Der Mundschutz

Mundschutz. Dieses Wort ist in - und auf - aller Munde. Ab sofort müssen wir alle in der Öffentlichkeit einen Mundschutz tragen. Für viele befremdlich. Ich höre, wie die Kassiererin sagt 'ich werde mich nie daran gewöhnen'.

Der Situation geschuldet wird der Mundschutz immer mehr zum Mode Accessoir. Es gibt sie in allen Farben, mit Spitze, individualisiert. Passend zu jedem Outfit.

Bei uns Zuhause gehört der Mundschutz seit langer Zeit täglich dazu. Wir müssen Infusionen mischen und Medikamente über die Vene spritzen. Wir müssen den Port anstechen, das alles absolut keimfrei, steril. Wir arbeiten stets mit Mundschutz. Sobald sich jemand kränklich fühlt, sei es Mama, Papa oder die Mädchen, tragen wir Zuhause alle einen Mundschutz, um unseren geschwächten Sohn vor Krankheiten zu schützen. Der Mundschutz ist ein wichtiges Utensil im besonderen Alltag mit unserem besonderen Kind. Er schützt unseren Sohn vor schweren Infektionen. Nicht erst seit einigen Wochen sondern seit einigen Jahren. Es ist kein geblümtes Mode Accessoire, die hygienischen Standards sind die Lebensversicherung für unseren Sohn.

In der Hygiene Schulung haben wir gelernt, dass der Mundschutz einmal getragen und dann entsorgt wird. Nur so bietet er sicheren Schutz. Ganz selbstverständlich bekamen wir jede Woche eine neue Lieferung Mundschutze. Dabei gibt es große für die Erwachsenen und kleine für Junior. Nur wenn der Mundschutz gut sitzt, rundherum möglichst gut abdichtet, ist maximaler Schutz gegeben. Für uns ist der Mundschutz ein Alltags Gegenstand. Auch von den Kindern akzeptiert. Da gibt es keine Diskussionen. Wenn nötig lassen sie ihn über Mund und Nase. Auch, bzw vorallem unser besonderes Kind muss seinen Mundschutz täglich mehrfach tragen- und kann das gut.

Durch die aktuelle Situation mit dem Corona Virus kommt es seit einigen Wochen zu Engpässen bei der Mundschutz Lieferung. Einige Wochen war keine Lieferung möglich. Nun bekommen wir immerhin 5 Stück des Erwachsenen Exemplares pro Woche. Wir sind angehalten, sie mehrfach zu nutzen. So lange wie es nur irgendwie geht. Für M. bekommen wir keine kleine Größe mehr. Er trägt nun auch die große Nummer. Atmet allerdings unten durch und oben drüber. Ein echtes Risiko. Eine Lücke im sterilen handling, zu welchem wir angeleitet sind.

Auch Desinfektionsmittel sind für uns nicht mehr lieferbar. Wir können die Flächen, auf denen wir sterile Infusionen herstellen, nicht mehr ausreichend desinfizieren. Beim Hände desinfizieren sind wir dazu angehalten zu sparen. Weniger desinfizieren. Weniger Schutz vor Keimen durch eine unzureichende Versorgung mit Mundschutze. Ich schaue besorgt auf diese Entwicklung. Ein einziger unsteriler Handgriff, oder ausgeatmete Keime die nicht vom mehrfach verwendeten Mundschutz zurück gehalten werden, können schwere Folgen für meinen Sohn haben. Eine Sepsis, die auch zum Tod führen kann.

Es ist gut und richtig, dass diese Utensilien für medizinisches Personal vorenthalten wird. Doch versorgen wir unseren Sohn ebenfalls auf intensiv medizinischem Niveau. Zuhause. Traurig, dass diese Besonderheit der ambulanten heim Versorgung durch Angehörige nicht erkannt wird. Dass hier keine gute Lösung gefunden wird. Der Mundschutz, vom wichtigen Alltagsgegenstand zum kostbaren Gut. 


Schwestern

Heute schreibe ich über meine Töchter. Sie waren erst eineinhalb und dreieinhalb Jahre alt als unser Sohn geboren wurde und sie große Schwestern wurden. Sie liebten ihren Bruder vom ersten Moment an. Wie stolz und glücklich sie waren, als Mama endlich mit dem Baby nach Hause kam. Nun mussten sie lernen zu warten. Die Mama zu teilen. Lektionen, die alle Geschwisterkinder lernen müssen. Doch dieses 'wie alle' hielt nicht lange an. Nach vier Wochen war ich das erste mal über Nacht plötzlich weg. M. lief nachts blau an. Wir fuhren sofort in die nächste Kinderklinik. Dort blieben wir drei Wochen. Meine Mädchen litten sehr in dieser Zeit. Völliger Ausnahme Zustand. Wie glücklich und erleichtert waren alle, als wir endlich nach Hause kamen. Dieses Glück hielt nicht lange. Immer wieder musste unser M. in die klinik. Immer wieder war ich wochenlang weg. Wenn wir Zuhause waren, fuhr ich mit M. von einer Therapie zur nächsten. Sie mussten mit. Mussten im Wartezimmer warten, schön brav sein. Oder wurden bei Freunden geparkt. Ihre Geburtstage in diesem Jahr, der zweite und der vierte, fielen aus. Ihr Bruder war zu krank. Im nächsten Jahr feierten wir den dritten Geburtstag der Mittleren und den fünften Geburtstag der Großen in einer Klinik. In dem einen Jahr war ich mit M. Über Ostern im Krankenhaus , im anderen Jahr an Weihnachten. Ich verpasste die Einschulung der einen und den letzten Kindergarten Tag der anderen.

Sie müssen viel auf mich verzichten. Urlaub machen wir, wenn überhaupt, in Deutschland. Keine lange Autofahrt und der nächste Kinderarzt darf nicht weit sein. Alles was wir tun, jede Freizeit Aktivität, jeder Ausflug wird gedanklich gefiltert : geht das mit M.? Wenn nicht gibt es zwei Optionen. 1.wir können das nicht machen. Oder 2. wir müssen uns trennen. Einer bleibt bei M., der andere ist mit den Mädels unterwegs. Wenn wir M. mitnehmen können muss alles akribisch geplant sein. Wir müssen Medikamente für alle Eventualitäten vorbereiten. Abgekochtes Wasser für die Sonde muss mit. Genügend Ersatz Klamotten falls junior spuckt. Eine Tasche mit sterilen Utensilien usw. Das Zeitfenster ist eng abgesteckt. Wir können los, wenn M. bereit ist und müssen pünktlich zuhause sein, bevor die Pumpe Alarm schlägt und die Infusionen leer sind. Länger auf dem Spielplatz bleiben oder spontan auswärts zu Abend essen ist nicht denkbar. Raum für Spontanität gibt es nicht.

Alles dreht sich immer um den kranken Bruder.

M. schläft. Zeit für die Mädchen. Gerade haben wir ein Gesellschaftsspiel begonnen, da tönen seltsame Geräusche aus dem Babyfon. Ich schaue nach M. - er krampft. Wir können jetzt auf keinen Fall spielen. Wir müssen nach M. schauen. Es dauert einige Zeit bis es ihm besser geht und er weiter schläft. Meinen Töchtern bleibt nichts anderes übrig als zu warten.

Ich verspreche den Mädels, wenn sie aus der Schule kommen basteln wir zusammen neue deko für ihre Zimmer. Sie freuen sich. Als die Schule aus ist, stehe ich mit dem Auto vor der Schule. Sie müssen schnell einsteigen. Sie bekommen beide eine Butterbrezel in die Hand. Ihr Mittagessen. Wir müssen schnell in die Klinik fahren. M. hat plötzlich hoch Fieber, er erbricht blutig. Sie sitzen den ganzen Mittag im Wartebereich der Kinderklinik. Gott sei Dank können wir ihn wieder mit nach Hause nehmen. Als wir endlich dort ankommen , ist es zu spät zum Basteln.

Immerzu bin ich gedanklich bei meinem kranken Sohn. Von klein auf müssen meine Töchter zurück stecken, Rücksicht nehmen, Verständnis zeigen. Sie müssen geduldig sein, Enttäuschung erleben. Sie sehen und hören Dinge, die Kinder nicht sehen und hören sollten. Sie entbehren, sie warten, sie halten aus.

Mittlerweile sind sie 6 und 8 Jahre alt. Ich staune über sie. Sie hätten allen Grund traurig zu sein, enttäuscht und verschlossen. Sie dürften schimpfen. Sie dürften M. die Schuld geben. Jeder hätte Verständnis, wenn sie zornig auf ihren Bruder wären. Doch davon keine Spur. Sie sind zwei ganz wundervolle Mädchen.

Fröhlich. Freundlich. Herzlich. Offen.

Sie lieben die Mensch, das Leben und ihren Bruder über alles. Sie würden alles für ihn tun. Wann immer es geht, sind sie um ihn rum. Sie lesen ihm vor. Spielen mit ihm, lassen ihn auch mal gewinnen. Sie verteidigen ihn auf dem Spielplatz. Sie fordern ihn heraus und trauen ihm was zu. Und manchmal, wenn M. sich ganz gut benimmt, darf er sogar auch mal die Prinzessin sein.

Ich beobachte meine Töchter, wie sie fröhlich als Einhörner durch den Garten galoppieren. Ich höre ihr Gekicher und lache mit ihnen zusammen. Ich werde Zeuge von Geheimnissen und beherbergte den geheimen käferclub auf meinem Dachboden. Ich staune, wie sie sich von Kleinigkeiten begeistern lassen. Schön, mit was für einer Hingabe sie kaulquappen beim wachsen zuschauen. Sie feiern jede Blüte die im Garten aufgeht. Sie sind fröhlich und frei. Was mich am meisten freut ist, dass die zwei ein absolut unzertrennliches Team sind.

Schwestern, beste Freunde, verbündete.

Sie verstehen sich ohne Worte und kommen ohne Streit aus. Oft wünsche ich mir ein Stück von ihrer Unbeschwertheit, von ihrer Sicht auf die Dinge. Ihre Herzen quellen über vor Freude und Dankbarkeit. Sie kennen und schätzen den unbezahlbaren Wert des Augenblicks.

Die Jahre als Schwestern eines schwerst kranken Bruders habe sie geformt und geprägt. Sie wissen, dass in allem ungewissen sie die Konstante sind. Mal ist die Mama weg, mal der Papa. Oft der Bruder. Die zwei sind und bleiben da.

Sie wissen in ihren jungen Jahren wie wertvoll das Leben ist, jeder Tag ein Geschenk.

Sie kennen Sorgen. Sie kennen Angst. Sie kennen Ungewissheit.

Und doch versprühen sie, wann immer es möglich ist

Unbeschwertheit. Freude. Liebe.

Sie sind mir Vorbild geworden. Zwei ganz besonders tolle, wundervolle bestaunenswerte Mädchen, Schwestern, Töchter! 


Der Therapiestuhl

Juniors Krankheit betrifft auch die Muskulatur. Diese wird nach und nach abbauen. So fällt es ihm immer schwerer frei zu laufen oder zu sitzen. Beides konnte er gut. Im Juni letzten Jahres fiel uns immer öfter auf, dass M. nicht mehr gut und nicht mehr lange frei sitzen kann. Er suchte sich immer die breite Basis zum Abstützen. Das Sitzen auf einem Stuhl wurde für ihn zusehends zu einer Herausforderung. Wir suchten Rat bei Ärzten. Im August wurde uns ein sogenannter Therapiestuhl empfohlen. Ein Stuhl der in alle Richtungen gekippt, verschoben und angepasst werden kann. Juniors Rumpf kann stabilisieren werden, seine sitzposition optimiert. so kann M. wieder bequem sitzend Teil der Gemeinschaft sein. Sei es im Morgenkreis im Kindergarten oder beim gemeinsamen Essen am Familienesstisch. Der Vorschlag der Ärztin klingt gut. Wir treten zeitnah in Verbindung mit dem Sanitätshaus unseres Vertrauens. Durch die Ferien Zeit dauert es etwas, bis wir einen Termin bekommen um Details zu besprechen. Im September ist es soweit. Zusammen mit dem Fachmann schauen wir uns an, was es gibt und was wir brauchen. Wir konfigurieren einen Therapiestuhl, der individuell auf M. angepasst ist. Nun muss der Kostenvoranschlag an die Krankenkasse. Dort wird geprüft, ob die Kosten übernommen werden können. Ende Oktober kommt der Bescheid der Kasse, sie übernimmt die Kosten für einen Therapiestuhl. Wow! Das gibt es nicht oft, eine Genehmigung auf Anhieb, ganz ohne Widerspruch! Das Sanitätshaus wird informiert und kann die Bestellung aufgeben. Drei Wochen später ruft eine nette Mitarbeiterin des Sanitätshauses an. Sie wollte fragen, in welcher Farbe wir den Stuhl gerne hätten. Sie würde ihn jetzt bestellen. Ich frage mich, warum das nicht vor drei Wochen passiert ist!? Wir hätten gern den dunkelblauen Stuhl mit Punkten. Nochmal einige Wochen später bekommen wir die Info, dass es einen Therapiestuhl im Pool der gebrauchten Hilfsmittel gibt, der für M. gut wäre. Er ist bereits auf dem Weg zum Sanitätshaus. Allerdings eine andere Farbe. Auch gut! Hauptsache M. kann bald wieder sitzend dabei sein! Im Februar informiert uns das Sanitätshaus, dass der Zustand des gebrauchten Stuhles zu schlecht war. Er wurde zurück geschickt. Ein neuer wurde bestellt. Endlich ist es so weit, im März ist das gute Stück fertig. M. ist im Krankenhaus als er geliefert wird. Mein Mann nimmt den Stuhl an. Endlich! Als M. nach Hause kommt die große Ernüchterung :der Stuhl ist sehr klein. Zu klein für M.? Wir stellen alle stellschrauben auf größte Position. Wir ziehen die Rückenlehne ganz aus, stellen das Fußbrett auf tiefste Position. M. passt gerade so rein. Das darf nicht wahr sein! Diese Hilfsmittel müssen eigentlich über Jahre mitwachsen. Dieser Stuhl ist von Anfang an maximal ausgelastet. Nach dem nächsten Wachstumsschub in den nächsten Monaten können wir diesen Stuhl nicht mehr nutzen. Wir kontaktieren das Sanitätshaus. Und warten auf eine Antwort. Wir warten lange. Wir warten vergebens. Wir kontaktieren nochmal. Es soll jemand kommen und sich das anzuschauen. Der Mitarbeiter findet die Größe optimal. Wir trauen unseren Ohren nicht. In einem halben Jahr sollen wir einfach einen neuen beantragen. Wie bitte!? Die Krankenkasse hat aktuell viele tausend Euro bezahlt und soll das in einem halben Jahr nochmal tun? Wir kontaktieren den Chef des Sanitätshauses. Auch er kommt und schaut sich den Stuhl an. Eindeutiges Urteil : zu klein! Er räumt den Fehler seitens des Sanitätshaus ein. Es wurde die falsche Größe bestellt. Er kümmert sich drum, dass der Stuhl ausgetauscht wird. Es ist Ende April. Es ist fast ein Jahr her, dass wir den Bedarf an diesem Hilfsmittel festgestellt haben. Mal sehn, wie lange es noch dauert bis wir einen passenden Stuhl hier stehen haben. Es braucht Geduld, es braucht ein dickes Paket Nerven und jede Menge Zeit. Es könnte alles so einfach sein. Ich habe lange aufgehört mich zu ärgern. Aber ich wundere mich, wie langsam die Mühlen mahlen wenn dringend Alltags Erleichterung benötigt wird.


Danke

Liebe leser-/innen meines Blogs. Ich staune, was hier raus geworden ist. Viele viele viele mal wird der Blog täglich geklickt. Ich bekomme viele überwältigende Rückmeldungen. Danke dafür. Mittlerweile lesen auch viele unbekannte interessierte mit. Wie auch immer sich diese Kreise gezogen haben - herzlich willkommen :) 

Danke, dass ihr alle das aus diesem Blog gemacht habt, was er ist.

Immer freue ich mich über Anregungen,  Fragen oder Gedanken! 

Ich grüße alle Leser herzlich! Lara, stolze Mama von M. 


Jungen und Mädchen

Unser Sohn ist krank. Schwer krank. Lebensverkürzend krank. Eine harte Wahrheit.

Gerade entdeckt er die Sprache. Endlich, mit fünf Jahren kommen immer mehr neue Worte dazu. Ich sage zu ihm 'oh mein großer Junge!' er verneint vehement. 'bist du mein kleiner Junge?' 'Nein!' 'Ja was denn dann?' 'Nein junge. Nur M.!' Ich verstehe. Er weiß, dass er M. ist. Dass er ein Junge ist, dass es auchMädchen gibt, ist ihm noch gar nicht bewusst.

Die Mädels haben ihr Freude daran. Immer wieder fragen sie ihn 'Bist du ein Junge?' immer wieder antwortet er 'neiiiiiin' Die Mädels brechen jedes mal in lautes Gelächter aus. M. lacht mit. Ohne zu verstehen warum. Ein lustiges Spiel. Irgendwann wird die 6 jährige wieder ernst. Sie möchte M. den Unterschied zwischen Jungs und Mädchen erklären. 'Jungs werden irgendwann große Männer und Papas. Mädchen werden Frauen und Mamas. Du bist ein Junge. Du wirst ein großer Mann.'

Die 8 jährige schüttelt den Kopf. ' Nein. M. wird kein großer Mann.'

Ihre Schwester fragt 'hä?warum?wird er ein kleiner Mann!?' sie lacht über den Gedanken.

Die große sagt ernst 'Nein er wird auch kein kleiner Mann' Sie schaut mich hilflos fragend an.

'hä! Wird er ein Mädchen?' fragt die kleine verwirrt und beide lachen laut über diese Frage.

Damit ist das Thema erstmal beendet. M. weiß immernoch nicht dass er ein Junge ist, die Mittlere ist verwirrt und die Große ratlos. Ich lass es erstmal so stehen. Die Kinder verlieren sich im Spiel.

Meine große hat Recht. Nach jetzigem menschlichen Ermessen wird unser kleiner Junge kein Mann. Sein Körper ist zu krank und seine Zeit bei uns begrenzt. Ein Gedanke an den ich mich niemals gewöhnen werde. Niemals gewöhnen möchte! Jedes Mal wenn ich daran denke zieht es alles in mir zusammen. Es tut so weh. Und doch müssen wir uns damit auseinandersetzen. Mein Mann und ich, aber auch unsere Kinder. Es ist nicht richtig, sich gedanklich auf den Abschied seines Kindes oder Bruders vorzubereiten. Es ist Absurd. Doch auch das gehört zu unserem besonderen Leben. Dem Leben mit unserem besonderen Kind. Dem besonderen Bruder. Über diese besondere Unterhaltung meiner Töchter muss ich trotz allem grinsen. Sie verstehen viel und lassen sich die Freude des Momentes und ihre Unbeschwertheit doch nicht nehmen. Tolle Töchter habe ich da!


Ostern

Ostern. Wir sind zuhause. Mit unserm M.! Nach vielen schlechten Monaten scheint die abwärts Spirale im Moment still zu stehen. Endlich sind die richtigen Medikamente gefunden und die massiven Schmerzen im Griff. Die Blutwerte sind weit weg von gut. Aber sie sind stabil. Während die Werte zuletzt monatelang Schlecht und immer schlechter wurden halten sie sich aktuell auf einem zu akzeptierend Niveau stabil. Junior hat sogar wieder Kraft das Bett zu verlassen. Zu spielen, dabei zu sein. Wir erleben eine fast unbeschwerte Zeit. Kaum zu glauben, dass wir vor einigen Wochen noch um sein Leben bangten. Kein Arzt hätte es für möglich gehalten, dass M. nochmal so auf die Beine kommt! Unser OSTERWUNDER!

Wir feiern Ostern. Die Auferstehung Jesu. Das Grab war leer. Wir feiern, dass der Gott an den wir glauben den Tod besiegt hat und heute noch lebt.

Dankbar Staunen wir über Juniors Zustand. Für uns ein Wunder! M. kann in diesem Jahr aufmerksam den Erzählung rund um Ostern folgen. Sein Sprachverständnis hat enorme Fortschritte gemacht. Wir erzählen unseren Kindern vom letzten Abendmahl, von der Kreuzigung und von der Auferstehung. Ob M. Irgendetwas versteht weiß ich nicht. Wir feiern Ostern. Die Kinder suchen und finden bunte Eier im Garten. Die Sonne scheint. Ein herrlicher Tag! Tief im Herzen bin ich dankbar und glücklich dass M. dabei ist. Dass es ihm so gut geht. Dankbar, diesen Gott den wir heute feiern, zu kennen. Es ist keine oberflächliche Dankbarkeit die in der nächsten Kriese wankt und untergeht. Es ist eine tiefe, beständige Dankbarkeit die mich Immer wieder hoch zieht. Eine Dankbarkeit mit tiefen Wurzeln.

Nachmittags decke ich den Tisch zum Kaffee und Kuchen. Wir treffen uns mit der Verwandtschaft im Video Chat. Besondere Zeiten fordern kreative Ideen. Schön sie alle zu sehen. Wir unterhalten uns über eine Stunde. Dann müssen wir uns verabschieden. Wir müssen die Portnadel neu stechen. Infusionen vorbereiten und anhängen. Das macht auch an einem so schönen Ostertag keine Pause. Portnadel raus, M. darf kurz in die Badewanne. Neue Nadel stechen, Infusionen anhängen. Medikamente sondieren. M. ist müde. Ein anstrengender Tag für ihn. Aber so schön. Ich bringe ihn ins Bett. Die großen spielen noch fröhlich singend im Garten. Als ich ihm noch eine gute Nacht wünsche sagt er plötzlich 'Jesus ausgebüxt' . Ich muss lachen. Am liebsten spielt er Feuerwehr und löscht ein Feuer nach dem nächsten oder er spielt Polizei und fängt Räuber die immerzu ausbüxen. Nun hat er diese schwierige Geschichte der Auferstehung in seine Welt verpackt. Das Grab war leer, Jesus ist ausgebüxt. Ich frage ihn, was wir da machen können. Er sagt 'einfangen'. Aber wo können wir Jesus einfangen. Wo könnte er sein? ' Himmel' Das hat er gut verstanden. Ich sage, dass wir uns morgen darum kümmern. Jetzt darf er erstmal schlafen. Mein kleiner Polizist. Dankbar für diesen Tag, für diesen kleinen Jungen, dankbar für Ostern, lösche ich das Licht. 


Superheld

Wieder ein neues Wort. 'Ich superheld' klingt es immerzu durchs Haus. Ob M. es schafft seine Zahnbürste alleine mit zahnpasta zu beschmieren, ein puzzelteil richtig einzuordnen oder seine Hose alleine anzuziehen - er quittiert es mit 'ich superheld'.

Meine Tochter fragt mich : 'glaubt er das wirklich, dass er ein superheld ist?' 'ja ich denke schon. Er scheint sehr überzeugt'

M. ist gerade dabei Wasser aus einer Karaffe in ein Glas zu gießen. Der Tisch ist geflutet. M. Schaut ins Glas, ein bisschen Wasser ist tatsächlich drin. Er strahlt übers ganze Gesicht über diesen Bodensatz Wasser, den er ins Glas getroffen hat. Er breitet die Arme aus und verkündet : 'ich suuuuuperheld'

Meine Tochter reicht mir die Küchenrolle, ich wische das Wasser vom Tisch. Sie sagt nachdenklich 'merkt der wirklich nicht, dass er die Sachen nicht gut kann!? Alle können es besser als er'

Nein, ich glaube wirklich, dass er das nicht merkt. Weil er sich nicht vergleicht. Er ist ganz bei sich. Was für eine schöne Gabe das ist! Er lässt sich nicht klein kriegen, nicht in eine Schublade stecken. Er lässt sich nicht entmutigen. Wann immer es ihm möglich ist, ist er fröhlich und sehr zufrieden. Es tangiert ihn nicht, was die anderen wohl denken oder sagen. Es ist ihm egal was die Welt erwartet. Was die anderen alles können und dürfen interessiert ihn nicht. Er dreht sich nicht um seine Schwächen und Defizite. Er macht sein Ding. Lässt sich da nicht beirren, er glaubt an sich und lässt die Menschen hören, was er für ein superheld ist. Da kann ich von ihm lernen.

Abends bringe ich ihn ins Bett. Ich drücke ihn fest und sage ihm leise ins Ohr 'Schlaf gut mein kleiner Superheld' Er löst sich empört aus meinem Arm und stellt klar 'großer Superheld!' Klar, das hätte ich wissen müssen. 'Schlaf gut, großer Superheld.'

Hoffentlich bleibt ihm das noch lange lange erhalten. Hoffentlich glaubt er niemandem, der etwas anderes sagt. Ich bin sehr stolz auf Dich , mein kleiner großer Superheld.


Wenn alles anders wäre

Vor einiger Zeit fragte mich eine Freundin, ob ich mir manchmal überlege, wie es wäre, wenn M. gesund wäre. Weiter fragte sie, ob ich es mir sogar wünschte, dass er ein ganz normaler fünfjähriger Junge wäre.

Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich mir diese Frage nie gestellt. Doch einmal angestoßen, bewegten mich diese Gedanken noch längere Zeit. Wir wäre es, wäre M. gesund geboren?

Er wäre ein Kindergarten Kind im Kindergarten ganz in der Nähe. Er würde sprechen, laufen, Fußball spielen, Kräfte messen. Er würde Fahrrad fahren und gerne draußen spielen. Er würde sich größtenteils selbstständig anziehen, er würde am Esstisch auf seinem Stuhl sitzen und mit uns mitessen. Er würde meckern wenn es ihm nicht schmeckt und wenn es Pommes gibt würde er nicht aufhören zu essen. Er würde heimlich Süßigkeiten naschen. Er hätte Freunde. Wäre auf Kindergeburtstage eingeladen. Er würde bei der Oma übernachten und im Sommer im Garten zelten. Er könnte Männchen malen, schneiden und vielleicht sogar schon seinen Namen schreiben. Er würde in großen Schritten auf die Vorschule zugehen.

Vielleicht würde ich schon wieder ein bisschen arbeiten. Nachmittags wären oft alle Kinder unterwegs bei Freunden, im Sport oder auf dem Spielplatz. Mein Haushalt wäre Tip-top. Fenster wären geputzt und die Wäsche gebügelt. Ich würde mich öfter mit Freundinnen zum Kaffee trinken treffen. Die Kinder würden schön zusammen spielen, ab und zu würde ich einen Streit schlichten. Ich könnte mit meinen Kindern durch den Wald schlendern, ohne auf feste, buggytaugliche Wege angewiesen zu sein. Ich wäre ausgeschlafen. Ich hätte keine Ahnung, wie Kinderklinik Alltag aussieht, könnte die Nummer der Krankenkasse nicht auswendig. Die Kinderärztin würde ich nur flüchtig von den u-Untersuchungen oder kleinen wehwehchen kennen. Ich hätte nie davon gehört, dass es ambulante kinder Pflege Dienste und sogar ambulante Kinder palliativ Versorgung gibt. Ich hätte mir nicht ausmalen können, was so kleine Kinder alles tragen können.

Ich hätte wertend über Kinder gedacht, die in der Entwicklung verzögert sind. Ich hätte kluge Tipps für Eltern gehabt, deren Kinder nicht essen. Ich hätte auf alles eine Antwort und eine Lösung parat. Oder wenigstens ein kluges Buch zur Hand. Ich würde Mütter, die ihre großen kinder tragen oder gar im Buggy fahren komisch hinterher schauen. Vermutlich könnte ich mir ein Kommentar nicht verkneifen.

Würde ich ein Kind mit vielen Kabeln an seinem kleinen Körper sehen, würde ich denken wie arm dieses Kind doch ist. Ich vermute, ich würde beschämt weg schauen, aus Angst etwas falsches zu sagen lieber schweigen. Ich würde meine Kinder lehren, dass der Gott an den wir glauben, immer Krankheit heilt. Alles Leid weg nimmt. Dass nur alte Menschen nach einem glücklichen Leben sterben. Vielleicht würden wir über das Leid der Kinder auf anderen Kontinenten sprechen. Ein Leid, das sehr weit weg, für Kinder nicht greifbar ist.

Es ist anders.

Während alle fünf jährigen um und herum anfangen ihre Namen zu Scheiben und die Einschulungsunrersuchung erfolgreich hinter sich bringen, üben wir mit M. erste Worte und Sätze. Er spielt kein Fußball und fährt nicht Fahrrad. Er braucht beim Laufen mindestens eine Hand und ist sehr schnell erschöpft. Er bekommt rund um die Uhr Infusionen mit genug Kalorien und Nährstoff um nicht zu verhungern. Er ist an jedem Tag auf unsere Pflege und Unterstützung angewiesen. Keine Spur von Selbstständigkeit. Ohne die gute medizinische Versorgung der nächsten Uniklinik wäre er vermutlich schon lange nicht mehr bei uns.

Ich bin 24 Stunden lang um ihn herum. Immer mit der Angst vor der nächsten Krise. Ich habe kaum Zeit für Treffen mit Freundinnen oder Hobbys. Ich schlafe seit Jahren zu wenig, mein Haushalt ist nie zufriedenstellend. Bügeln habe ich komplett eingestellt. Fenster putze ich, wenn es gar nicht mehr anders geht- vielleicht. In der Klinik bin ich Profi. Die Ärzte kenne ich gut.

Ich schäme mich, wie ich noch vor einigen Jahren über entwicklungsverzögerte Kinder dachte. Es war töricht, für alles Erklärungen und Lösungen zu Posaunen. Ich dachte, alles lässt sich durch Erziehung, durch Förderung und im Zweifel durch Therapien steuern und beheben.

Heute weiß ich, wie falsch ich damit lag.

Heute weiß ich, wie wertvoll das Leben ist.

Heute weiß ich, was es für ein Wunder ist, wenn Kinder sich einfach so entwickeln. Laufen, sprechen, essen lernen. Ich nehme nichts mehr als einfach so hin. Ich habe den Blick der Dankbarkeit gelernt.

Heute weiß ich, dass Gesundheit ein Geschenk ist und unbeschwerte Tage keine Selbstverständlichkeit.

Heute weiß, dass auch Kinder sterben. Auch hier bei uns, im behüteten Schwabenland.

Heute weiß ich, dass wir vieles einfach nicht in der Hand haben. Wir können unser bestes dazu tun. Aber wir können nicht beeinflussen, dass 'alles gut wird'.

Heute spreche ich mit meinen Kindern über den Gott, an den wir glauben. An dessen verheißungen wir uns festhalten. Wir lesen zusammen über ihn und stellen fest, dass er heilen KANN. Aber auch, dass er es nicht immer tut. Wir merken, dass ganz schön viel doofes passiert, was ich nicht erklären kann . Gemeinsam ringen wir um Antworten. Und kommen zu dem Schluss, dass es ein Vertrauen in diesen Gott gibt, das größer ist als unser Verstand, größer als all die Warums.

Ob ich mein jetziges Leben eintauschen würde, wenn ich könnte? Da brauche ich nicht lange überlegen, schnell sprudelt die Antwort aus mir heraus: Nein!! Nein!!! Nein!!!!

Nein das möchte ich nicht. Manchmal würde ich dem kleinen Kerl gern Leid und Schmerz abnehmen. Aber es geht nicht. Es ist wie es ist und ich tu mit all meiner Kraft mein Bestes dazu.

Es ist gut, dass er bei uns ist.

Es ist gut, dass er ist wie er ist.

Er ist gut. Sehr gut! 

Es ist gut, dass er uns die Wichtigkeiten des Lebens lehrt.

Es ist gut zu wissen, dass wir im Plan unseres Gottes sind, dass er uns mit der Kraft ausstattet die wir an jedem Tag brauchen.

Es ist ein Privileg, dieses tolle Kind auf seinem Weg auf dieser Erde begleiten zu dürfen.

Es ist ein Privileg, seine Mama sein zu dürfen! 


Spinat

Abendessen. Es gibt Spinat. Eine Rahmspinat Soße. Ein sehr gern gesehenes Essen bei uns. Als M. noch essen konnte liebte auch er Spinat Soßen. Nun sitzt er in seinem Therapiestuhl gemütlich mit am Esstisch. meistens interessiert es ihn nicht, was wir essen. Er isst schon lange nicht mehr mit dem Mund. Oft trinkt er schlückchenweise Saft oder leckt an einem lolly. Schön, dass wir so noch gemeinsam zu den Mahlzeiten am Esstisch sitzen können. Heute sieht er den Spinat und bekommt Lust darauf. Nein, ich kann ihm kein Spinat geben. Da wird es ihm schlecht. Sein Verdauungssystem kann damit nichts anfangen. Wir fangen an zu essen. M. lässt nicht locker. Er möchte probieren. Ich versuche ihn mit Apfelsaft abzulenken. Keine Chance. Heute möchte er Spinat. Eigentlich schön. Na gut, aber nur einmal. Eine kleine Löffelspitze. Ich lasse ihn probieren. Er lehnt sich zurück, schließt die Augen und strahlt glücklich übers ganze Gesicht. 'Hmmmmm gegga' sagt er. Wow! Allein für diesen Moment hat es sich gelohnt! Dieser gehäckselte Spinat wird schon gut über die Magensonde ablaufen. Während des Abendessens darf M. noch eine zweite Löffelspitze Spinat haben. Er ist zufrieden.

Das Abendessen ist beendet. Ich Räume den Tisch ab und die Küche auf. Dann bringen wir die Kinder ins Bett. Während ich M. fürs Bett fertig mache, merke ich dass der Spinat nicht so gut aus der Sonde abläuft, wie ich es mir gedacht habe. Ich hole eine Spritze, spüle die Sonde gut mit Wasser an und ziehe etwas Spinat aus dem Magen ab. So viel hat er ja nicht gegessen. Wird schon gut gehen. Ich bringe ihn ins Bett. Es dauert keine halbe Stunde, da tönt es aus dem Babyfon. Er weint. Er würgt. Ich schaue nach ihm. Er sieht gar nicht gut aus. Blass. Augenringe. Er würgt. Ich versuche nochmal mit einer Spritze den Magen abzuziehen. Diese doofen Spinat Fetzen sind zu groß. Sie verstopfen die Sonde. Ich spüle nochmal mit viel Wasser an. Jetzt läuft das Wasser nicht mehr ab. Die Sonde ist dicht. Verstopft von Spinat. M. weint. Er bekommt Bauchschmerzen. Sein Magen rebelliert. Er weiß mit diesem bisschen Spinat nichts anzufangen. Ich gebe ein Medikament gegen Übelkeit und eines gegen Schmerzen und versuche unermüdlich die Sonde frei zu spülen. Ja! Ein kleines Spinat Stückchen ist raus. Eine halbe Stunde später nochmal eines. Es ist mühsam. Man ahnt es ja nicht, aus Wie vielen kleinen Spinat Blättchen so zwei Löffelspitzen bestehen. Ich spüle an, ziehe ab. Ich tröste und streiche über die weichen Haare. Wie doof es von mir war, ihm diesen Spinat zu geben. Ich bin doch die große von uns beiden. Ich hätte es wissen müssen. Miterweile ist es 23 Uhr. Ich sitze immernoch bei meinem Sohn und feier jedes kleines stückchen Spinat, das ich mit meiner Spritze aus dem Magen raus bekomme. M. Weint, er krümmt sich mittlerweile vor Schmerz. Er bekommt nochmal ein Schmerzmittel. Ein stärkeres. Die Schmerzen werden besser. Die Übelkeit hält sich hartnäckig. Ich versuche verschiedene Spritzen, ich lagere ihn hin in ne her. Es bringt alles nichts. Dieser Spinat hängt fest. Nur ganz langsam, Stückchen für Stücken bekomme ich ihn raus. Ich sitze noch bis tief in die Nacht. Begrüße jedes kleine grüne Blättchen das mir entgegen kommt persönlich. 'Schön dich zu sehen'. Irgendwann wird M. ruhig. Ich habe es geschafft. Die Sonde scheint wieder frei durchgängig, der Magen leer zu sein. So werden also zwei mini Löffelchen Spinat Soße zu einem Desaster . Ich nehme mir fest vor, das nächste Mal standhaft zu bleiben. Es war sein letzter Spinat. Schade. Aber es geht nicht. Diese vielen Stunden Schmerzen und Übelkeit waren es nicht wert! M. schläft.

Ich beeile mich, auch ins Bett zu kommen. Wer weiß, wann er wieder aufwacht. Ich küsse ihn auf seine Stirn. Er fordert mir viel ab. Aber ich liebe ihn so sehr. Gute Nacht, kleiner Lieblingssohn.


Besonderer Alltag zu besonderen Zeiten

Zur Zeit befindet sich Deutschland im Ausnahme Zustand. Die Auswirkungen der corona Krise treffen uns alle in unserem Alltag. Heute möchte ich euch von unserem Corona Alltag berichten.

6 Uhr fordert M. mich nach einer anstrengenden Nacht zum ersten mal. Es ist noch ganz still im Haus. Nur er ist wach. Müde leere ich den Sekret Ablaufbeutel. Wickel ihn und verbinde die peg eintrittstelle frisch. Dann mache ich Frühstück.

7 Uhr. Der Wecker klingelt. Die Mädels können eine Stunde länger schlafen als an normalen Schultagen. Wir frühstücken, putzen die Zähne und ziehen uns an. Dann geht der Papa ins home office. Die Mädels setzen sich um 8 Uhr an ihre Schreibtische. Beide haben Pläne, die abgearbeitet werden müssen. Zusammen schauen wir sie uns an. Jedes Kind darf entscheiden ob mit Mathe oder Deutsch gestartet wird. Sie legen los. Gott sei Dank sehr selbstständig.

Ich gehe runter. Da erwartet M. mich. Ich ziehe Medikamente für den Tag auf. Insgesamt 15 Spritzen die ich mit verschiedenen Medikamenten fülle. Von dem einen 2ml,das andere nur 0,4ml.Ich muss mich konzentrieren. Die ersten 3 spritzen verabreiche ich sofort. Ich sondieren sehr langsam direkt in den Dünndarm. Ich beobachte M. genau. Wenn ich zu schnell sondiere, wird es ihm schlecht und er übergibt sich. Heute früh geht alles gut. Ich schließe den Ablauf Beutel. Wir wollen, dass die Medikamente ca 1 Stunde im Darm bleiben. Ich putze ihm die Zähne, ziehe ihn an. Beim Hose anziehen drehe ich ihn zu schnell auf die Seite. Er übergibt sich. Ich putze den Boden. Vermutlich landet ein großer Teil der Medikamente die ich vor 20 Minuten sondiert habe im Putzeimer. Ich muss ihn nochmal umziehen.

Gerade habe ich alle nassen Sachen ausgezogen, da ruft die eine Tochter. Sie ist fertig mit ihrer Aufgabe. Sie braucht die nächste. Ich renne hoch. Schlage das nächste Heft auf der vorgegebenen Seite auf. Bespreche kurz mit ihr was zu tun ist. Ein Blick auf die Arbeit der anderen Tochter. Sie machen es so gut.

Ich höre M. unten weinen. Ich renne runter. Er friert. Und es plagt die Übelkeit. Ich ziehe ihn schnell an und richte ein Medikament gegen die Übelkeit. Ich hänge die Infusion steril an. Die große ruft, sie braucht Hilfe bei Mathe. Ich ziehe mundschutz und Handschuhe aus. Lege M. ins Bett. Stelle die Heizdecke ein und renne hoch.

Eine Textaufgabe. Wir überlegen uns zusammen, wie sie auf die Lösung kommen könnte. Sie rechnet eifrig drauf los.

Es klingelt an der Haustür. Richtig, wir erwarten eine Lieferung von der Apotheke. Ich renne runter,nehme die Pakete entgegen. Es handelt sich um gekühlte Medikamente. M. ruft mich, die Infusion ist durch. Ich muss erst schnell in den Keller zum Medikamenten Kühlschrank. Da räume ich alle Medikamente ein.

Nun bei M. die Infusion abstöpseln. Die Übelkeit ist noch nicht besser. Er ist blass,würgt viel. Die Tochter ruft, sie braucht eine neue Aufgabe. Ich renne hoch. Versorgen sie mit neuen Aufgaben. Die Mädels haben durst. Sie bitten mich einen 'knusper Teller' zu bringen. Ich fülle unten ihre Trinkflaschen und für jede einen Teller mit knusper Brezeln und einem Stückchen Schokolade. Sie freuen sich darüber. So lernt es sich gleich viel besser sie arbeiten weiter.

Ich schaue nach M. Er ist am einschlafen. Perfekt. Ich überprüfe, ob der Magen Ablauf gut funktioniert. Ich schmeiße eine Waschmaschine an, überlege mir, was es zum Mittagessen gibt.

Wieder ein Mathe Problem. Ich renne hoch,helfe und renne wieder runter. Fange an das Mittagessen vorzubereiten. M. weint plötzlich laut. Er hat Schmerzen. Ich bereite eine Infusion mit Schmerzmittel vor und hänge sie an. Ich versuche ihn zu trösten. Es wird gleich besser. Er weint. Die Mädels rufen. Ich renne hoch. Bespreche mit ihnen die nächste Aufgabe. Ich spitze die Bleistifte und ermahne zur schönschrift. M. weint immernoch. Ich muss nach ihm schauen. Warum tröpfelt die Infusion so langsam? Ich stelle sie schneller. Schaue nach dem Mittagessen.

Die erste ist fertig mit den Aufgaben. Ich muss sie nur noch fotografieren und der Lehrerin schicken. M. wird ruhiger. Das Medikament wirkt. Ich renne hoch. Mache Fotos der erledigten Aufgaben. Unten piept es laut. Die Infusion ist durch. Ich muss schnell runter. Infusion abstöpseln. Dann wieder hoch. Fertig abfotografieren. Noch schnell den Text im Lesebuch lesen. Die Erstklässlerin ist fertig. Die große jammert. Würde auch lieber spielen. Ich überzeuge sie, fertig zu machen. Ich schaue nach dem Mittagessen. Und nach meinem Sohn. Er hat gespuckt. Das gewohnte Procedere. Als ich ihn gerade trocken anziehe ruft die große. Fertig. Endlich. Ich komme gleich alles anschauen. M. protestiert als ich wieder schnell weg muss. Ich korrigiere Schulaufgaben, fotografiere sie. Gut gemacht.

M. hat genug vom alleine sein. Ich nehme ihn auf den Arm. Zusammen kochen wir fertig. Nebenher telefoniere ich mit der Ärztin, um eine Änderung im Medikamentenplan zu besprechen. Ich sondieren nochmal vier verschiedene Medikamente. Mache den Ablauf zu und hoffe dass alles drin bleibt.

Mittagessen. Pause. Kaffee.

Der Nachmittag ist entspannter. Die großen sind selbstständig. Wie dankbar ich um unseren großen Garten und angrenzende Felder bin! Ich gehe mit M. auch ein bisschen raus. Wir genießen die Sonne. Ich kümmere mich weiter um Bauchschmerzen, Übelkeit, Infusionen, peg Sonden, Medikamente. Nebenher versuche ich ihm ein bisschen Kindheit zu schaffen. Ihn in seiner Entwicklung zu fördern. Ich versuche für die Mädels da zu sein, wann immer sie mich brauchen.

Um 17 Uhr bereite ich die Nahrungs Infusion vor. Die Abend Routine beginnt. Infusionen an und anstöpseln, Medikamente sondieren, Verbandwechsel. Abendessen. Kinder ins Bett bringen. Vorlesen, zuhören da sein. Gute Nacht! 

Im Haushalt aufholen was tagsüber liegen blieb, nur das nötigste. So dass wir morgen weiter machen können. Wenn alles gut läuft, kann ich gegen 23 Uhr schlafen. Ich bin müde. Die Tage mit homeschooling neben einem schwer pflegebedürftigen Kind fordern mich. Es ist anstrengend.

Und doch genieße ich es auch. Ich genieße die Zeit mit der Familie. Ich genieße es, nicht von Termin zu Termin zu hetzen. Ich genieße es, einfach im Moment zu leben. Einfach hier zu sein. Ich genieße es, nah an den Mädchen dran zu sein. Eine besondere Zeit mit besonderen Herausforderungen. Aber auch ganz besonderen Chancen. Mit besonders schönen Momenten.


Die Schule

Angestoßen durch das corona homeschooling, was wir zur Zeit machen, kam ich mit den Mädels ins Gespräch über Sinn und Unsinn der Schule. Eigentlich gehen beide gerne in die Schule. Heute haben sie nicht viel Lust, ihre Arbeiten zu erledigen. So diskutieren wir. Warum müssen wir lernen? Oder dürfen wir lernen? Sind wir dankbar um die Schule und Lehrerinnen vor Ort? Oder wären Dauerferien besser? Die Mädels sind sich einig, wenn lernen sein muss, dann bitte bald wieder in der Schule. Da macht es mehr Spaß als bei mir. Schade eigentlich. Ich könnte mich an diese Modell durchaus gewöhnen. Ich genieße diese Zeit gerade.

M. steigt mit ins Gespräch ein. Er macht zur Zeit große Fortschritte in der Sprache. Und sagt 'M. gut sprechen, M. auch Schule' Die Mädels fangen an zu lachen.

Die kleinere (1. Klasse) fragt, wie lange man in die Schule muss. So kommen wir auf die verschiedenen Schulabschlüsse. Sie ist sich sicher, dass sie nur die kürzeste Zeit wählt um dann schnell künstlerin zu werden. Wahlweise wäre Clown eine Option. Die große (3. Klasse) hakt gleich ein. Sie erklärt, dass man später die meisten Sachen machen kann, wenn man lange in der Schule bleibt. Sie macht die längste Schulzeit. Ich erkläre, dass das dann Abitur heißt. Okay, sie macht Abitur und wird Ärztin. Kinderärztin für behinderte Kinder.

Na, gut. Vielleicht macht die kleinere ja doch auch länger Schule. Vielleicht Abitur. Sie weiß es noch nicht. Das muss ja jetzt auch noch nicht entschieden werden. Sie widmet sich wieder ihren Schulaufgaben. Lieber würde sie künstlern. M. meldet sich wieder zu Wort. 'M. auch Schule. Auch tur' Ich sage 'du gehst auch in die Schule und machst Abitur?' er antwortet siegessicher 'ja. Tur' Wieder haben die Mädels ein Grund laut zu lachen.

Die große fragt 'darf er das? Abitur machen obwohl er behindert ist?' Ich versuche zu erklären, dass das jeder darf, der es kann. Wir wissen nicht, wie M. Weg aussieht. Aber ein Abitur scheint sehr unwahrscheinlich. Die große quittiert dieser Unterhaltung mit 'der muss erst mal sprechen lernen. So kann man nicht mal schreiben lernen.' Die Erstklässlerin wird nachdenklich. Dann sagt sie 'das ist gemein. Weil M. behindert ist muss er kein Abitur machen. Keiner erwartet das. Der muss in der Schule nur sprechen lernen. Das ist doch einfach. Wir müssen rechnen und schreiben.' Ich unterbreche sie und frage, ob sie gerne diese Behinderung hätte und in der Schule nur sprechen lernen wolle. Sie wird still. Antwortet nicht. Es arbeitet in ihr. Hier scheint das Gerechtigkeitsdenken nicht aufzugehen.

Wir machen nun wirklich weiter mit den Schul Sachen. Ich staune etwas über die Erkenntnis, dass man einen Moment lang eifersüchtig auf diese Krankheit sein kann. Ob unser M. jemals richtig sprechen oder gar schreiben lernt, das werden wir sehen. Keiner weiß es. Für den Moment ist er noch kein Schulkind und darf alle Freiheiten eines 5 jährigen ohne home schooling genießen.


Der Teppich

Das Hauptproblem unseres Sohnes ist das Verdauungssystem. Der Magen und der Darm stehen still. Es wird nichts weiter transportiert, auch nichts mehr aufgenommen. Deshalb ist er komplett und ausschließlich per Infusionen über die Vene ernährt. Stuhlgang hat er nur selten. Im Schnitt alle 3 Wochen. Aktuell wird auch das immer schwieriger. Seit gut 8 Wochen 'warten' wir auf Ausscheidung.

Nun soll junior ein neues Zimmer bekommen. Wir brauchen mehr Platz. Mehr Ordnung. Weniger Treppenstufen. So soll das Gästezimmer mit dem Kinderzimmer getauscht werden. In diesem Zuge erfüllen wir ihm einen großen Wunsch : Ein Teppich mit einer Feuerwehr drauf. Wir suchen zusammen einen Teppich aus. Ich mag es nicht zu kitschig. M. kann nicht genug Feuerwehr bekommen. Wir finden einen wirklich schönen. Heller Hintergrund. Ein großes knallrotes Feuerwehrauto. Wir bestellen ihn. Wann immer es an der Tür klingelt ist M. ganz aufgeregt - ob die Post wohl den Teppich bringt? Endlich ist es so weit. Der freundliche Paket Bote bringt ein großes Paket mit dem neuen Feuerwehr Teppich darin. Die Freude ist riesengroß! Gemeinsam packen wir aus. Befreien die Teppichrolle von der Folie. Wir Rollen den Teppich aus und bestaunen ihn. Wie schön er ist! Tolle Farben und so schön kuschelig weich!! Wirklich schön! Was ganz besonderes. Ich lege ihn provisorisch in das neue Kinderzimmer in dem noch ein völliges Chaos herrscht. Möbel stehen halb aufgebaut rum. Kisten mit Playmobil Fahrzeugen stapeln sich. Ein Müllsack steht in der Mitte des Raumes. Immer wieder erstaunlich , wie viel Müll sich mit der Zeit ansammelt. Ich bin motiviert, dieses Chaos zu besiegen. M. sitzt glücklich auf dem neuen Teppich, schaut mir zu. Er bestaunt erst die Räder, dann die Leiter des Feuerwehrautos. Er wirkt entspannt, es geht ihm gut.

Da ruft meine große Tochter aus dem Garten. Sie braucht kurz meine Hilfe. M. ist zufrieden. Ich kann ihn sitzen lassen. 'Bin gleich wieder da'. Ich renne raus, helfe der großen beim Tragen der schweren Holzbalken. Ein kurzes Gespräch am Gartenzaun mit der Nachbarin. Und dann schnell wieder rein. M. sitzt noch auf dem Teppich. Es geht ihm gut. Ich wende mich dem Chaos wieder zu. Aber - Was ist da auf dem Teppich passiert? Irgendetwas ist ausgelaufen. Ich schaue es mir näher an und mir fehlen die Worte! Seit acht Wochen versuchen die Ärzte alles um den Darm in Bewegung zu bringen. Vergebens. Warum jetzt? Warum genau hier? Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte ich M. Absicht unterstellen. Das ist natürlich Quatsch. Er versteht all die Aufregung nicht. Er schaut mich an und sagt unschuldig 'ausläuft'. Ich ziehe ihn aus, wasche ihn und ziehe ihn frisch an. Dann widme ich mich den Teppich. Zum Glück ist nicht sehr viel 'ausläuft'. Noch bevor der Teppich an der richtigen Stelle im Kinderzimmer liegt lernt er den Teppich reiniger und den schwamm kennen. Ich bekomme ihn problemlos sauber. Als ich gerade dabei bin, die Stelle trocken zu tupfen übergibt sich mein Sohn. Ich bleibe cool. Er kann nichts dafür. Es ist nur ein Teppich. Ich zücke meinen guten Freund den Teppichreiniger. Guten Tag Herr Teppich. Daran wirst du dich gewöhnen müssen. Denn hier wohnt ein ganz besonders Kind mit einem chronischen Magen Darm Versagen. Mittlerweile ist das neue Zimmer fertig. Es ist schön geworden. Geräumig und sehr gemütlich. Was nicht zu letzt an diesem wunderschönen, großen Feuerwehr Teppich in der Mitte des Raumes liegt.


Wir sind wieder da

Es war still hier. Ich war mit Junior in der Klinik. Dort waren wir schon von der Welt abgeschottet, bevor die corona Maßnahmen dort los gingen. Wir durften keinen Besuch empfangen. Nicht mal den Papa oder die Mädels. Die Station zu verlassen war nicht gern gesehen. Die Cafeteria, das Kiosk, das spielzimmer - alles wurde geschlossen. So saß ich mit meinem schwerst kranken Sohn in einem kleinen klinikzimmer das ich mir mit einer Frau aus Osteuropa und ihrem kleinen Baby teilte. Leider sprach sie kein einziges deutsches Wort, auch kein Englisch. Wir konnten uns nicht unterhalten. Immer wieder fing ich anhl hier zu schreiben. Aber es füllte einfach keinen Text. Ich schrieb etwas über Corona, die Klinik internen Maßnahmen und die Einsamkeit. Aber das kann man überall lesen. Bald wurde es mir zu viel. Der Text wurde nie fertig. Ich schrieb etwas über diese Frau aus einem fremden Land. Ihr kleines Baby ist sehr krank. Sie ist mit ihm in einer fremden Klinik in einem fremden Land dessen Sprache sie weder spricht noch versteht. So ist ihr sogar das bisschen smalltalk verwehrt. Ihr Mann darf sie nicht besuchen. Darf nicht zu seinem kranken Baby! Wie muss sie sich fühlen? Ich habe Mitleid. Würde ihr gern irgendwas gutes tun. Doch die Möglichkeiten sind begrenzt. Ich schreibe ein wenig von meiner Verzweiflung. Wieder können die Ärzte M. Probleme nicht nicht nach Lehrbuch in den Griff bekommen . Sie schauen mich fragend und ratlos an. Wir können dies und jenes probieren. Ob es aber hilft, ob wir M. so schmerzfrei bekommen, das weiß keiner. Warum kann unser M. nicht einfach was 'normales' haben, irgendwas bekanntes? Warum gibt er uns immer wieder Rätsel auf? Das bringt ja alles nichts. Er ist wie er ist. Und das ist gut so. Klar könnte ich auch etwas über Begegnungen mit Ärzten und Pflegern schreiben. Jedoch war ich die Wochen in der Klinik gedanklich sehr eingebunden. Es wurde einfach kein Text daraus. Seit einigen Tagen sind wir nun zuhause. Ich bin sehr glücklich und komme aus dem Staunen kaum raus. Wie reich ich beschenkt bin. Ich genieße diese entschleunigten Tage sehr! Ich freue mich an und mit meiner Familie. Danke täglich für unseren tollen Garten und die Zeit, die wir als Familie zusammen haben. Ich genieße den Augenblick und habe wieder ganz viele Gedanken im Kopf, die ich posten möchte. Auch M. wirkt endlich wieder gelöst und glücklich. Er genießt es, dass seine Schwestern ihm viel vorlesen oder sein Bett in ein Piratenschiff verwandeln. Er ist wieder mittendrin. Wie schön! Wir sind wieder da :)


Die große Badewanne

M. ist komplett parenteral, also per Infusion über die Vene, ernährt. Dazu wurde ihm ein Port Katheter unter die Haut transplantiert. Flüssigkeit, Kalorien, Vitamine, Spurenelemente und Medikamente laufen über die portnadel 24 Stunden lang an 7 Tagen die Woche in seine Venen. Während die Portnadel liegt, ist absolut steriles handling angesagt. Kein Duschen oder Baden möglich.

Einmal in der Woche muss die Portnadel gewechselt werden. Wir Stöpseln alle Infusionen ab und ziehen die Portnadel raus. Für einen Moment ist M. frei von den vielen Leitungen . Für einen kurzen Moment ist kein steriles handling nötig. Zuhause darf er dann immer kurz in die Badewanne. Er liebt diese halbe Stunde. Feiert das warme Wasser und den Badeschaum. Er spielt mit Booten und spritzt alle nass, die nicht schnell genug sind. Er genießt das Föhnen und eincremen. Sein absolutes Wochen Highlight! Die letzten Wochen war dieses bade Ritual nicht möglich. Wir sind in der Klinik, wo es lediglich eine Dusche oder kleine Babywannen gibt. Nun steht wieder ein Portnadel Wechsel an. Schon am Tag zuvor verkündet M. wie gern er mal wieder baden möchte. Ich sage, er könne duschen. Ganz gemütlich mit einem Duschstuhl und viel warmen Wasser. Er verneint vehement. Er möchte baden. In einer großen Badewanne, mit viel warmen Wasser und Schaum. Gerne würde ich ihm das ermöglichen. Aber es scheint aussichtslos.

Um 7 Uhr kommt die Schwester der Frühschicht zu uns ins Zimmer. M. erzählt auch ihr von seinem Wunsch. Um 8 Uhr kommt die Putzfrau. Junior erzählt munter drauf los. Große Badewanne. Viel warmes Wasser. Schaum. Sie nickt ihm freundlich zu. Verstanden hat sie kein Wort. Sie spricht nur sehr gebrochen deutsch. Die Hauswirtschaftlerin kommt um die Materialschränke aufzufüllen. M. bittet sie mehrfach um eine große Badewanne mit viel warmen Wasser und Schaum. Ebenso bequatscht er die Ärzte die zur Visite kommen und die Erzieherin, die mit ihm eine runde UNO spielt. Wer auch immer ihm begegnet weiß, was sein größter Wunsch für diesen Tag ist. Dass Duschen auch schön ist, oder er in eine Babywanne sitzen könnte, lehnt er bestimmt an. Ich vertröste ihn mit dem Versprechen, dass er baden darf sobald wir zuhause sind. Es gibt hier nunmal keine große Badewanne.

Gegen 13 Uhr kommt die Hauswirtschaftlerin. Sie hat durchs ganze Haus telefoniert. Auf einer Station wurde sie fündig. Dort gibt es eine große Badewanne. Allerdings wurde diese seit Jahren nicht benutzt. Der Raum dient längst als Abstellkammer. Sie bietet an, ihre Pause für M. zu opfern um den Raum auszuräumen und die Badewanne zu putzen. Ich setze gerade an, ihr zu sagen, dass sie das nicht machen muss. Dass wir einfach zuhause wieder baden. Da stimmt Junior einen Jubelgesang an. 'ja ja ja baden! Ja ja ja ja ja' er strahlt und jubelt aus tiefstem Herzen. 'für dich mache ich das sehr gerne' sagt die nette Hauswirtschaftlerin und nimmt M. in den Arm. Ich bin gerührt. Sage gar nichts mehr. Wow! Unbeschreiblich, wieviel Liebe und Freude gerade dieses driste Krankenhauszimmer erstrahlen lässt.

Nachmittags stöpsel ich die Infusionen ab und mache die Portnadel raus. M. kann es kaum erwarten, endlich zur Badewanne zu gehen. Er hat sämtliche Leute der Station mittlerweile ganz schalou gemacht. Der Oberarzt kommt um ein frohes Baden zu wünschen. Die Pflege kommt um uns mit Handtüchern und seife auszustatten. Die Erzieherin bringt quietsche Enten. Die Assistenzärztin kümmert sich darum, dass M. die halbe Stunde ohne Infusion trotzdem gut mit Schmerzmittel abgedeckt ist. Nicht nur M. freut sich auf die große Badewanne mit viel warmen Wasser und Schaum. Die Freude hat weit über die Station ausgestrahlt. Endlich machen wir uns auf den Weg durch die Klinik. Hin zu der Station mit großer Badewanne. Der Raum ist schön für uns vorbereitet. Ich muss nur das Wasser einlassen und meinem Sohn zuschauen, der glücklicher nicht sein könnte. Er liegt im warmen Schaum Wasser und genießt es sichtlich mit jeder Faser seines kleinen Körpers. Er plantscht ein bisschen. Er atmet den Duft des badeschaumes ein und freut sich darüber, wie gut das riecht. Er lässt die Entchen schwimm. Für einen Augenblick kann er sich total fallen lassen. Entspannen. Wie gut, dass er sein Ziel vor Augen hatte und hartnäckig dran geblieben ist. Wie dankbar ich um die tolle Frau der Hauswirtschaft bin! Ich bin erfüllt von Freude und Dankbarkeit. Genieße den Moment. M. signalisiert bald, dass die Kraft aufgebraucht ist. Er kann nicht mehr, möchte raus. Wir waschen noch seine Haare. Dann hole ich ihn raus. Trockne ihn ab und Creme ihn ein. Hmmmm, das riecht gut. Er genießt auch das in vollen Zügen. Ich packe ihn warm ein und mache mich auf den Rückweg zu unserer Station. Dort schaffe ich es gerade noch, die neue Portnadel zu stechen und ihn fertig anzuziehen, bevor er glücklich und völlig erschöpft einschläft. Ich beende den Tag sehr sehr dankbar


Die Begegnung mit dem Hausmeister

Im Moment leider wieder in der Klinik. Die Tage sind lang. Die Situation frustrierend. Ich stehe in der winzigen Nasszelle und mache mich frisch für einen neuen Tag. Die Nacht war turbulent. Die Augenlider fühlen sich schwer an. Jetzt einen großen Schwung kaltes Wasser ins Gesicht. Dann kann der Tag mit all seinen Herausforderungen kommen. Ich stelle den Temperaturregler auf eiskalt und öffne den Wasserhahn. Es passiert nichts. Kein einziger Tropfen kommt aus dem Hahn. Das darf nicht wahr sein. Ich ruckle am Hahn. Ich verstlle den Temperaturregler. Doch ohne Erfolg. Meine Hände bleiben trocken. Mir bleibt nichts übrig, als mich erstmal ohne Wasser fertig zu machen. Auf dem Weg zum Kaffee Automaten treffe ich auf einen Pfleger. Der einzige männliche Pfleger auf dieser Station. Ihm schildere ich mein Leid. Er kommt gleich mit zu meinen Zimmer. Er versucht das Wasser zum Laufen zu bringen. Vergebens. Er hat auch keine Idee. Er verspricht aber, zügig den Handwerkern Bescheid zu geben. Tatsächlich vergeht keine halbe Stunde bis zwei Handwerker in grauen Latzhosen bei mir im Zimmer stehen. Im tiefsten schwäbisch stellen Sie sich als Hausmeister vor, Sie wollen nach dem defekten Wasserhahn schauen. Während ich meine erste Tasse Kaffee trinke, reparieren Sie diesen Wasserhahn. Es dauert nicht lange, bis das Wasser wieder läuft. Irgendein Rückschlagventil war defekt. Ich bedanke mich sehr herzlich bei den zwei Männern und freue mich auf einen kräftigen Schwung kühles Wasser im Gesicht. Der eine erwidert darauf 'nix zom dange! Koi Wasser am frühe morge isch doch a riesa großa scheiß!' Verduzt schaue ich ihn an. Mit solchen Worten habe ich hier nicht gerechnet. Er sagt weiter 'ha des isch doch so! Deshalb semmer au so schnell komme. Und des do (er zeigt auf meinen kranken, verkabelten Sohn im Bett) isch noch a größerer scheiß. Da braucht mer au koine schönere Worte suche. Des isch a riese große scheißdreck!' Er wünscht uns noch alles Gute, packt sein Werkzeug zusammen und ist so schnell verschwunden, wie er vorher im Zimmer stand. Der Pfleger, der unsere Unterhaltung gehört hat, steht im Flur und lacht laut. Ich bleibe Verduzt zurück. Wasche Mein Gesicht extra lang mit kaltem Wasser. Das tut gut! Ein riesen großer scheißdreck. Ja, er hat ja recht. Warum die Dinge nicht beim Namen nennen? Warum schön reden? Das, was dieser kleine Kerl die letzten Monate durchgemacht hat, lässt sich am besten mit den Worten dieses Hausmeisters beschreiben. Nach einigen Minuten muss auch ich herzlich lachen. Der 'riesen große scheißdreck' wurde für den Rest des Tages DAS Wort auf Station. Viele hatten noch ihren Spaß daran. Danke, lieber Hausmeister in grauer Latzhose, für Ihre Worte :)


Altbekannt

Es ist ein bekannter Anblick, Ein bekanntes Zimmer, Eine bekannte Dusche Und bekannte Bettwäsche

Es sind gut bekannte Menschen, Bekanntes essen, Bekannte Abläufe Und bekannte Wege.

Es sind Bekannte Geräusche, Bekannte Gerüche, Bekannte Gefühle, Und Bekannte Eindrücke.

Es sind bekannte Fragen Bekannte Ängste Bekannte Auseinandersetzungen Bekanntes warten.

Alles ist bekannt. Vertraut. Und doch kein bisschen zuhause. Nicht gemütlich nicht geborgen.

Wieder fremdbestimmt. Wieder getrennt von den Menschen die ich liebe. Wieder in der Kinderklinik


Schöner Tag

Es ist 8 Uhr. Die großen sind aus dem Haus. Gott sei Dank gehen sie gerne in die Schule. Kein motzen , kein meckern am frühen Morgen. Ganz im Gegenteil. Sie hatten gute Laune. Ein schöner Morgen. Ich sitze am Frühstücks Tisch. Ich trinke meine zweite Tasse Kaffee. Juniors Infusionen laufen bereits. Ein Apotheker hat schon die neue Lieferung gebracht. Ob er gesehen hat, dass mir die Nacht in den Knochen steckt, wie müde ich bin? Wenn, dann hast er es freundlich überspielt. Ich genieße die Ruhe. Ein paar Minuten einfach sitzen und Kaffee trinken. Herrlich. Junior wirkt entspannt und schmerzfrei. Er liegt auf dem Sofa.

Ich fange an das Frühstück weg zu räumen und das morgendliche Chaos zu beseitigen. Ich schalte die Waschmaschine an und überlege mir, was es zum Mittagessen gibt. M. hört mich, weiß wo ich bin und ist mit dieser situation sichtlich zufrieden. Er plappert vor sich hin, sagt immer das selbe. Aus der Ferne verstehe ich nicht, was er sagt. Sprechen ist schwierig. Er hat einige Worte. Es fällt ihm aber schwer, Sätze daraus zu bilden. An der Aussprache arbeiten wir auch noch :)

Ich gehe zu ihm und frage ob er mir etwas sagen möchte. Er strahlt mich mit leuchtenden Augen an und sagt 'schön daag' Schön was? 'schön daag'! Schöner Tag, sagst du schöner Tag? Ist heute ein schöner Tag? Er lacht erleichtert darüber dass ich ihn so schnell richtig verstehe. Ja, er möchte mir sagen, dass heute ein schöner Tag ist. Mein Herz wird warm! Er, der seit Wochen von Schmerzen geplagt ist. Er, der völlig isoliert von der Außenwelt die Tage mit mir mal zuhause mal in der Klinik verbringt. Er, der schon lange nicht mehr gut schlafen konnte. Er sagt mir gerade, was heute für ein schöner Tag ist!!!

Wow! Ich nehme mir vor, diese Worte meines 5 jährigen Sohnes im Herzen zu bewahren. Sollte ich mal wieder anfangen, mich über dies und jenes zu beschweren, möchte ich es mir ins Gedächtnis rufen. Was braucht es, um von Herzen zu sagen 'was für ein schöner Tag heute ist'? M. Lehrt es mich : Man muss schmerzfrei sein. Mit einer Decke auf einem gemütlichen Sofa sitzen und sich geborgen wissen. All das, ist bei mir nahezu an jedem Tag meines Lebens gegeben. Warum fällt es mir so schwer, es von Herzen dankbar anzunehmen, jeden Tag als einen 'schönen Tag' zu feiern? Warum ertappe ich mich immer wieder selbst dabei, wie ich mich an Nichtigkeiten aufhalte? Was für ein schöner Tag heute ist! Ein geschenkter Tag. Ein Tag, der niemals wieder kommt. M. freut sich, dass ich mich so sehr über seine Worte freue. den ganzen Tag über wiederholt er sie immer wieder. 'schön daag' als er sieht, dass draußen die Sonne scheint. 'schön daaag' als seine große Schwester ihm vorliest. 'Schön daag' als ich mit ihm ein UNO spiele.

Abends fragt Papa ihn, wie sein Tag war. Er breitet seine Arme weit aus und antwortet aus tiefstem Herzen 'soo schön daag!!' So möchte ich ab sofort jeden einzelnen Tag gestalten und beenden. Mit weit ausgebreiteten Armen möchte ich sagen 'Es war soooo ein wundervoll schöner Tag!'


Was uns die Kraft raubt

Neulich wurde ich gefragt, was denn das anstrengenste an unserm Leben mit besonderem Kind ist. Unser ganzer Alltag ist anstrengend. Aber was Ist es, das und wirklich die Kraft raubt? Was an die Substanz geht und verzweifeln lässt? Es sind nicht die durchwachten Nächte. Es sind nicht die Klinik Aufenthalte. Es sind nicht die Diagnosen und Prognosen. Es sind nicht die Tage, die überhaupt nicht planbar sind. Auch nicht die Spontanität die uns abverlangt wird. Es sind nicht die Menschen, die M. anstarren Oder irgendwelche doofe Kommentare. Es sind nicht die vielen Termine bei Ärzten und Therapeuten. Nicht die sehr eingeschränkten Möglichkeiten. Es sind die Ärzte, die sich untereinander nicht einig sind und sich nicht einmal bemühen, ihren Zwist vor mir zu verbergen. Es sind die Behörden, die Monate brauchen um Anträge, zu bearbeiten. Dabei würde uns eine Bewilligung unglaubliche Erleichterung im Alltag schaffen. Es sind die Ärzte, die einen Anruf im Laufe des Tages ankündigen um Ergebnisse zu besprechen. Ich bin angespannt. Bleibe immer in der Nähe des Telefons. Um 22 Uhr lege ich es zur Seite. Der Anruf wird nicht mehr kommen. Es ist die Krankenkasse, die erstenmal alles ablehnt. Warum sollten wir z.b einen Epilepsie Helm, einen therapiestuhl oder Medikamente beantragen, wenn M. sie nicht wirklich bräuchte? Es sind die Pfleger, die stöhnen wenn M. kommt, weil er so aufwendig ist. Die, die mir signalisieren , dass mein Sohn 'zu viel' ist. Es ist die Dame am Telefon, die auf meine verzweifelte Frage ob ich die Ärztin sprechen könne, sehr pampig reagiert. Vieles könnte so einfach sein, ist aber so kompliziert. Das zehrt an den Kräften. Das entmutigt. Das lässt verzweifeln. Diese Kämpfe, diese Auseinandersetzungen sind es, die uns das letzte bisschen Kraft rauben.