderen füllt sich und stapelt sich zu einem hohen Turm im Flur. Aufladekabel für die Pumpen, sterile Handschuhe, Kanülen, spritzen, Ablaufbeutel und Mengen an verbands Materialien. Notfallmedikamente, Infusionen, crp tests, Katheter, Windeln und vieles weitere darf auf keinen Fall fehlen. Kleider, Schuhe und sonstige alltägliche Dinge sind schnell im Koffer. Wie dankbar bin ich, dass wir mittlerweile einen Familien Bus besitzen. Das macht das Laden deutlich einfacher. Neben all den Kisten und Kartons laden wir den sperrigen Rehabuggy und den Infusionsständer in den geräumigen Kofferraum. Die erste Herausforderung ist geschafft.

Junior bekommt Medikamente gegen Übelkeit und Schmerzmittel. Ich katheterisiere ihn noch und lade ihn dann in seinen kindersitz. Kissen und Decken Polstern an möglichen Druckstellen und helfen ihm eine gemütliche sitzposition zu finden. Fröhlich steigen die Mädels ein, es kann los gehen. Die nächste Herausforderung liegt vor uns : 450 km. Hoffentlich schafft Junior das. Wir machen Pausen. Viele Pausen. Wir ziehen seinen Mageninhalt ab, wir lagern ihn etwas anders, wir geben mehr Schmerzmittel, hängen verschieden Infusionen an und während die Mädels das Toilettenhäuschen auf dem Autobahn Parkplatz nutzen, katheterisiere ich ihn auf dem geräumigen Fahrersitz. Ich selber staune, was alles in einem Auto auf schäbigen Rasthöfen möglich ist. Wir haben Juniors Versorgung gut im Griff, es geht ihm auf der ganzen Fahrt wirklich gut. Die Mädels lesen ihre Pferde Zeitschriften, essen Süßigkeiten und zählen unendlich viele Wohnmobile, die wir überholen. Die Stimmung ist super. Erleichtert sind wir dennoch alle fünf, als wir Nachmittags endlich das Ziel erreichen. Ein wieder ankommen an einem so wunderschönen Ort.

Zusammen tragen wir alle Kisten und Koffer in die Ferienwohnung im ersten Stock. Schnell sind wir eingerichtet. Betten werden zugeteilt, die Kleider werden in die Schränke verstaut, ein steriler Arbeitsplatz wird eingerichtet. Urlaub. Es kann los gehen. Eine Woche ohne Termine, ohne Telefon und Hausklingel liegt vor uns. Keine Schule. Zeit um zur Ruhe zu kommen. Familienzeit. Dennoch, so ganz unbeschwert werden die Tage auch hier nicht. Juniors aufwendige Versorgung macht keinen Urlaub. Alle drei Stunden müssen wir katheterisieren. Den ganzen Tag über immer wieder Medikamente anhängen, Infusionen umstöpseln. Immer um 17 Uhr werden alle Infusionssysteme und Pflaster frisch gemacht. Das dauert ca zwei Stunden, an jedem Tag. Auch Nachts macht die Pflege keinen Halt. Zuhause genießen wir die Unterstützung durch den Pflegedienst. Das fällt im Urlaub weg. So versuchen wir eine Balance zu finden zwischen Juniors aufwendiger Versorgung und den Bedürfnissen von jedem einzelnen.

Die Mädels dürfen viel reiten und mit anderen Kindern über den Spielplatz toben. Junior verbringt auch hier viel Zeit im Bett. Das ärgert ihn. So gerne möchte er auch reiten. Doch das aufrechte Sitzen auf dem Pferd bringt ihn sehr schnell an seine körperlichen Grenzen. Ab und zu darf er auf seinem Lieblings Pferd Luna ein paar Minuten um den Reitplatz reiten. Diese Minuten sind es, die ihn glücklich machen. Glücklich für den Rest des Tages. Er streichelt Hasen und kann sogar einmal mit am Lagerfeuer sitzen und stockbrot grillen. Uns schränken Juniors viele Bett Pausen sehr ein. Ausflüge sind gar nicht möglich. Die Zeiten zu fünft sehr begrenzt. Wir machen das beste daraus. Nehmen das gute mit.

Abends, wenn M. schläft gibt es ungeteilte Zeit für die Mädchen. Wir lesen vor, spielen Spiele und hören ihnen zu. Alles in allem eine sehr schöne Woche. Bestimmt nicht so wie sich eine durchschnittliche Familie Urlaub vorstellt.

Aber auf seine Weise sehr schön. Wir haben gelernt, das kleine zu genießen und das schöne in allen Einschränkungen zu sehen. Ein besonderer Urlaub.

Ein besonders schöner Urlaub.

Die Herausforderung Heimfahrt liegt noch vor uns. Doch wir sind optimistisch. Und wir freuen uns auch wieder auf zuhause. Denn dort lässt sich der besondere Alltag mit unserem besonderen Sohn doch deutlich besser gestalten als in fremder Umgebung. 

Schweres Gepäck

Es ist 7 Uhr. Wir sitzen am Frühstückstisch. Heute Nacht war eine Krankenschwester vom Pflegedienst da und hat M. versorgt. Ich bin ausgeschlafen, bereit für diesen Tag.

Während ich meinen Kaffee trinke und meine Töchter immer wieder daran erinnere weiter zu essen, macht die Krankenschwester meinen Sohn für den Tag fertig. Sie gibt Medikamente, katheterisiert, kontrolliert Pflaster und Verbände. Sie wäscht ihn und zieht ihn an. Eine unglaubliche Entlastung für die ich so dankbar bin!

Wieder erinnere ich meine Töchter, sich etwas zu beeilen. Das Homeschooling wartet auf uns. Heute darf mein Sohn in den Kindergarten. Es geht ihm gut und eine Pflegefachkraft ist geplant, die ihn begleitet. Ich schicke meine Töchter hoch. Sie sollen Zähne putzen, Gesicht waschen, Haare kämmen und sich anziehen.

Ich packe die Sachen zusammen, die mein Sohn für den Kindergarten braucht. In eine Tasche packe ich die Medikamente die er den Vormittag bekommen muss. In eine andere Tasche stecke ich Einmalkatheter und Kompressen. Eine Tasche mit Desinfektionsmitteln, Spritzen, Adapter , Ablaufbeutel und co. steht bereits vorgepackt bereit. Heute muss ich außerdem frische Wechselklamotten und Windeln mit in den Kindergarten geben.

Ich rufe durchs Treppenhaus nach meinen Mädels um zu sehen, wie weit sie sind. Sie haben sich im Spiel verloren. Ich ermahne sie, sich jetzt aber zügig fertig zu machen. Ich staple die gepackten Taschen im Flur , stelle noch einen Karton mit Kochsalzinfusionen dazu und verabschiede die Pflegefachkraft in ihren wohlverdienten Feierabend.

Junior schaut sich in seinem, Zimmer ein Buch an. Ich gehe zu meinen Töchtern. Wie gut, sie sind angezogen. Mit Zahnbürsten im Mund kommen sie auf mich zu. Ich helfe ihnen beim Zähne putzen und mache ihnen Zöpfe. Junior ruft mich, ein Ablaufbeutel ist abgefallen und Galle läuft auf seinen Teppich. Ich spute die Treppe herunter in sein Zimmer. Ich schließe den Beutel wieder an, hole einen Lappen und Teppichreiniger und reinige den Teppich. Nun fahre ich den Laptop hoch und suche die Schulaufgaben für meine Töchter raus. Während ich Junior in den 20 km entfernten Kindergarten fahre, müssen sie schonmal selbstständig mit ihren Aufgaben anfangen. Für die eine lege ich Mathe Hefte und Bücher bereit, für die andere bereite ich das Tablet für eine Videokonferenz vor. Junior ist wieder mit seinem Buch beschäftigt, die Mädels dürfen noch ein paar Minuten puzzeln.

Ich beschließe, schonmal all die Taschen und Kartons ins Auto zu laden. Ich werfe mir das Gepäck über die Schultern und stapele den Rest auf meinem Arm und gehe raus zum Auto. Die Sonne scheint herrlich warm auf mein Gesicht. Der Morgen mit den Kindern hat bis hierher gut geklappt und ich bin ausgeschlafen. Was für ein schöner Tag!

Gerade fährt die Müllabfuhr unsere Straße entlang und leert die bereitgestellten Bio Tonnen . Sie hält gerade auf Höhe unseres Parkplatzes , als ich unser Auto erreiche und erleichtert all die Taschen abstellen kann. Ich Grüße den älteren Mann, der in seinem grell orangenen Overall gerade unsere Tonne zu sich zieht um sie zu leeren. Er scheint sich darüber sehr zu freuen und grüßt freudestrahlend zurück. Mit seinem Südländischen Akzent ruft er gut gelaunt „Guten morgen junge Dame“ Nach einem Blick auf den Taschen Stapel neben unserem Auto fügt er hinzu „aaaaah, du gehe in die Urlaub!“ Urlaub? Ich? Heute? Äh nein…warum? Ich folge seinem Blick auf meine Taschen und lache laut. „Nein, ich fahre nur in den Kindergarten.“ Sein Blick verändert sich, respektvoll stellt er fest „wow, Du gute Nerven! Du hüten soo viele Kinder in die Kindergarten!“ wieder verneine ich lachend und sage, dass ich nur meinen Sohn in den Kindergarten fahre.

Das Müllauto setzt sich wieder in Bewegung. Er sprintet hinterher, springt auf den dafür vorgesehenen Platz und winkt freundlich. Ich wünsche ihm noch einen guten Tag, lade die Taschen ins Auto und gehe gut gelaunt zurück ins Haus. Ich rufe die Mädels. Sie müssen jetzt ganz schnell an ihre Schulsachen. Junior ziehe ich Schuhe und seine Jacke an. Er muss jetzt kurz warten. Ich erkläre meiner einen Tochter , was in Mathe zu tun ist und starte die Videokonferenz für die andere. Ich verabschiede mich von beiden und trage dann M. zum Auto.

Da kommt wieder das Müllauto aus einer Seitenstraße auf uns zugefahren. Der Nette Herr winkt , wir winken zurück. Als sein Blick auf das Kind auf meinem Arm fällt, ruft er erstaunt und wild gestikulierend über die ganze Straße : „oh wooooow!!!!! Sooo ein kleines Mensch braucht sooooooooo viele Gepäck!!“ Er lacht, ich lache, Junior lacht. Dann ist das Müllauto endgültig um die nächste Ecke verschwunden.

Welch schöne Begegnung am frühen Morgen. Pünktlich um 8.30 Uhr sitze ich mit meinem Sohn im Auto und wir starten Richtung Kindergarten. Ich habe immernoch ein Lächeln auf dem Gesicht, wenn ich an diesen netten Herr von der Müllabfuhr denke.

Während der 30 Minütigen Fahrt zum Kindergarten komme ich allerdings ins Grübeln. Hinter all dem schönen, lockeren, lustigen von gerade eben steckt eine bitterernste Wahrheit. So ein kleiner Mensch sollte nicht so viel Gepäck mit sich herum tragen. Andere kleine Menschen packen ihr Vesper in ihren niedlichen Kindergartenrucksack. Vielleicht noch einen Sonnenhut oder eine Ersatzhose. Das sollte alles sein, was so ein kleiner Mensch braucht um einen unbeschwerten Tag genießen zu können. Eigentlich gehören diese Berge an Medikamente, Katheter und Kompressen nicht ins Gepäck eines kleinen Kindergartenmenschen. Einen Moment macht mich dieser Gedanke traurig. Wieder ist es mir neu vor Augen, wie anders, wie schwer bepackt mein lieber Sohn ist.

Ich biege auf den Parkplatz des Kindergartens ein. Ich lade zuerst den schweren Buggy, dann die Taschen und Kartons aus. Zum Schluss hole ich meinen Sohn aus seinem speziell angefertigten Kindersitz. Fröhlich singend läasst er sich in den Buggy setzen und ist voller Vorfreude. Er strahlt und singt und lacht. Ich bringe ihn rein, wo er von seiner Erzieherin, dem Pflegedienst und den anderen Kindern erwartet wird. Ich helfe ihm noch beim Schuhe ausziehen und verabschiede mich dann von ihm. Fröhlich vor sich hin summend verschwindet er in seinem Gruppenraum, wo viele Abenteuer auf ihn warten.

Ich begrüße ein paar andere Kinder , alles Kinder mit Behinderung. Alles so tolle Kinder! Die Traurigkeit und Schwere verfliegt. Ja, mein Sohn und all diese Kinder hier haben ein Extra Gepäckstück mit auf den Weg bekommen. Doch keines dieser Kinder lässt sich davon den Lebensmut, den Kämpfergeist oder die Fröhlichkeit nehmen. Alle sind sie hier am Lachen , unbeschwert und frei. Alle lehren uns `gesunde Erwachsene` so unglaublich viel. Sie lehren uns das Leben, sie lehren uns, was wirklich wichtig ist.

Ich mache mich auf den Nachhauseweg. Die Mädels haben tatsächlich schon gut an ihren Aufgaben gearbeitet. Ich helfe ihnen wo sie Hilfe brauchen. Ich räume die Küche auf, schalte eine Waschmaschine an, sauge den gröbsten Schmutz weg, koche ein Mittagessen und mache mich nach knapp zwei Stunden wieder auf den Weg Richtung Kindergarten. Ich hole ein glückliches total zufriedenes Kind ab. Er hat heute Pirat gespielt , er war im Sandkasten und konnte am Morgenstuhlkreis teilnehmen. Er hatte einen super Vormittag. Er, dieser kleine Mensch mit dem vielen Gepäck lebt sein Leben so frei und unbeschwert.

Er bringt, neben manchem sehr schweren, auch so viel Leichtigkeit , Liebe und Fröhlichkeit in unsere Familie, in sein gesamtes Umfeld.

Es ist gut, dass er so wie er ist bei uns ist.

Meine Aufgabe ist es, ihm so viel Gepäck wie möglich abzunehmen. Ich trage, was ich tragen kann. Ich unterstütze mit all meiner Kraft bei den Gepäckstücken, die er selbst tragen muss. Das sollte auch der Auftrag unserer Gesellschaft, von jedem einzelnen sein. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, die Rahmenbedingungen und Strukturen für diese kleinen Menschen mit viel zu viel Gepäck schafft , um eine Teilhabe dieser kleinen Menschen in unserer großen Welt zu ermöglichen.

Leider sind wir sehr weit weg davon. Leider werden diesen Kindern und ihren Familien immer noch mehr schwere Gepäckstücke in den Weg gestellt. Immer noch ein Stein in den Rucksack dazu gepackt.

Schade.


Lebenszeichen

Die letzten Wochen ist es ruhig hier geworden. Die längste schreib Pause seit Beginn dieses Blogs. Das hat verschiedene Gründe.

Zunächst spannt mich der corona Alltag mit zwei Kindern im home schooling brutal ein. Ich liefere Ideen für Aufsätze, motiviere für die vielen Mathe Aufgaben. Ich lerne das einmal eins rauf und runter und etwas über das Universum. Ich helfe bei Kunst Projekten und diktiere Lernwörter. Ich übe Uhrzeiten lesen mit der einen und Textaufgaben mit der anderen. Wir lesen Texte und beantworten Fragen. Wir lernen Gedichte auswendig und in Religion nehmen wir Martin Luther durch.

Zwischen alle dem versorge ich meinen kranken Sohn. Das allein braucht viele Stunden am Tag. Bei ihm zeichnet sich seit vielen Wochen ein negativer Trend ab. Er ist immer weniger belastbar. An vielen Tagen schafft er es kaum aus dem Bett. Sitzen und spielen strengt ihn zu sehr an. spazieren gehen oder Auto fahren ist im Moment kaum möglich. Es ist ihm sogar zu anstrengend, wenn ich ihn in seinem Buggy mit in den Garten nehme. Der unebene Untergrund, der Temperatur unterschied und die vielen Eindrücken rauben ihm zu viel Energie.

Zuletzt war ich mehr als zwei Wochen mit ihm in der Klinik, weil die schmerz Situation Zuhause nicht mehr gut handelbar war. Wir teilten uns das kleine Klinik Zimmer mit einem anderen Kind und seiner Mutter. Die Umstellung der Medikamente erwies sich extrem schwierig, Juniors kleiner Körper hatte extrem zu kämpfen und die kurzen Nächte auf meiner klappbare Holz Pritsche schafften nicht wirklich Erholung. Immer wieder wollte ich Klinik Begegnungen hier posten. Etwas zum Lachen oder was herzerwärmendes, auch Begebenheiten zum weinen. Ich habe es schlicht nicht geschafft.

Ganz aktuell sind wir nun wieder zuhause. mit einem deutlich besseren Regime und einem entspannteren Kind. Nun versuche ich wieder in den Alltag zu finden, erlebtes zu verarbeiten, liegen gebliebenes im Haushalt muss aufgearbeitet werden und meine Töchter brauchen mich mehr denn je.

Ich nehme mir fest vor, diesen Blog wieder zu beleben, ihn aktuell zu halten. Ich hoffe es gelingt mir. Tausend Gedanken und Themen über die ich schreiben möchte haben sich die Wochen in meinem Kopf gesammelt. Ich werde das nach und nach abarbeiten. Herzliche Grüße und bis bald.


Corona (irr?)sinn

 Meinem Sohn geht es akut schlecht. Schmerzen bringen ihn zum weinen und stärkste Übelkeit lässt seinen kleinen Körper nicht zur Ruhe kommen. Seit mehreren Tagen krampft er viel. Vorerst übe ich mich in Gelassenheit. Kenne ich doch all das von meinem Sohn. Sein kleiner Körper steckt wohl wieder in einer 'schlechten Phase'. Doch allmählich verliere ich die Nerven. Ich telefoniere mit dem Oberarzt unserer Uniklinik. Er ist weniger entspannt als ich. Vor kurzem wurde die Rezeptur der parenteralen Ernährung etwas umgestellt. Er möchte gerne ausschließen, dass diese Verschlechterung damit zusammen hängt. Er schlägt vor, eine Blutgasanalyse durchführen zu lassen. Dabei kann beurteilt werden, wie die Stoffwechsel Situation ist, ob das Blut gar übersäuert ist. Dann müssten wir schleunigst die Infusionen wieder umstellen. Für diese Blutgasanalyse benötigt es lediglich einige Tropfen Blut, das durch einen winzigen Pieks in die Fingerkuppe gewonnen wird.

Zur Uniklinik fahre ich knapp zwei Stunden. In Juniors Zustand aktuell kaum möglich. Einige Minuten von unserem Wohnort entfernt ist eine kleinere Kinderklinik. M. ist auch hier bekannt. Ich beschließe dort anzurufen und um diesen einen kleinen Fingerpieks zu bitten. Diese bitte gestaltet als schwierig, fast unmöglich. Es ist kein Arzt im Haus, der die Blutwerte deuten könne. Außerdem müsste Junior stationär aufgenommen werden um eine Notfallmäßige BGA (Blutgasanalyse) durchführen können. Bei beiden Argumenten bleibt mir nichts als verständnisloses Kopfschütteln. Die Beurteilung von Blutgasen, das Feststellen ob diese okay oder verschoben sind, sollte jeder Assistenzarzt beherrschen. Letztlich könnte ich die Werte fast selbst beurteilen. Und eine stationäre Aufnahme für einen Fingerpieks erscheint mir völlig unverhältnismäßig.

Letztlich muss ich einsehen, dass die diebsthabenden Ärzte diesen Fingerpieks nicht machen möchten. Vielleicht ist ihnen auch die Verantwortung zu groß.

Ich schaue mir meinen Sohn an und entscheide mich, ihm heute Abend keine lange Autofahrt mehr zuzumuten. Ich werde ihn Nachts sehr genau beobachten und bei der kleinsten Verschlechterung reagieren.

Die Verschlechterung bleibt aus. Ebenfalls warten wir vergebens auf eine Verbesserung. M. spuckt unglaublich viel und die Schmerzen sind auch mit sehr starken Medikamenten nicht in den Griff zu bekommen.

Ich versuche mein Glück erneut und rufe in der nahegelegenen Klinik an. Ich telefoniere direkt mit der zuständigen Oberärztin. Sie ist bereit M. anzuschauen und den kleinen Fingerpieks zu machen. Ich packe meinen Sohn ins Auto. Ich kann ihn kaum anschnallen, da schreit er vor Schmerz weil der Gurt auf seinem Bauch drückt. Ich mute ihm das zu und fahre zügig.

Auf dem Parkplatz der Klinik angekommen hole ich ihn aus seinem Autositz und packe ihn in seinen Buggy. Die Rückenlehne ganz nach hinten gekippt lege ich ihn in eine gemütliche Seitenlage. Er wimmert vor Schmerzen. Er würgt und immer wieder übergibt er sich. Ich beeile mich und stelle mich in die Warteschlange zum corona Check in. Einige Leute sind vor mir. Ich frage, ob es denn keinen Notfalleinlass gibt. Ich würde meinen Sohn gerne auf eine Liege legen und ihn mit Medikamenten versorgen. Leider gibt es keine Ausnahme. Wir müssen in dieser Schlange stehen und warten. Endlich am Schalter angekommen fülle ich zügig den Fragebogen aus. Corona Symptome? Kontakte zu corona positiven Personen? Gibt es einen positiven test? Ich kann alles mit 'nein' ankreuzen. Die Temperatur und die Sauerstoffsättigung wird gecheckt. Alles in bester Ordnung.

Und dann werden wir zum Test gebeten. Ich frage nochmal nach. Ich und mein Sohn sollen jetzt abgestrichen werden, obwohl es überhaupt keinen Hinweis auf eine Infektion gibt? Der junge Herr bestätigt mir das. Jeder der dieses Haus betritt muss einen Corona Schnelltest machen lassen, bevor ein Arzt oder überhaupt irgendjemand mit einem spricht.

Ich kann das nicht nachvollziehen. Doch ich lasse mich darauf ein und folge den Pfeilen auf dem Boden. Ein großzügiger Wartebereich wurde provisorisch eingerichtet. Hier soll ich warten, bis wir an der Reihe sind. Ich setze mich und warte. Und warte. Es sind viele Personen vor uns dran. Mein Sohn weint mittlerweile laut und verzweifelt. Er würgt und spuckt.

Als endlich eine vermummte Person auf uns zukommt um unsere Namen zu erfahren stelle ich in Frage, ob es wirklich nötig ist dieses kleine Kind, das offensichtlich im Moment sehr geplagt ist, abzustreichen? Reicht es nicht mich, die Mama zu testen?mit einem negativen Ergebnis wäre es nahezu ausgeschlossen, dass mein Sohn mit corona infiziert ist. Ich zeige auf den Zustand meines Sohnes. Er wird sich während und nach diesem Nasen Abstrich noch mehr übergeben müssen. Ich frage, ob wir nicht erst Medikamente für ihn bekommen können. Nichts zu machen. Es wird auf diesen tiefen Nasen Rachen Abstrich bei meinem Sohn bestanden, bevor wir in die Kinder Ambulanz dürfen.

Ich mache die verantwortliche Person darauf aufmerksam, dass in der Zeit, in der wir nun hier im Flur sitzen, warten und diskutieren dieser winzig kleine pieks in den Finger meines Sohnes schon 100 mal gemacht wäre. Ich frage, ob wir dieses BGA Röhrchen nicht einfach hier im Flur füllen können. Ich würde es auch selbst machen.

Keine Chance.

Ohne corona Abstrich keine Medikamente. Keine BGA. Kein Arzt.

Ich mute meinem Sohn viel zu. OPs, Blutabnahmen, Sonden legen, wundversorgung. Was sein muss, muss sein und wird gemacht. Ich packe ihn nicht in Watte, ich halte ihn fest und lasse zu dass ihm weh getan wird. Wenn ich den Nutzen und denn Sinn dahinter sehe.

Doch einen Corona Abstrich bei einem eh traumatisierten Kind, in diesem Zustand, ohne dass irgendjemand vorher versucht Linderung für ihn zu schaffen, steht nicht im Verhältnis.

Sind wir doch seit Wochen in selbst Quarantäne. Die Wahrscheinlichkeit, dass er eine unbemerkt Infektion hat, geht gegen Null.

Ich lehne diesen Schnelltest ab und bekomme als Konsequenz, dass ich die Klinik unverzüglich verlassen muss.

Eine Stunde war ich nun in dieser Klinik, mit meinem Sohn im erbärmlichen Zustand. Eine Stunde ging es nur um Corona vorsichts Maßnahmen. Eine Stunde lang hat es niemanden interessiert, was mit dem Kind los ist, das seit einer Stunde vor Schmerzen weint.

Ich gehe zum Hauptausgang raus und rufe meinen Mann an. Ich bin ziemlich sauer. Ich schildere ihm die Situationen und frage, ob er einverstanden ist, dass ich ohne BGA und ohne Arztgespräch nach Hause komme. Er stimmt zu.

Und so sitze ich wieder eine Nacht neben dem Bett meines Sohnes. Ich beobachte ihn und bewerte jede Regung, jeden Laut. Er hat starke Schmerzen. Und er krampft viel. Aber es wird insgesamt nicht rasant schlechter. So vereinbare ich einen Termin in der Uniklinik.

Die Fahrt dorthin gleicht einem puren horror. Oft halte ich an, gebe Schmerzmittel und beruhigen meinen Sohn. In der Klinik wird er endlich ärztlich angeschaut. Die Epilepsie Medikamente werden angepasst und es wird ein Grund für die akuten enormen Schmerz Attacken gefunden. Völlig erledigt fahre ich mit einem Plan für die nächsten Wochen nachhause. Vorallem mit dem Wissen, dass keine akute Gefahr für meinen Sohn besteht.

Corona Vorsichtsmaßnahmen müssen im Moment sein, da habe ich vollstes Verständnis. Auch großangelegte Massentestungen sind in Kliniken durchaus berechtigt.

Dennoch hinterfrage ich, ob dieses Regel Werk, all die Maßnahmen tatsächlich soweit über dem Wohlergehen des Individuum steht.

Ich hinterfrage die Moral hinter der Aussage 'erst corona Abstrich, dann Schmerzmittel und Medikamente gegen die immense Übelkeit.'

mündet die Sinnhaftigkeit der Massentestungen nicht im totalen Irrsinn, wenn eine Klinik sehr kranke Patienten, die schwächsten der Gesellschaft abweist, weil sie schlicht nicht in der Verfassung für derartige Maßnahmen sind?

Ich hinterfrage den Aufwand - Nutzen Aspekt hinter dieser wehemenden Test Strategie. Auf Nachfrage erhalte ich die Aussage, dass die letzten Wochen kein einziges Kind positiv getestet wurde.

Steht eine Klinik, eine Kinderklinik nicht in der Verpflichtung schnellstmöglich Besserung für die kleinsten zu schaffen?

Um nicht falsch verstanden zu werden : ich bin nicht generell gegen Massentestungen. Ich schreibe heute von dieser speziellen Situation, in der ich mir mehr den Blick auf den einzelnen Menschen, auf eine besondere Situation gewünscht habe. Wo steuern wir als Gesellschaft hin, wenn dieser negative Corona Test über der Menschlichkeit steht? Verlernen Wir gerade das letzte bisschen Empathie und Herzlichkeit?

Ich bleibe kritisch fragend und irritiert zurück. Eines bin ich mir sicher : Ich würde bei jedem weiteren nächsten mal ebenso die 'nervende, doofe' Mutter sein und mein Kind vor diesem offensichtlichen Irrsinn bewahren. 


Im Februar

Es ist Februar. Der Tag der Geburt meines Sohnes jährt sich zum sechsten mal. Irre wie schnell die Zeit vergeht! Mein jüngster wird schon sechs. Dass er körperlich und kognitiv lange nicht mit gesunden sechsjährigen mithalten kann tut nicht mehr in meinem Herzen weh. Ab und zu spüre ich einen kleinen Stich. Wenn ich meinen Sohn dann aber anschaue, ihn lachen höre und von seiner fröhlichen Art angesteckt werde verschwindet dieser kleine Schmerz schnell und wandelt sich in übersprudelnden Stolz.

Er ist toll, dieser schwerstkranke junge, der mir vor sechs Jahren 'kerngesund' in die Arme gelegt wurde. Ich bin von tiefsten Herzen dankbar für meinen Sohn, der heute seinen ersten Geburtstag Zuhause feiert. An allen anderen Geburtstagen war er in der Klinik. Eine unfassbar große Liebe ist da die letzten sechs Jahre gewachsen.

Seit Wochen zählen wir die Tage, bis es endlich so weit ist. Ich frage ihn, was zu einem perfekten Geburtstag nicht fehlen darf. Ohne nachzudenken antwort er prompt 'Schoko Kuchen'. Ich staune nicht schlecht. Mein nicht essendes Kind braucht einen Schoko Kuchen zum Geburtstag? Ich frage, was er denn damit vorhat. 'verteilen' ist seine Antwort. Okay, das leuchtet mir ein. Gibt es noch etwas, was nicht fehlen darf? Luftballons, Kerzen und Geschenke folgen in dieser Reihenfolge. Das ist machbar.

Letztes Jahr um diese Zeit waren wir so dankbar, den fünften Geburtstag mit ihm zu erleben. Er war frisch operiert, sehr geschwächt. Ob er den sechsten noch erleben darf wusste keiner. Ein intensives Jahr zwischen Trauer, Angst und unendlichen wertvollen Augenblick liegt hinter uns. Was das neue Jahr bringt? Ob wir seinen siebten gar noch miteinander feiern dürfen? Keiner weiß es. Keiner wagt mehr eine Prognose.

Nun ist er da, der sechste Geburtstag meines Sohnes! Es geht ihm verhältnismäßig sogar gut. Morgens um kurz nach 6 Uhr erschallt ein lauter Schrei durchs Haus 'FEIERN!' ruft mein Sohn fröhlich als er die Augen aufschlägt. Guten Morgen mein Lieber Sohn. Ja, heute wird gefeiert. Wir feiern Dich! Doch bevor wir los feiern müssen wir auch am Geburtstag erst eine pflegerunde machen. Wir machen einen Verbandswechsel am Hickman-Katheter. Der Eintritt sieht gereizt aus. Ich reinige mit Desinfektionsmittel und creme eine antibakterielle Salbe. Nach dem Verbandswechsel katheterisiere ich, ziehe Medikamente auf und verabreiche sie. Dann ziehe ich das Geburtstagskind an.

Nun können wir loslegen mit unserer Feier. Natürlich steht ein Schokokuchen, dekoriert im 'paw petrol' style auf dem Tisch. M. freut sich sehr. Sechs Kerzen zieren seinen Platz am Tisch von der Decke baumeln bunte Luftballons. Natürlich sind da auch die liebevoll verpackten Geschenke. Ein großer Anteil der Geschenke sind von seinen Schwestern. Seit Wochen fiebern auch sie auf diesen Geburtstag hin. Sie spüren ,wie besonders dieser Tag ist. Ein gebasteltes Auto aus Styropor, ein gebasteltes Schiff aus Pappe und ein großer Geburtstags Roboter aus Karton, dekoriert mit Luftballons und Luftschlangen. M. ist außer sich vor Freude. Bücher, Playmobil, Autos lassen ihn aus dem Staunen nicht herauskommen. Er ist glücklich. Ihn so zu sehen macht auch mich glücklich.

Den ganzen Tag über klingeln immer wieder Leute an der Tür, Leute die an diesem Tag an unsern M. gedacht haben. Es Berührt mich so sehr, bei jedem Läuten an der Haustür werde ich emotionaler. Junior bewegt die Herzen der Menschen. Sein Schicksal und seine Art damit umzugehen, seine ungebrochene Fröhlichkeit lassen die Menschen um ihn herum nicht kalt.

Die Krankheit und die Pflege machen auch an Tagen wie heute keine Pause. Regelmäßig müssen wir Katheterisieren. Immerzu piept die Infusionspumpe. Ich hänge auch heute ein Medikament nach dem Nächsten an. Mehrfach krampft M. heute. Danach schläft er immer ein. Es braucht seine Zeit, bis er wieder sortiert ist und den Tag weiterhin genießen kann. Schmerzen plagen ihn und es ärgert ihn, dass er kaum Energie zum freien Sitzen hat. Die Nahrungs Infusion muss pünktlich vorbereitet und angehängt werden. Und leider können wir auch heute keine Ausnahme machen , dass er Abends länger wach bleiben darf, denn das hätte den nächsten epileptischen Anfall zur Folge.

So versuche ich beidem gerecht zu werden. Diesen Tag ganz besonders zu gestalten. Ihm eine Feier ,Corona konform im kleinsten Kreis, zu ermöglichen. Und dennoch die nötige Pflege und medizinische Versorgung nicht zu vernachlässigen.

Wir alle genießen diesen Tag sehr. Er Hat eine besondere Bedeutung. Eine ganz besondere Tiefe. Jeder Geburtstag ist schön und jeder Geburtstag meiner Kinder lässt mich emotional und zutiefst demütig werden. Doch mein besonderer Sohn schafft es in diesem Jahr, diesen besonderen Tag noch besonderer zu machen.

Dankbar bin ich Abends, beim ins Bett bringen. Dankbar, Mama dreier so wundervoller Kinder zu sein. Dankbar, dass wir als Familie zusammen sind und die Liebe uns fest verbindet. Dankbar für ein so unfassbar geniales Geschwister Gespann . Dankbar für jeden einzelnen Tag im vergangenen Jahr. Dankbar für die Zeit, die uns bleibt, dankbar für Juniors ungebrochene Fröhlichkeit und Leichtigkeit und dankbar , für all die Menschen, die regelmäßig an unseren Sohn denken.

Heute war der Geburtstag meines Sohnes. er wurde reich beschenkt. Doch am reichsten bin heute ich beschenkt- mit meinem wundervollen besonderen Sohn, meinen zauberhaften Töchtern und meinem liebevollen Mann, dem besten Papa für diese drei Kinder.


Nachtwache

 

Ein herzliches Hallo an alle treuen Leser-innen von meinem Blog. Entschuldigt bitte das lange Schweigen. Der corona lockdown Alltag hat mich und uns alle fest im Griff. Für diesen Text, in dem ich über unser Leben mit den Pflegedienst berichte, habe ich viele Tage gebraucht. Mal schrieb ich hier fünf Minuten und mal da sieben. Spätestens nach zehn werde ich verlässlich von irgendeinem Kind, dem Telefon, der Infusions Pumpe oder der Türklingel unterbrochen. Doch heute habe ich es geschafft, den Text fertig zu stellen. Viel Spaß beim Lesen.

Fragen? Kritik? Anmerkungen? Schreibt mir gerne! Herzlichst, eure JuniorsMama

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Seit vielen Monaten vermutlich weit über einem Jahr liegen mir Ärzte, Therapeuten und Pfleger damit in den Ohren, dass wir dringend eine Nachtwache für zu Hause brauchen. Sie soll all die Aufgaben übernehmen, die ich Nachts leiste. Ich lagere meinen Sohn, sorge dafür dass die Sonden gut fördern, ich beobachte Puls und Atmung, gebe Medikamente, richte Infusionen. Ich beruhige, halte seine Hand und wiege ihn in meinem Arm.

Oft schlafe ich gar nicht, manchmal zwei oder in guten Phasen auch mal drei Stunden.

Der Gedanke, dass all das jemand Fremdes übernehmen soll war mir fern. Ich wehre mich eine lange Zeit dagegen, mein Haus und vielleicht auch mein Vertrauen für eine fremde Person zu öffnen. Außerdem : Ich werde es doch schaffen, mein eigenes Kind zu versorgen. Es fällt mir schwer, einzugestehen, dass ich das wohl nicht mehr lange alleine schaffen kann. Ich habe gelernt, mit sehr wenig Schlaf auszukommen. Zwei Stunden reichen, um gerade so durch den Tag zu kommen. Ein aufwendiges, frisch gekochtes Mittagessen ist dann selbstverständlich nicht mehr möglich. Auch der Rest des Haushalts, die Wäsche die Küche und Kinderzimmer sind nach einer 2 Stunden Nacht nicht mehr zu schaffen. Mitunter bin ich leicht gereizt, ungeduldig, auch unfair meine Kindern gegenüber. Aber ich schaffe das. Auch von schnellen Essen wird man satt und meine Kinder haben zu jeder Zeit etwas sauberes zum anziehen.

Anstrengend, ja anstrengend sind diese Tage. Diese Wochen und Monate. Aber doch irgendwie machbar. Ich brauche keine Hilfe. Meine Liebe und meine Kraft reichen, um mein sehr krankes Kind zu versorgen.

Immer wieder stoße ich auf Unverständnis bei unseren behandelnden Ärzten. Sie sagen, Unterstützung für die Nächte steht mir zu, ich muss es nur zulassen. Ich frage sie, ob sie Ihr Kind Nachts jemand Fremdes anvertrauen würden. Ihre Privatsphäre für fremde öffnen. Hilfloses Achselzucken bekomme ich immer wieder zur Antwort. Wer ehrlich ist, kann nachvollziehen, dass es keine Entscheidung ist, die man schnell trifft.

Ich möchte meinen Sohn selbst versorgen. Mein Haus für mich behalten, Privatsphäre wahren.

Bis zu dem Zeitpunkt, an dem es nicht mehr geht. Ich merke, dass mein Körper kräftemäßig am Limit angekommen ist. Neben meiner Ungeduld kämpfe ich nun immer öfter mit Kopfschmerzen. Ich fühle mich bis in die letzte Faser meines Körpers erschöpft. Bei kleinsten Herausforderungen steigen mir Tränen in die Augen. Ich habe keine Freude mehr daran , die Tage mit meinen Kindern zu gestalten . Es ist alles einfach nur noch anstrengend . Gott sei Dank sind wir mittlerweile an einen kinderpflegedienst angeschlossen. Erste Tagdienste laufen sehr gut. Die Pflegedienstleitung des Pflegedienstes fragt seit Wochen immer wieder nach, ob sie Nächte für uns planen soll. Bis hierher habe ich freundlich verneint. Wir brauchen keine Unterstützung in der Nacht. Die Tag Dienste reichen völlig aus. Es geht uns gut. Doch jetzt schreibe ich sie, diese verzweifelte Nachricht an die Pflegedienstleitung, mit der dringenden Bitte um Hilfe.

Ich frage, ob sie uns nicht spontan jemanden hat, der ein oder zwei Nächte übernehmen kann. Dann komme ich wieder ein bisschen zu Kräften. Ich denke lange nach, bevor ich diese Nachricht abschicke. Soll ich es wirklich öffentlich eingestehen, dass wir es alleine nicht schaffen ? Vielleicht geht es ja schon morgen wieder? Ich ringe mich dazu durch, diese Nachricht abzuschicken. Sie antwortet schnell und bietet mir tatsächlich quasi sofort eine Pflegefachkraft für Nachts an.

Okay, wir lassen uns darauf ein. Dankend bestätige ich ihr den Termin für die erste Nachtwache. Ob das richtig ist? Werde ich meinem Sohn gerecht, wenn ich ihn Nachts abgebe? Gebe ich nicht zu viel seiner privatsphäre frei? Ist es nicht der Job einer guten Mutter, rund um die Uhr für ihr Kind da zu sein? Kann eine fremde Pflege Person so sauber arbeiten, wie es bei unserem so angeschlagen Sohn nötig ist?

Jetzt habe ich zugesagt. Wir lassen uns darauf ein. Ich schreibe einen detailierteb Ablauf, was Nachts alles ansteht. Ich aktualisiere den Medikamenten Plan und fülle alle Materialien auf. Gespannt erwarten wir unsere erste Nachtwache. Ich weise sie ein, zeige und erkläre lange. Und dann ist der Zeitpunkt für mich gekommen ins Bett zu gehen. In der ersten Nacht mit Pflegefachkraft schlafe ich kaum. Ich höre auf jedes Geräusch im Haus. Die Sorge, diese fremde Person könnte etwas falsch machen hält mich wach. Morgens muss ich mir eingestehen : geschultes Pflegepersonal kann meinen Sohn durchaus gut versorgen.

Es dauert einige Zeit bis, ich wirklich schlafen kann, während jemand anderes für meinen Sohn verantwortlich ist. Mittlerweile klappt das ganz gut und ich bin ein neuer Mensch. Um 22 Uhr kommt an vielen Abenden der Woche jemand vom Pflegedienst. Ich mache eine kurze Übergabe und kann dann ins Bett gehen. Ich kann mehrere Stunden am Stück schlafen, während mein Sohn trotzdem gut versorgt ist.

Erst jetzt im Nachhinein wird mir bewusst, für was mir im Alltag alles die Kraft gefehlt hat. Undenkbar war es vor Weihnachten, dass ich mit meinen Kindern Plätzchen backe. Ich war viel zu müde. Nun wirbeln wir zusammen durch die Küche und kochen gemeinsam spannende neue Gerichte. Spaziergänge oder verstecken spielen im Garten war für mich unmöglich. An manchen Tagen wusste ich nicht, wie ich noch einen Fuß vor den nächsten setzen könnte. Jetzt tobe ich mit ungeahnter Energie mit meinen Töchtern durch den Garten und habe so viel Spaß dabei! Der Haushalt erledigt sich deutlich leichter und nichtmal dieser zweite Coronalockdown mit homeschooling bringt mich an eine unüberwindbare Grenze.

Mein Fazit : schlafen oder nicht schlafen macht einen enormen Unterschied!

Einige Nächte machen wir noch ohne Pflegefachkraft. Regelmäßig frage ich mich, wie ich das Tage- Wochen - sogar Monatelang alleine gemacht habe. Es ging. Irgendwie. Doch auf Dauer geht das nicht gut.

Nun haben wir Nachtwachen durch einen Kinderkrankenpflegedienst. Das bringt natürlich auch Herausforderungen und Einschränkungen mit sich. Von 22 bis zum 8 Uhr sitzt eine fremde Person in meinem Wohnzimmer, auf meinem Sofa. Sie hinterlässt fremde Gerüche. Sie benutzt meine Toilette und wäscht in meinem Bad die Hände. Jemand fremdes hat regelmäßig Einblicke, wie ordentlich oder unordentlich es hier ist und jemand fremdes schaut unsere Familiengalerie an der Wohnzimmerwand an. Jemand Fremdes bekommt enorme Einblicke in unser Privatleben und jemand Fremdes erlebt mich nach einem irre anstrengenden Tag abends, wenn ich eigentlich nur noch Feierabend brauche.

Insgesamt wechseln sich vier verschiedene pflegekräfte mit Juniors Versorgung ab. Jeder bringt natürlich seine Eigenheiten mit. Jeder arbeitet ein wenig anders, jeder gestaltet die Nacht für sich auf seine Weise. Ich buchstabiere mir regelmäßig durch, dass anders nicht falsch ist. Vier pflegekräfte bedeutet auch vier Charaktere auf die ich mich einlassen muss. Für die Tagdienste kommen zusätzlich nochmal drei pflegekräfte dazu. Viele neue Menschen für Junior und für den Rest der Familie. Mit den Eigenheiten des einen komme ich besser klar, als mit den Marotten des anderen. Doch darum geht es nicht. Danach fragt auch keiner. Ich lerne schnell, viele Begegnungen professionell, nicht emotional zu gestalten. 

Ich selbst bewege mich in meinen eigenen vier Wänden lange nicht mehr so frei, wie ich es tun würde, wenn niemand da wäre. Meine Töchter versichern sich immer wieder, dass auch wirklich niemand zu ihnen ins Zimmer kommt und morgens sind sie gehemmt, im Schlafanzug zum Frühstückstisch zu kommen.

Diese enorme Entlastung, die mir einige Stunden Schlaf verschafft ist gleichzeitig auch eine enorme Umstellung und Herausforderungen.

Ich gewöhne mich langsam daran. Ich passe Strukturen und Abläufe an diese neue Situation an. Auf der einen Seite lerne ich es zuzulassen, dass immer jemand fremdes da ist. auf der anderen Seite versuche ich ein selbstbestimmtes Familienleben zu gestalten und die Privatsphäre meiner Töchter so gut zu schützen wie es mir möglich ist. Zusammen überlegen wir uns, welche Ecken unseres zuhauses unantastbar für Fremde sind und wie sich jedes einzelne Familien Mitglied zuhause uneingeschränkt wohl fühlen kann.

Es ist ein Weg, auf dem wir im Moment unterwegs sind, um eine gute Situation für alle Beteiligten zu schaffen.

Junior macht es super. Schnell konnte er sich auf das Pflegepersonal und die ungewohnte Situation einlassen. Nachts lässt er sich von ihnen beruhigen und Morgens wacht er stets fröhlich auf. Er lässt sich von der jeweiligen Nachtwache versorgen und überredet die netten Pfleger immer noch für ein Spiel oder ein Bilderbuch wenn noch Zeit ist, bis sich das Pflegepersonal in den wohlverdienten Feierabend verabschiedet.

Dankbar und ausgeschlafen übernehme ich um 8 Uhr meinen Sohn, der dann mit der ersten Pflege - und Medikamentenrunde schon fertig ist.

Ich freue mich auf die Tage und kann sie wieder mit Kraft und Ruhe gestalten. Ich kann die Tage voller Action und Liebe packen. Ich kann Herausforderungen annehmen und Chaos aushalten. Denn ich bin ausgeschlafen und ich weiß, dass ich nächste Nacht wieder schlafen werde. 


Bus fahren

 Junior hat bald Geburtstag. Ich frage ihn, was er sich denn wünscht. So kurz nach Weihnachten überfordert ihn diese Frage völlig. Ist doch das Kinderzimmer im Moment noch voller neue Spielsachen. Nun überlegt er, ob es noch einen offenen Wunsch gibt. Es fällt ihm erstmal nichts ein.

Später am Tag sagt er " Busfahren! " was ist mit Busfahren frage ich ihn. Er wiederholt"Busfahren!". Ich denke über seine Worte nach, reagiere nicht sofort. Da liefert er die Erklärung" ich wünschen Busfahren." Jetzt verstehe ich was er sagen möchte. Er wünscht sich zu seinem Geburtstag mit dem Bus zu fahren. Ich frage ihn, was für einen Bus und wohin. Er sagt" ein großer Bus " okay, und wohin möchtest du fahren? Er antwortet" zuerst Bahnhof, dann nach Hause". Was er denn am Bahnhof machen möchte frage ich ihn. Er schaut mich ungeduldig an und sagt "nur Bus fahren " langsam fällt bei mir der Groschen. Er möchte einfach nur mit einem Bus fahren. Ganz ohne Ziel. einfach mit dem Bus zum Bahnhof und wieder nach Hause fahren.

Mich rührt dieser Wunsch. Hätte ich das gewusst, hätten wir beinahe jeden Tag mit dem Bus fahren können. Mit seinem Schwerbehindertenausweis sogar kostenlos.

Ich beschließe mit diesem Wunsch nicht bis zu seinem Geburtstag zu warten. Ich setze ihn gleich in die Tat um. Ich ziehe meinen Sohn warm an, die Kälte im Winter macht seinem kleinen kranken Körper schwer zu schaffen. Ich setze ihn in seinen Buggy. Ich Decke ihn gut zu, verstaue all seine Kabel und mache mich mit ihm auf dem Weg zur Bushaltestelle. Er ist total aufgeregt. Ungeduldig hält er Ausschau nach dem richtigen Bus. Endlich entdeckt er ihn in der Ferne. Er jubelt und winkt dem Bus zu. Voller Freude jauchzt er als der Bus vor uns anhält und sich die Türen öffnen.

Ich hieve den schweren Buggy in den Bus und ziehe die Bremse des Buggys an. Dann hole ich meinen Sohn aus seinem warmen Winterfußsack. Ich achte sehr genau darauf, dass ich mit keinem Kabel irgendwo hängen bleibe. Ich schaue nach den Ablaufbeutel und trage dann meinen Sohn mit all seinen Kabeln zu einem freien Platz im Bus. Er ist voll freudiger Erwartung. Er möchte unbedingt ans Fenster sitzen und raus schauen. So kniet er glücklich auf seinem Platz und kommentiert alles was er sieht. Er hält sich an einer dafür vorgesehenen Haltestange fest, dennoch muss ich gut aufpassen, dass er nicht runter fällt. Seine körperspannung wird immer weniger. Er untersucht den stop Knopf zum anzeigen des Haltewunschs.

Eine ältere Dame macht mich höflich darauf aufmerksam, dass mein Sohn die Füße auf dem Sitz hat. Ich sage ihr, dass das okay ist, weiler keine Schuhe an hat, weil er gar nicht über die schmutzige Straße läuft . Sie schaut erst mich dann ihn ungläubig an. Der Blick bleibt an all den Kabeln und Geräten hängen, die unter seiner Jacke hervorkommen. Peinlich berührt murmelt sie irgendwas von Füßen, die trotzdem nichts auf dem Sitz verloren haben und widmet sich dann ihrem Buch. Ich entscheide, dass ich es okay finde wenn mein Sohn mit Socken auf dem Sitz kniet.

Ihn interessiert diese Unterhaltung kein bisschen. Interessiert und staunend verfolgt er jeden Halt, jedes Ein- und Aussteigen, jede Durchsage.

Ich schielen zu der Frau, die uns eben noch zurechtwies. Das Buch vor ihrem Gesicht haftet ihr Blick doch am Buch vorbei fest an meinem Sohn. Ich schenke ihr ein Lächeln. Sie lässt das Buch sinken und erwidert meine freundliche Geste. Sie entschuldigt sich. Sie wusste ja nicht, dass... Hier bricht sie ihren Satz ab. Dass was? Sie zögert und sagt "dass er so ist" was meint sie mit "so"? So behindert? So krank? So unerzogen? So fröhlich? Ich kann sie leider nicht mehr danach fragen. Bei der nächten Haltestelle müssen wir aussteigen. Ich nehme meine Sohn samt all seinen Kabeln und Geräten auf den Arm und trage ihn zurück zu seinem Buggy. Viele viele Blicke folgen jedem meine Handgriffe als ich Junior gemütlich hinsetze und versuche den Kabelsalat ein bisschen zu sortieren.

Am Busbahnhof steigen wir aus. Die Buch Dame kommt mir zur Hilfe. Zusammen hieven wir den Buggy die Stufe zur Haltestelle herunter. Unverhofft sagt sie "sie haben da einen wundervollen Sohn. Bewahren sie ihm die Fröhlichkeit" Einen Moment bin ich etwas perplex. "Danke, das werde ich" Da war sie schon verschwunden.

Junior und ich schauen uns noch ein paar Busse an und steigen schließlich in den Bus ein, der uns wieder zurück nach Hause bringt. Junior möchte nun in seinem Buggy sitzen bleiben. Die Hinfahrt war aufregend und anstrengend für ihn. Erschöpft und sehr glücklich beobachtet er nun alles von seinem bequemen Platz im Buggy.

Zu Hause angekommen lege ich ihn in sein Bett und er schläft zügig ein. Als er wieder aufwacht, beginnt er sofort zu erzählen. Von dem Bus, von den vielen Sitzen, von dem Knopf um seinen Halte Wunsch mitzuteilen und vielen Menschen die ein und aussteigen. Vom Busfahrer, vom Fahrkartenautomat und davon, dass er ganz alleine auf einem echten Bus Sitz sitzen durfte. Er ist glücklich. Und ich bin es auch, ich freue mich unheimlich, ihn so gelöst zu erleben. Es sind die Kleinigkeiten, die ihn glücklich machen. Er merkt, dass das Leben für ihn zunehmend anstrengend wird und lässt sich davon nicht entmutigen. Mit seiner ungebrochen Freude begegnet er den Herausforderungen im Alltag, lässt sich begeistern und berührt auf diese Weise so viele Menschenherzen.

Ich bin mal wieder so stolz auf ihn. Auf meinen besonders wundervollen Sohn. Ich sage ihm,wie stolz ich auf ihn bin, nehme ihn in den Arm und drücke ihn einen Moment ganz fest an mich. Er protestiert prompt " ich stärker" sagt er und erwidert meinen Druck mit einem Löwengeschrei. Nur an seinem angestrengten lauten merke ich, dass er schon drückt. Ich pruste, als würde mir die Luft weg bleiben bei seiner Kraft. Zufrieden kicherte er und sagt "ich stärkste"

Ich hoffe, es gelingt mir. Das beibehalten seiner Fröhlichkeit, seiner Art den Dingen zu begegnen.

Für heute nehme ich mir das eine mit: besonders ist er. Besonders wundervoll!!


Der andere Schneemann

Endlich hat es auch bei uns geschneit. Die Kinder sind außer sich vor Freude, als sie nach dem Aufstehen die weiße Schnee Landschaft entdecken. Heute muss das Frühstück schnell gehen. Sie wollen unbedingt raus in den Schnee. Schnell steht ein Müsli und Kakao für jedes Mädchen und ein Kaffee für mich auf dem Frühstückstisch. Junior sitzt in seinem Stuhl mit uns am Tisch und nagt an seinem Kauring aus Gummi. Es geht ihm gut. Die Mädchen essen schnell und reden ohne Pause davon, was sie alles mit dem Schnee vorhaben. Selten sind sie so schnell fertig mit essen und anziehen.

Junior möchte mit raus. Ich habe bedenken. Diese Kälte kostet ihn so viel Energie. Die Mädels flitzen schon warm eingepackt in den Garten. Ich gebe M. noch Medikamente, schaue nach den Sonden und dem Verband und ziehe ihm dann mehrere Schichten übereinander. Eine lange Unterhose, eine Thermo leggins und eine dicke Jeans. Oben rum ähnlich viele Schichten. Dann packe ich ihn in einen Ski overall und zu guter letzt in seinen dicken Lammfell Sack in den Buggy. Nur noch Mütze und Handschuhe, dann schiebe ich M. im Buggy auch in den Garten.

Die Mädels sind schon fleißig am Schneemann Kugeln Rollen. Junior möchte unbedingt raus aus dem Buggy. Er möchte den Schnee spüren, damit spielen. Ich stimme nach kurzem Zögern zu und setze ihn in den Schnee. Er ist begeistert. Er formt Schneebälle und versucht große Kugeln daraus zu machen. Er legt sich auf den Rücken, spürt die Schneeflocken in seinem Gesicht. Er lässt etwas Schnee auf seiner Zunge schmelzen. Er lacht und und ist sehr glücklich.

Der Schneemann der großen nimmt Gestalt an. Große Kugeln haben sie geformt. Wir stapeln die Kugeln gemeinsam übereinander. Meine Töchter suchen Steine, Stöcke und eine Karotte um dem Schneemann ein Gesicht zu geben. Schön ist er geworden. Die Mädels sind stolz über ihr Werk. Junior betrachtet das Kunstwerk und möchte einen eigenen Schneemann haben. Seine großen Schwestern sind begeistert von der Idee, noch einen zweiten Schneemann zu Formen . Sie legen gleich los. Während M. weiterhin völlig fasziniert ist von dem eiskalten weißen Pulver. Schnell ist eine große Kugel fertig. Leider verlässt meine Töchter dann die Schneemann - bau- Lust. Ihr Bruder lässt nicht locker, er möchte unbedingt auch einen Schneemann. Er formt selbst eine kleine Schneekugel und setzt sie auf die große. Ich versuche ihn zu stoppen, möchte ihm erklären, dass wir eine deutlich größere Kugel brauchen. Meine eine Tochter sieht Juniors Werk und ist begeistert. Schnell holt sie einen krummen Stock. Einen sehr krummen Stock. Steine und eine Karotte sind auch schnell herbei geholt. Sie stecken den sehr krummen Stock als Arm in die große Kugel und geben der winzig kleinen Kopf Kugel ein Gesicht. Seltsam sieht es aus, dieses Schnee Kunstwerk.

Meine Tochter ist begeistert. Sie jubelt "toll! Jetzt haben wir einen normalen Schneemann und einen der anders ist. Der ist auch schön. Halt anders. Es sind ja nicht alle normal. Der ist so anders wie unser M.!" alle drei sind begeistert und beschließen jetzt ein bisschen Schlitten zu fahren.

Während sie ihre Schlitten holen, denke ich über die Worte meiner Töchter nach. Anders. Es sind ja nicht alle normal. Haben sie da gerade einen behinderten Schneemann gebaut? Ja, das sind wohl die unverblümten Worte.

Behindert.

Und dieser behinderte Schneemann steht völlig selbstverständlich neben einem 'normalen' unbehinderten Kamerad. Er gehört dahin. Hier bei uns im Garten würde er fehlen, wäre er nicht da. Behindert und nichtbehindert nebeneinander. Ganz selbstverständlich. Wenn das nur in der Realität auch so klappen würde. In unserer Familie und in der Nachbarschaft ist unser M. mit all seinen Besonderheiten nicht weg zu denken. Er gehört dazu, hat seinen Platz. Er ist ganz selbstverständlich, wann immer es möglich ist, mitten drin im Geschehen. Doch außerhalb diesen Rahmens bewegt er sich immer in einer parallel Welt. Er ist immer der kranke Junge. Der behinderte. Der, der so anders ist. Das Kind mit den vielen Kabeln. Er wurde noch nie zu einem kindergeburtstag oder einfach zum Spielen eingeladen. Er schafft es nicht in die Welt der 'normalen'.

Meine Töchter ziehen strahlend ihre Schlitten aus dem Gartenschuppen. Sie wollen auf dem angrenzenden Feld einen kleinen Hügel herunter fahren. M. natürlich auch. Er sitzt auf seinem Schlitten. Ich ziehe ihn den Berg rauf und wieder runter. Rauf und runter. Unermüdlich ist er heute und er hat so viel Spaß. Wir ziehen Spuren im Schnee und haben jede Menge Spaß zusammen.

Mir wird es kalt. Das Schlitten ziehen ist anstrengend. Nur unter Tränen kommt M. mit mir rein. Ich ziehe seine vielen Klamotten aus und erkenne wie erschöpft er ist. Blass ist er mit dunklen Rändern unter den Augen. Ich packe ihn ins Bett, schalte die Bettheizung an und Decke ihn gut zu. Er schläft sofort ein. Und er schläft den ganzen Mittag. Nach einer Stunde versuche ich ihn zu wecken. Ohne Erfolg. Er schläft tief und fest. Als er Nachmittags aufwacht wird er von Übelkeit und starken Schmerzen geplagt. Er spuckt viel, er krampft und weint. Das ist wohl der Preis für unsere schöne Zeit im Schnee. Er hat zu viel Energie verbraucht. Es war zu kalt. Zu viel für seinen kleinen kranken Körper.

Dieses Tief hält viele Tage und Nächte an. Er Quält sich durch die Stunden und Tage. Seine Kraft reicht fast nicht um das Bett zu verlassen. Er krampft und spuckt und weint vor Schmerz. Ich sitze viel neben ihm, halte seine Hand. War es das wert? Ich versuche abzuwägen Vernunft gegen glückliche Kindheitsmomente. Ich weiß es nicht. Aber mein Herz wird warm, wenn er von seinem Schneemann und dem Schlittenfahren erzählt.

Ganz unbeschwert und so normal wie bei anderen funktioniert es bei uns nicht. Dafür ist unser M. zu anders, zu besonders. Aber ich bin wieder neu dankbar dass er bei uns ist. Er gehört zu uns. Er würde fehlen, wäre er nicht da. 


Ver-rückt

Ein völlig anderes, ja verrücktes Jahr ist zu Ende. Das Coronavirus hielt die Welt fest im Griff. völlige Ausnahme in der Politik, in den Schulen in den Kirchen in den Krankenhäusern und in den Familien. Völlige Verwirrung in jedem einzelnen. Manchmal wünschte ich mir, ich könnte das Drehbuch für das Jahr 2021 schon mal zum Lesen bekommen. Es ist so spannend, wie es weitergeht. Dürfen die Kinder bald wieder in die Schule? Dürfen wir uns wieder mit unseren Freunden, unsere lieben Verwandten treffen? Wie viele Lockdowns liegen noch vor uns, bis es das nächste Mal Weihnachten wird? Bleiben wir und bleiben meine nächsten gesund? Die Pandemie wirft viele Fragen und Unsicherheiten auf.

Ein völlig verrücktes Jahr auch für uns als Familie. Mehrfach schrieb ich darüber, wie tief Juniors Tief am Anfang von 2020 war. Er hat sich erholt. Dennoch ist er ein ganzes Stück kranker, als er es noch vor diesem Einbruch war. Unser Lager mit Medikamenten und Pflegeutensilien platzt mittlerweile aus allen Nähten. Immer wieder werde ich gefragt, ob das mein Beruf ist, die intensiv Pflege. Nein. Ich habe beruflich nichts mit Pflege zu tun. 'intensiv Mama' kommt wohl meiner Berufsbezeichnung sehr nahe. Ich habe mir das nicht ausgesucht, nicht studiert. Ich musste vieles im schnellgang erlernen. Nun mache ich diese Handgriffe, die sogar examinierte Pfleger zum Teil überfordern, so gut wie nur irgendwie möglich.

In allem was ich tue, überwiegt nicht die Professionalität. Es ist die Liebe die mich antreibt immer weiter zu machen. Die unendlich große Liebe zu meiner Familie, zu meinem Sohn.

Verrückt war dieses Jahr auch die Erkenntnis, dass mein Sohn zu krank für einen Kinder intensiv Pflegedienst ist. Zu aufwendig. Zu schwierig. Zu wenig greifbar. Völlig unvorbereitet und am Limit unserer Kräfte erreichte uns die Info, dass uns sämtliche Unterstützung seitens des Pflegedienstes gestrichen wird.

Verrückt, die Erfahrung, mit wie wenig Schlaf der Körper doch irgendwie weiter funktioniert.

Und manchmal wünsche ich mir, auch hier einen Einblick in das Drehbuch für 2021 zu bekommen. Wann erwartet uns der nächste gesundheitliche Tiefpunkt? Oder darf ersteinmal etwas Ruhe einkehren? Bleibt Juniors Zustand dieses Jahr stabil? Welche Herausforderungen lauern an der nächsten Ecke? Wieviele Wochen Krankenhaus und wieviele Katastrophen stehen an? und reicht meine Kraft durch das nächste Jahr?

Manchmal, wenn ich Nachts am Bett meines Sohnes sitze, bahnen sich Sorgen den Weg. Ängste und Fragen schwirren durch mein müdes Hirn. Es wäre so gut, ich könnte dann nur einmal kurz in dieses Drehbuch von 2021 spickeln. Nur einige Seiten lesen. Dann könnte ich mich darauf vorbereiten.

Doch , wäre das wirklich gut? Würde mich das weiter bringen, ruhiger machen? Eher nicht.

Ich Falte meine Hände, sortiere meine wilden Gedanken und spreche mit dem Gott, der Himmel und Erde gemacht hat. Ich staune darüber, wie weit er uns gebracht hat. Wir gut er es mit uns meint. Wie wunderbar er uns versorgt. Tag für Tag. Er, der Gott dem Wind und Wellen gehorchen, fordert mich auf, meine Sorgen zu ihm zu bringen. Denn er kümmert sich um mich.

Das habe ich schon so oft erfahren.

Ich lege ihm dieses verrückte Jahr hin, alles gesehene, gehörte und erlebte. Ich bete um Bewahrung für unsere Herzen und für alles kommende. Ich vertraue ihm wieder neu. Er wird uns gut führen.

Mein Blick ver-rückt sich und ich freue mich auf alles, was vor uns liegt. Es ist gut, dass ich das nicht schon weiß. Ich nehme jeden Tag als Geschenk aus seiner Hand und weiß, dass wir dabei fest in seinem göttlichen Plan sind.

Neben all den extremen Herausforderungen durften wir dieses Jahr doch auch erfahren, wieviel gutes uns widerfährt.

Unfassbar, wie viele Menschen, verstreut auf der ganzen Welt, für unseren M. beten.

Es erreicht uns ganz praktische Unterstützung und unendlich viele tröstende und ermutigende Worte.

Empathie begegnet uns wo wir Distanz erwarten.

Tränen werden mit uns geweint, wo wir Härte vermuteten.

Liebevolle Aufmerksamkeiten erreichten unsere Mädels und signalisieren ihnen, dass auch sie gesehen werden.

Wir danken für Ärzte und Pfleger, für die M. längst mehr als eine Fallpauschale ist. Sie begegnen M. mit Respekt, liebevoll und mitfühlend.

Und dann ist da der neue Kinder pflegedienst, der mit einer ungeahnten Professionalität und Liebe zu unserem Sohn in kurzer Zeit so ein tolles Team für uns zur Verfügung hatte. Hier erfahren wir Unterstützung weit über das bisher bekannte hinaus.

Verrückt, die Erkenntnis : wir sind nicht alleine.

Verrückt war es, dieses Jahr.

Völlig verrückt.

Und mit ver-rücktem Blick möchte ich ins neue Jahr starten.

Mit dem Blick nach oben und einem Herz der Dankbarkeit.